< Wege der Vollkommenheit

Teresa von Ávila - Weg der Vollkommenheit

⟵ Übersicht CC BY 4.0

Teresa von Ávila

Weg der Vollkommenheit

 

Buch genannt Weg der Vollkommenheit verfaßt von Theresia von Jesu Nonne des Ordens Unserer Lieben Frau vom Karmel

Gewidmet den unbeschuhten Nonnen Unserer Lieben Frau vom Karmel nach der ersten Regel

Hauptinhalt dieses Buches Jhs

Dieses Buch enthält Anweisungen und Ratschläge, die Theresia von Jesu ihren geistlichen Schwestern und Töchtern in den Klöstern erteilt, die sie mit der Hilfe unseres Herrn und der glorreichen Jungfrau und Mutter Gottes, unserer Herrin, nach der ersten Regel Un- serer Lieben Frau vom Karmel gegründet hat. Sie widmet dieses Buch insbesondere den Schwestern des Klosters zum heiligen Joseph in Ávila, das zuerst gegründet wurde; dort war sie Priorin, als sie dies schrieb.


Verwahrung der heiligen Verfasserin

In allem, was ich in diesem Buche sagen werde, unterwerfe ich mich der Lehre unserer Mutter, der heiligen römischen Kirche. Sollte etwas dieser Lehre entgegen sein, so kommt dies von meinem mangelhaften Verständnis. Daher bitte ich die Gelehrten, die von diesem Buche Einsicht nehmen werden, um der Liebe unseres Herrn willen, sie möchten diesem Punkte eine ganz besondere Aufmerksamkeit zuwenden und verbessern, was sowohl hier- in als auch in anderen Stücken, wie es nicht selten der Fall sein wird, Irriges vorkommen sollte. Findet sich aber etwas Gutes in diesem Buche, so sei es zur Ehre und Verherrlichung Gottes, zum Dienste seiner heiligsten Mutter, unserer Patronin und Herrin, deren Habit ich trotz meiner großen Unwürdigkeit trage.


Vorrede

Jhs

  1. Mein gegenwärtiger Beichtvater, Pater Magister Dominikus Báñez aus dem Orden des glorwürdigen heiligen Dominikus, hatte mir erlaubt, einiges über das Gebet zu schreiben, weil er meinte, ich könnte infolge meines Verkehres mit vielen im geistlichen Leben erfah- renen und heiligen Männern die rechte Belehrung darüber geben. Als dies die Schwestern dieses Klosters zum heiligen Joseph erfuhren, baten sie mich recht inständig, ihnen etwas über den erwähnten Gegenstand zu sagen so daß ich mich entschloß, ihnen zu willfahren. In Anbetracht der großen Liebe, die diese Schwestern zu mir tragen, glaube ich, daß ih- nen das, was ich ihnen Unvollkommenes und in schlechtem Stile sagen werde, vielleicht angenehmer sei als manche sehr gut geschriebene Bücher, die von Männern verfaßt sind,

    die den von mir behandelten Gegenstand verstanden. Auch setze ich, mein Vertrauen auf ihre Gebete; um dieser willen wird mir der Herr vielleicht die Gnade verleihen, etwas Ge- eignetes sagen zu können, was der Lebensweise förderlich ist, die man in diesem Hause beobachtet. Sollte ich aber das Rechte nicht treffen, so wird der Pater Magister, der zuerst von diesem Buche Einsicht nehmen wird, es verbessern oder verbrennen. Ich habe dann dadurch, daß ich diesen Dienerinnen Gottes gehorchte, nichts verloren; sie aber werden sehen, was ich aus mir selbst habe, wenn Seine Majestät mir die Hilfe versagt.

  2. Ich möchte einige Mittel gegen gewisse kleine Versuchungen angeben, die der böse Feind erregt und die man, eben weil sie so unbedeutend sind, vielleicht nicht beachtet. Auch über andere Punkte werde ich sprechen, je nachdem mich der Herr erleuchten wird und wie sie mir einfallen werden; denn da ich selbst nicht weiß, was ich sagen werde, so kann ich keine bestimmte Ordnung im voraus angeben. Ich halte es auch für das beste, mich gar nicht danach zu richten, da es ohnehin schon gegen alle Ordnung ist, daß ich so etwas unternehme. Der Herr lege seine Hand an alles, was ich Vollbringe, damit es nach seinem heiligen Willen geschehe! Denn dies ist allzeit mein Verlangen, wenn auch meine Werke so fehlerhaft sind wie ich selbst.

  3. Ich weiß, daß es mir weder an Liebe noch an Verlangen fehlt, mein möglichstes da- zu beizutragen, daß die Seelen meiner Schwestern im Dienste des Herrn recht große Fort- schritte machen. Diese Liebe sowie mein Alter und die Erfahrung, die ich bezüglich einiger Klöster habe, können dazu beitragen, daß ich in kleinen Sachen das Rechte besser treffe als die Gelehrten, die wegen anderer, wichtigerer Geschäfte und als starke Männer auf Dinge kein so großes Gewicht legen, die an sich als unbedeutend erscheinen. Aber so schwachen Wesen, wie wir Frauenspersonen sind, kann alles schädlich sein; denn vielfach sind die Kunstgriffe, deren sich der böse Feind gegen jene bedient, die in strenger Klausur leben; er sieht, daß er neuer Waffen bedarf, um hier Schaden anzurichten. Ich meinerseits habe mich, weil ich so schlimm bin, schlecht zu verteidigen gewußt, und darum wünschte ich, daß meine Schwestern durch den Schaden, den ich erlitt, klug würden. Ich werde nichts sagen, was ich nicht durch eigene Beobachtung an mir oder an anderen erfahren habe.

  4. Vor nicht langer Zeit wurde mir befohlen, einen gewissen Bericht über mein Leben zu schreiben, worin ich auch einige Bemerkungen über das Gebet niedergelegt habe. Mein Beichtvater wird vielleicht nicht wollen, daß ihr diesen Bericht leset; deshalb werde ich eini- ges von dem, was ich dort sagte, hier erwähnen. Was mir sonst noch notwendig erscheinen wird, werde ich beifügen. Der Herr verleihe mir dazu seine Hilfe, wie ich ihn gebeten, und lasse es zu seiner größeren Ehre gereichen! Amen.

     

Erstes Hauptstück

Über die Gründe, die mich bestimmten, in diesem Kloster eine so zurückgezogene Lebens- weise einzuführen.


  1. In dem von mir erwähnten Buche habe ich nebst den Gründen, die mich von Anfang an veranlaßten, dieses Kloster zu stiften, auch einige hohe Gnadenerweisungen des Herrn mitgeteilt, durch die er mir offenbarte, daß ihm darin sehr eifrig werde gedient werden. Es war jedoch nicht meine Absicht, daß hier äußerlich eine so strenge Lebensweise beobachtet und kein bestimmtes Einkommen zugelassen werden sollte; vielmehr wünschte ich, das Kloster möchte das nötige Einkommen erhalten, damit man an nichts Mangel leide. So schwach und armselig war ich damals, obwohl mich bei diesem Wunsche nicht so fast meine Bequemlichkeit als andere gute Absichten leiteten.


  2. In jener Zeit erhielt ich Kunde von dem durch die Lutheraner verursachten Schaden und der Verwüstung in Frankreich sowie von der immer stärkeren Ausbreitung dieser un- heilvollen Sekte. Dies betrübte mich sehr; und wie wenn ich etwas vermöchte oder etwas wäre, weinte ich vor dem Herrn und bat ihn, er möchte doch einem so großen Übel abhel- fen. Ich würde, wie mir schien, tausend Leben zur Rettung einer einzigen von den vielen Seelen hingegeben haben, die dort zugrunde gingen. Doch das Bewußtsein, daß ich ein Weib und elend und nicht imstande sei, das zu tun, was ich zum Dienste des Herrn tun zu können wünschte, erfüllte mich und erfüllt mich noch jetzt mit dem sehnsüchtigen Ver- langen, es möchten bei der großen Anzahl der Feinde Gottes wenigstens seine wenigen Freunde wahrhaft gut sein. Ich entschloß mich daher, das Wenige zu tun, was an mir lag, nämlich die evangelischen Räte mit aller mir möglichen Vollkommenheit zu befolgen und die wenigen Nonnen, die hier sind, zum gleichen Streben anzuleiten. Dabei vertraute ich auf die große Güte Gottes, der es nie unterläßt, jenen beizustehen, die sich entschließen, um seinetwillen alles zu verlassen. Wenn diese Nonnen, dachte ich, so wären, wie ich sie mir meinem Verlangen gemäß vorgestellt hatte, so würden unter ihren Tugenden meine Fehler wirkungslos bleiben, und ich könnte so den Herrn in etwa zufriedenstellen. Wenn dann wir alle uns damit beschäftigten, für die Verteidiger der Kirche, für die Prediger und Gelehrten, die für sie streiten, zu beten, so würden wir dadurch nach unserem Vermögen diesem meinem Herrn helfen; denn er wird von jenen, denen er so viel Gutes erwiesen, so sehr verfolgt. Scheint es ja, als wollten ihn diese Verräter aufs neue kreuzigen und ihm kein Plätzchen gönnen, wo er sein Haupt hinlegen könnte.


  3. O mein Erlöser, daran kann mein Herz nicht denken ohne große Betrübnis. Wie weit ist es jetzt mit den Christen gekommen! Müssen dich denn gerade jene betrüben, die dir am meisten schulden, denen du die größten Wohltaten erwiesen, die du zu deinen Freunden

    erwählt hast, in deren Mitte du weilst und denen du dich mitteilst in den Sakramenten? Sind ihnen die Martern nicht genug, die du für sie erduldet hast?


  4. Wahrhaftig, mein Herr, wer sich jetzt von der Welt zurückzieht, der tut nicht viel; denn wenn die Menschen so treulos sind gegen dich, was sollen dann wir von ihnen erwarten? Verdienen wir etwa, daß sie uns treuer bleiben? Haben wir ihnen vielleicht größere Wohl- taten erwiesen, daß sie uns ihre Freundschaft bewahren sollten? Was können wir, die wir durch die Güte des Herrn mit jener pestartigen Seuche nicht behaftet sind, noch von denen erwarten, die schon dem Teufel angehören? Sie haben sich selbst eine schwere Strafe berei- tet und durch ihre Lüste mit Recht ein ewiges Feuer verdient; so mögen sie es dort auch finden, obwohl mir beim Anblick des Unterganges so vieler Seelen das Herz zerspringt. Aber das Übel soll nicht weitergreifen, und ich möchte nicht täglich mehr Seelen zugrun- de gehen sehen.


  5. O meine Schwestern in Christo, helft mir doch vom Herrn diese Gnade erflehen! Da- zu hat er euch an diesem Orte vereinigt; dies ist euer Beruf, das soll euer Geschäft und euer Verlangen sein; dafür sollen euere Tränen fließen, dahin euere Gebete zielen. Nicht weltli- che Angelegenheiten sind es, meine Schwestern, um die wir vor dem Herrn besorgt sein müssen. Ich muß lachen, aber mich auch betrüben, wenn ich sehe, mit welchen Anliegen man zu uns kommt, damit wir sie im Gebete Gott empfehlen möchten; sogar um Einkünfte und Geld sollen wir Seine Majestät bitten, und zwar für Personen, von denen ich wünschte, sie würden Gott um die Gnade bitten, dies alles mit Füßen treten zu können. Solche mei- nen es zwar gut, und schließlich willfahren wir ihnen auch, weil wir das Zutrauen sehen, das sie zu uns haben; aber ich für meinen Teil glaube, daß Gott mich in solchen Angelegen- heiten nie erhören werde. Die Welt steht in Flammen; man will Christus sozusagen aufs neue verurteilen: Und wir sollten die Zeit mit Bitten um Dinge verbringen, wodurch wir vielleicht, wenn Gott sie gewährte, Ursache wären, daß eine Seele weniger in den Himmel käme? Nein, meine Schwestern, jetzt ist keine Zeit, mit Gott über geringfügige Dinge zu verhandeln.


  6. Wenn ich nicht der menschlichen Schwachheit Zugeständnisse machte, die sich in jeder Drangsal mit der Hilfe anderer vertröstet — und wenn wir etwas bedeuteten, wäre das ja in Ordnung —, würde ich mich gewiß freuen, wenn die Welt verstünde, daß das nicht Gaben sind, um die man mit so viel Eifer und Inbrunst Gott bitten soll.


 

Zweites Hauptstück

Über die Sorglosigkeit in Hinsicht auf leibliche Bedürfnisse und über das Gut, das in der Armut liegt.

  1. Denket ja nicht, meine Schwestern, daß es euch an Nahrung fehlen werde, weil ihr nicht beflissen seid, den Weltleuten zu gefallen! So trachtet denn auch nie danach, durch menschliche Kunstgriffe eueren Unterhalt zu verdienen, sonst werdet ihr, ich versichere euch, vor Hunger sterben, und das mit Recht. Richtet vielmehr die Augen auf eueren Bräu- tigam! Dieser ist’s, der euch ernähren wird. Ist er mit euch zufrieden, so werden euch selbst jene, die euch am wenigsten geneigt sind, wenn auch wider ihren Willen, Nahrung ver- schaffen, wie ihr dies aus Erfahrung wißt. Und solltet ihr auch bei solchem Verhalten Hun- gers sterben, dann selig die Nonnen von St. Joseph! Vergeßt dies um der Liebe des Herrn willen nie! Da ihr einmal auf Einkünfte verzichtet habt, so entschlaget euch auch der Sorge um die Nahrung, sonst ist alles verloren. Jene, die nach dem Willen des Herrn Einkünfte haben, mögen meinetwegen solche Sorge tragen. Dies ist ganz recht, weil es ihrem Berufe entspricht: bei uns aber, meine Schwestern, wäre es Torheit.


  2. Mir käme es vor wie Sorge um fremdes Eigentum, wollten wir an das denken, was an- dere besitzen. Wegen euerer Sorgen ändert ein anderer ja doch seine Gedanken nicht, und deswegen erwacht in ihm kein Verlangen, euch Almosen zu geben. Überlaßt diese Sorge dem, der Herr über die Einkünfte und deren Besitzer ist und die Herzen aller bewegen kann! Auf sein Geheiß sind wir hierhergekommen. Seine Worte sind wahr und können nicht täuschen; eher werden Himmel und Erde vergehen. Wenn wir es nur ihm gegenüber an nichts fehlen lassen, dann habt ihr nicht zu fürchten, daß euch der notwendige Unter- halt mangeln werde. Solltet ihr aber auch bisweilen Mangel leiden, so werdet ihr dadurch ein größeres Gut gewinnen; auch die Heiligen verloren ihr Leben, da sie um des Herrn willen getötet wurden; aber durch den Martertod erlangten sie eine um so größere Glorie. Ein guter Tausch würde es sein, wenn es schnell mit allem zu Ende wäre und wir uns dann der beständigen Sättigung erfreuten.


  3. Beachtet, meine Schwestern, nach meinem Tode das, was ich euch hier gesagt habe, da viel daran gelegen ist! Zu diesem Zwecke hinterlasse ich es euch schriftlich. Solange ich noch am Leben bin, werde ich nicht unterlassen, euch daran zu erinnern; denn ich kenne den großen Gewinn aus Erfahrung, den die Befolgung des Gesagten mit sich bringt. Je weniger wir haben, desto unbekümmerter bin ich. Der Herr weiß es, daß ich nach meinem Dafürhalten in größerer Sorge bin, wenn wir viel über das Notwendige haben, als wenn wir Mangel leiden. Vielleicht kommt dies daher, weil ich immer gesehen habe, daß der Herr uns allzeit gleich das Mangelnde gibt. Würden wir anders gesinnt sein, so täuschten wir die Welt, da wir uns für arm ausgäben, es aber nicht im Geist, sondern nur äußerlich wären. Ich würde mir sozusagen ein Gewissen daraus machen, und es käme mir vor, als bettelten die Reichen. Davor bewahre uns Gott! Denn wo man so übermäßig um Almosenspenden besorgt ist, da könnte man mitunter aus Gewohnheit betteln oder auch um etwas bitten, was man nicht notwendig hat, und dies vielleicht sogar bei Leuten, die in größerer Not sind.

    Diese würden zwar durch ihr Almosen nichts Verlieren, sie könnten nur gewinnen; wir aber hätten den Verlust. Das wolle Gott verhüten, meine Töchter! Sollte es aber geschehen, so wollte ich lieber, ihr hättet Einkünfte.


  4. Möchten sich also euere Gedanken in keiner Weise mit dergleichen Sorgen beschäfti- gen! Dies erbitte ich von euch um der Liebe Gottes willen als Almosen. Wenn je in diesem Hause so etwas vorkommen sollte, so flehe auch die Geringste unter euch zur göttlichen Majestät! Sie mache in Demut die Oberin darauf aufmerksam und sage ihr, daß sie irre! Ja, so sehr irrt diese, daß dadurch allmählich die wahre Armut zugrunde geht. Ich hoffe zum Herrn, daß dies nicht geschehen und er seine Dienerinnen nicht verlassen werde. Möge darum das, was ihr mir zu schreiben aufgetragen habt, euere Aufmerksamkeit stets rege erhalten, sollte es auch zu sonst nichts nützen!


  5. Glaubt es, meine Töchter, daß mir der Herr zu euerem Nutzen ein wenig Einsicht in die Vorteile verliehen hat, die in der wahren Armut liegen! Die es erproben, werden es einsehen, vielleicht aber nicht so gut wie ich; denn obwohl ich Armut gelobt hatte, so war ich doch nicht nur nicht arm im Geiste, sondern sogar töricht im Geiste. Die Armut im Geiste ist ein Gut, das alle Güter der Welt in sich begreift. Sie ist eine große Herrschaft, und nochmal sage ich: Der ist Herr über alle Güter der Welt, der sie verachtet. Was kümmere ich mich um die Könige und Herren, wenn ich weder nach ihren Einkünften verlange, noch ihnen zu gefallen begehre, sobald nur das Geringste vorkommt, wodurch ich ihretwegen Gott mißfallen würde? Was liegt mir an ihren Ehren, wenn ich einmal erkannt habe, worin die höchste Ehre eines Armen besteht, nämlich darin, daß er in Wahrheit arm ist?


  6. Ich halte dafür, daß Ehre und Geld fast immer sich zusammenfinden; wer die Ehre liebt, verabscheut auch das Geld nicht; wer aber dieses verachtet, macht sich auch wenig aus der Ehre. Verstehet dies wohl! Mir scheint nämlich das Streben nach Ehre immer von einigem Interesse an Einkünften und Geld begleitet zu sein, weil der Mensch, wenn er arm ist, in der Welt wunderselten geehrt wird; vielmehr achtet man ihn gering, wie ehrenwert er an sich auch sein mag. Die wahre Armut, das ist jene, die man einzig um Gottes willen erwählt hat, bringt eine überschwengliche Ehre mit sich, so daß es wohl niemand gibt, der sie nicht auf sich nehmen würde. Da braucht man niemand zu gefallen als Gott allein; und es ist ganz gewiß, daß man viele Freunde hat, wenn man keines Menschen bedarf. Dies habe ich durch die Erfahrung gut erkannt.


  7. Über diese Tugend ist schon so viel geschrieben worden, daß ich es nicht einmal ver- stehe, geschweige denn aussprechen könnte. Aus diesem Grunde und um sie nicht durch meine Lobsprüche herabzusetzen, will ich nichts weiter davon sagen. Ich habe nur ange- führt, was ich aus Erfahrung weiß. Dabei aber war ich, wie ich bekenne, so vertieft, daß

    ich es bis jetzt gar nicht merkte; weil es jedoch einmal gesagt ist, so möge man es, wenn es richtig ist, um der Liebe des Herrn willen stehenlassen. Die heilige Armut ist ja unser Wappen; sie ist am Anfange der Gründung unseres Ordens von unseren heiligen Vätern so hochgeschätzt und so vollkommen beobachtet worden, (daß sie nie etwas von einem Tage für den anderen aufbewahrten; mir wurde dies von solchen mitgeteilt, die es wissen). Dar- um laßt uns danach trachten, diese Tugend wenigstens im Innern zu bewahren, wenn sie auch im Äußeren nicht mit so großer Vollkommenheit von uns geübt wird! Unser Leben währt ja doch nur ein paar Stunden, der Lohn aber ist überaus groß. Und gäbe es auch kei- nen anderen als die Erfüllung dessen, was der Herr uns als Rat gegeben, so wäre es schon großer Lohn, Seiner Majestät in etwa nachzufolgen.


  8. Dieses Wappen müssen unsere Fahnen tragen; wir wollen die Armut in jeder Weise üben: in der Wohnung, in der Kleidung, in Worten und noch viel mehr in unseren Gedan- ken. Solange die Schwestern dies tun, haben sie nichts zu fürchten; und wenn Gott seine Gnade gibt, wird in diesem Hause die klösterliche Zucht nicht in Verfall geraten; denn star- ke Mauern sind, wie die heilige Klara sagt, die Mauern der Armut. Mit diesen und mit den Mauern der Demut wünschte sie, wie sie selbst sagte, ihre Klöster zu umgeben. Und gewiß, wenn die Armut in Wahrheit gepflegt wird, ist die Ehrbarkeit und alles übrige weit besser geschützt als durch die prachtvollsten Gebäude. Vor solchen mögen sich die Schwestern hüten! Um der Liebe Gottes und um seines Blutes willen bitte ich sie darum. Anderenfalls wollte ich, wenn ich es mit gutem Gewissen sagen kann, daß ein solches Gebäude an dem Tage einstürzte, an dem es vollendet würde.


  9. Es nimmt sich, meine Schwestern, sehr schlecht aus, von dem Gute der Armen große Häuser auszuführen. Gott verhüte dies! Vielmehr sollen unsere Häuser in allem arm und klein sein. Laßt uns doch in etwa unserem Könige ähnlich sein, der keine andere Woh- nung hatte als den Stall zu Bethlehem, worin er geboren wurde, und das Kreuz, an dem er starb! Das waren Wohnstätten, die wenig Bequemlichkeit bieten konnten. Jene, die gro- ße Gebäude ausführen, werden wissen, warum; sie haben gewiß heilige Absichten dabei. Aber für dreizehn arme Nönnchen reicht jeder Winkel hin. Es ist mir recht, wenn sie einen freien Raum mit einigen Einsiedeleien haben, um sich dahin zum Gebet zurückzuziehen; denn die strenge Klausur macht dies notwendig, und zugleich erfährt dadurch das Gebet und die Andacht eine Förderung; aber vor großen und prächtigen Gebäuden behüte uns Gott! Denkt immer, daß dies alles am Tage des Gerichtes zusammenstürzen wird! Und wis- sen wir, wie bald dieser Tag kommen kann? Daß aber dann ein von dreizehn Nönnchen bewohntes Haus mit großem Getöse einstürze, das geziemt sich nicht; denn wahre Arme sollen kein Aufsehen machen, sondern sich still verhalten, damit man Mitleid mit ihnen habe.

  10. Welche Freude wird es einmal für euch sein, wenn ihr seht, daß jemand durch das Almosen, das er euch gegeben, von der Hölle errettet worden ist! Dies ist gar wohl möglich; denn ihr seid verpflichtet, für euere Wohltäter recht anhaltend zu beten, weil sie euch die Nahrung geben. Zwar kommt diese vom Herrn; aber er will doch, daß wir uns auch gegen jene dankbar erzeigen, durch die er sie uns gibt. Mögen wir hierin nicht nachlässig sein!


  11. Nun weiß ich nicht mehr, was ich zu sagen begonnen habe, so weit bin ich davon abgekommen. Ich glaube, der Herr hat es so gewollt; denn ich hatte nie im Sinne, das zu schreiben, was ich hier gesagt habe. Seine Majestät halte uns allzeit an ihrer Hand, daß wir vom Gesagten nicht abweichen! Amen.


Drittes Hauptstück

Fortsetzung des im ersten Hauptstück Begonnenen. Ermahnung an die Schwestern, unab- lässig für jene zu beten, die für die Kirche arbeiten, daß Gott ihnen beistehe. Zum Schluß ein Klageruf.


  1. Ich komme jetzt wieder auf den Hauptzweck zu sprechen, zu dem uns der Herr in die- sem Hause vereint hat. Aus diesem Grunde wünschte ich innigst, wir vermöchten etwas, um Seiner Majestät zu gefallen. Ich sah so große Übel und merkte, daß menschliche Kräf- te nicht ausreichen, das Feuer jener Irrlehre zu löschen, das immer weiter um sich greift, obwohl man ein Heer zu werben sucht, um einem so großen Übel, womöglich durch Waf- fengewalt, zu steuern. Es schien mir darum nötig, daß hier geschehe, was zur Zeit des Krieges geschieht, wenn die Feinde in das ganze Land eingedrungen sind. Da zieht sich nämlich der Fürst des Landes, wenn er sich bedrängt sieht, in eine Stadt zurück, die er sehr stark befestigen läßt. Von hier aus macht er zuweilen auf die Gegner einen Ausfall. Wenn nun die Besatzung der Stadt aus auserlesenen Streitern besteht, so richten diese für sich allein mehr aus, als wenn sie sich unter vielen feigen Soldaten befänden; aus diese Weise wird oftmals der Sieg errungen. Und siegen jene auch nicht, so werden sie doch wenigstens nicht besiegt. Denn da unter ihnen kein Verräter ist, so könnten sie nur durch Hunger be- zwungen werden. Es kann aber hier keinen solchen Hunger geben, der sie zwänge, sich zu ergeben; sterben können sie, aber nicht überwunden werden.


  2. Aber wozu habe ich das gesagt? Damit ihr, meine Schwestern, daraus ersehen möget, um was wir Gott bitten sollen. (Wir sollen beten,) daß von den noch guten Christen, die in der Festung sind, keiner zu den Gegnern übergehe; daß der Herr die Befehlshaber der Festung oder der Stadt, nämlich die Prediger und Gottesgelehrten, recht sehr fördern mö- ge in ihrem Stande und ihnen seine Gnade verleihe, in der Vollkommenheit und in ihrem Berufe Fortschritte zu machen, da die meisten aus ihnen Ordensleute sind. Dies ist sehr

    notwendig, weil, wie ich schon gesagt habe, der kirchliche Arm, nicht der weltliche, uns beschützen muß. Und da wir weder in der einen noch in der anderen Weise etwas vermö- gen, um unserem Könige zu helfen, so wollen wir wenigstens so zu sein uns bemühen, daß unsere Gebete zur Unterstützung dieser Diener Gottes gereichen, die mit so großer Mühe und Anstrengung sich in der Wissenschaft und Frömmigkeit gefestigt haben, um jetzt die Sache des Herrn zu verteidigen.


  3. Ihr werdet vielleicht fragen, warum ich euch dies so dringend empfehle und warum ich sage, daß wir jene unterstützen müssen, die doch besser sind als wir. Ich will euch Antwort geben; denn ich glaube, ihr erkennt noch nicht genug, wie sehr ihr dem Herrn verbunden seid dafür, daß er euch an einen Ort geführt hat, wo ihr von Geschäften, von (gefährlichen) Gelegenheiten und vom Verkehr (mit der Welt) ganz abgesondert seid. Das ist eine überaus große Gnade, deren sich jene, von denen ich rede, nicht erfreuen. Es wäre dies auch zu diesen Zeiten weniger gut als zu anderen; denn ihr Beruf ist es, die Schwachen zu stärken und die Kleinen zu ermutigen. Wie stünde es wohl um die Soldaten, wenn sie ohne Führer wären? Sie müssen unter den Menschen leben und mit ihnen verkehren, sich in die Paläste begeben und sich mitunter den Menschen äußerlich sogar anbequemen. Und meint ihr, meine Töchter, es gehöre wenig dazu, mit der Welt zu verkehren, in der Welt zu leben, sich mit weltlichen Geschäften zu befassen, sich, wie gesagt, der Weltsitte anzubequemen und dabei doch, im Inneren der Welt fremd, ein Feind der Welt zu bleiben, in ihr wie in der Verbannung zu leben, kurz, nicht wie ein Mensch, sondern wie ein Engel zu sein? Denn wären sie nicht so, dann verdienten sie den Namen »Führer« nicht, dann verhüte Gott, daß sie aus ihren Zellen heraustreten, weil sie mehr schaden als nützen würden. Zu jetziger Zeit darf man keine Unvollkommenheiten an jenen wahrnehmen, die als Lehrer auftreten müssen.


  4. Sind sie innerlich nicht gefestigt in der Erkenntnis, wie wichtig es ist, alles Irdische mit Füßen zu treten, losgeschält zu sein von allem Vergänglichen und nur dem Ewigen zuzu- streben, so werden sie diesen Mangel, mögen sie ihn auch noch so sehr zu verbergen sich bemühen, doch in ihrem Äußeren offenbaren. Denn mit wem haben sie es zu tun als mit der Welt? Diese aber, dessen dürfen sie überzeugt sein, wird keine Unvollkommenheiten an ihnen unbeachtet lassen und ihnen nichts verzeihen. Von ihren guten Eigenschaften wird man vieles übersehen, ja diese vielleicht nicht einmal für etwas Gutes halten; aber daß man ihnen etwas Fehlerhaftes oder Unvollkommenes nachsehe, das dürfen sie nicht hoffen. Ich wundere mich, wie gut jetzt die Weltleute in der Vollkommenheit unterrichtet sind, nicht um sie zu üben — denn dazu halten sie sich nicht für verpflichtet, da sie schon viel zu tun meinen, wenn sie nur die Gebote vorschriftsmäßig beobachten —, sondern um andere zu tadeln; und manchmal halten sie wohl gar das, was Tugend ist, für sinnliches Ver- gnügen. Ihr dürft also nicht glauben, es sei zu dem schweren Kampfe, in den jene treten,

    nur eine geringe Hilfe Gottes notwendig; vielmehr bedürfen sie einer sehr großen.


  5. Bemüht euch darum, ich bitte euch, so zu sein, daß ihr für würdig befunden werdet, von Gott folgende zwei Dinge zu erlangen: Erstens, daß unter der großen Anzahl der Ge- lehrten und Ordensmänner recht viele sein mögen, die im Besitze der eben besprochenen notwendigen Gaben sind, und daß der Herr jene, die noch nicht ganz tauglich sind, taug- lich mache; denn ein vollkommener Mann wirkt mehr als viele unvollkommene. Zweitens, daß der Herr diese Männer, wenn sie einmal in diesen, wie gesagt, keineswegs leichten Kampf getreten sind, an seiner Hand halte, damit sie sich aus den vielen Gefahren der Welt retten und auf diesem gefahrvollen Meere dem Gesange der Sirenen ihr Ohr verschließen. Können wir hierin mit Gottes Gnade etwas erwirken, so kämpfen wir, obgleich in Klausur lebend, für ihn; ich will dann die Mühseligkeiten für sehr gut angewendet halten, die ich bei Errichtung dieses Winkels ausgestanden habe, wo ich zugleich die Beobachtung der Re- gel Unserer Lieben Frau und Gebieterin in ihrer ursprünglichen Vollkommenheit wieder einzuführen suchte.


  6. Betrachtet es nicht als etwas Vergebliches, ohne Unterlaß so zu flehen! Es gibt Men- schen, denen es hart scheint, nicht viel für ihre eigene Seele zu beten. Welches Gebet aber wäre besser als das genannte? Wenn ihr in Sorge seid, es werde dadurch für euch die Pein des Fegfeuers nicht gemindert, so wisset, daß durch dieses Gebet euere Strafe gemildert wird! Was dann noch abgeht, möge abgehen! Und sollte ich auch bis zum Tage des Gerich- tes im Fegfeuer bleiben, was liegt daran, wenn durch mein Gebet nicht nur eine einzige Seele gerettet, sondern vielmehr das Heil vieler Seelen und die Ehre des Herrn gefördert wird? Macht euch doch nichts aus vergänglichen Peinen, wenn es sich um etwas handelt, wodurch ihr dem, der für uns so viel gelitten, einen größeren Dienst erweiset! Fraget im- mer, was vollkommener sei! Ich bitte euch also um der Liebe des Herrn willen, flehet zu Seiner Majestät, daß sie unser Gebet für den erwähnten Zweck erhöre! Obwohl armselig, bitte ich doch den Herrn darum; denn es handelt sich hier um seine Ehre und um das Wohl seiner Kirche, und dahin zielen meine Wünsche.


  7. Es scheint Vermessenheit zu sein, zu denken, ich werde in dieser Hinsicht etwas errei- chen. Ich setze aber, o mein Herr, mein Vertrauen auf diese deine Dienerinnen hier, von denen ich weiß, daß sie nichts anderes wollen und anstreben, als dir zu gefallen. Deinetwe- gen haben sie das Wenige, das sie besessen, verlassen, und sie hätten noch mehr zu haben gewünscht, um dir damit zu dienen. Du, o mein Schöpfer, bist nicht unerkenntlich; wie sollte ich denken, du werdest nicht erfüllen, um was sie dich bitten? Hast du ja auch, o Herr, als du noch auf Erden wandeltest, die Frauenspersonen nicht verachtet, sondern im- mer mit großem Erbarmen ihnen deine Huld erwiesen. Verlangen wir von dir Ehren oder Einkünfte oder Geld oder sonst etwas, woran die Welt Gefallen hat, so erhöre uns nicht!

    Wenn wir aber zur Ehre deines Sohnes bitten, wie wolltest du, ewiger Vater, uns nicht er- hören, die wir tausend Ehren und tausend Leben für dich verlieren würden? So erhöre uns denn, o Herr, nicht um unseretwillen; denn wir verdienen es nicht, sondern um des Blutes und der Verdienste deines Sohnes willen!


  8. O ewiger Vater, sieh an die vielen Geißelstreiche, die großen Unbilden und grausamen Martern! Sie können von dir nicht vergessen werden. Wie kann also, o mein Schöpfer, dein so liebreiches Herz es dulden, daß das so geringgeachtet wird, was von deinem Sohne mit so glühender Liebe zu uns und deinem Wohlgefallen vollzogen wurde, da du ihm geboten hast, uns zu lieben! Wie gehen doch heutzutage die Irrlehrer mit dem Allerheiligsten Sa- kramente um, indem sie durch Zerstörung der Kirchen dessen Wohnstätten vernichten! Ja, wenn noch dein Sohn durch sein Handeln nach deinem Wohlgefallen etwas unterlas- sen hätte! Aber so hat er alles vollbracht. War es denn, ewiger Vater, nicht genug, daß er während seines Lebens nicht hatte, wohin er sein Haupt legen konnte, daß er stets so viele Mühseligkeiten ertrug? Sollten ihm jetzt auch noch die Wohnungen genommen werden, in die er seine Freunde zu Tische ladet, weil er ihre Schwachheit kennt und weiß, daß jene, die Beschwerden zu ertragen haben, einer solchen Speise bedürfen? Hat er für die Sün- de Adams nicht schon überflüssig genug getan? Muß dieses liebreichste Lamm es immer wieder entgelten, wenn wir sündigen? Gestatte es nicht, mein Gebieter! Deine Majestät besänftige sich jetzt! Sieh nicht unsere Sünden an, sondern unsere Erlösung durch deinen heiligsten Sohn! Sieh auf seine Verdienste und auf die Verdienste seiner glorreichen Mutter und so vieler Heiligen und Märtyrer, die um deinetwillen den Tod erlitten!


  9. Aber ach, o mein Herr, wie habe ich es gewagt, diese Bitte im Namen aller vorzutragen? O meine Töchter, welch eine schlechte Vermittlerin, die für euch das Wort führt, habt ihr zur Erhärtung euerer Bitte! Muß nicht der höchste Richter noch mehr erzürnt werden, da er mich so dreist sieht? Ja, billig wäre es und recht; aber siehe, o Herr, noch bist du ein Gott der Barmherzigkeit! So erzeige sie denn dieser armen Sünderin, diesem verächtlichen Wurm, der sich so sehr vor dir erkühnt! Sieh, o mein Gott, mein Verlangen und die Tränen, womit ich diese Bitte an dich richte! Vergiß meine Werke um deines Namens willen und hab’ Erbarmen mit so vielen Seelen, die dem Verderben entgegengehen! Stehe deiner Kirche bei! Verhüte weiteren Schaden in der Christenheit, o Herr! Sende Licht in diese Finsternisse!


  10. Um der Liebe des Herrn willen bitte ich euch, meine Schwestern, empfehlet Seiner Majestät dieses armselige Geschöpf und bittet sie, daß sie ihm Demut verleihe! Dazu seid ihr verpflichtet. Für die Könige und Vorsteher der Kirche, insbesondere für unseren Bi- schof, zu beten, trage ich euch nicht eigens auf; denn ich sehe, daß die gegenwärtigen Schwestern ohnehin so eifrig sind, daß mir eine Ermahnung dazu nicht notwendig er- scheint. Die Nachkommenden aber mögen bedenken, daß auch die Untergebenen heilig

sein werden, wenn der Obere es ist; und weil dies eine sehr wichtige Sache ist, so emp- fehlet sie beständig dem Herrn! Überdies sage ich euch noch: Wenn euere Gebete, euere Wünsche, euere Geißelungen und euere Fasten nicht das zum Ziele haben, wovon ich ge- sprochen, so glaubet ja nicht den Zweck zu erfüllen, zu dem euch der Herr an diesem Ort vereinigt hat!


 

Viertes Hauptstück

Ermahnung zur Befolgung der Regel. Drei Punkte, die für das geistliche Leben von Wich- tigkeit sind. Erläuterung des ersten dieser drei Punkte, der Nächstenliebe und des Schadens der Privatfreundschaften.


  1. Ihr kennt nun, meine Töchter, die große Aufgabe, die wir uns gestellt haben. Wie müs- sen wir aber sein, damit wir weder in den Augen Gottes noch in den Augen der Welt als sehr vermessen erscheinen? Offenbar liegt es uns ob, große Mühe anzuwenden; und da leisten uns großherzige Gedanken gute Dienste, damit wir uns ermutigen, erhabene Wer- ke zu vollbringen. Bemühen wir uns also mit großem Eifer, unsere Regel und Satzungen zu halten! Dann hoffe ich, daß der Herr unsere Bitten erhören werde. Nichts Neues verlange ich von euch, meine Töchter, sondern nur, daß wir unsere Gelübde beobachten; denn dies ist unser Beruf, und dazu sind wir verpflichtet. Allein, zwischen Halten und Halten besteht ein großer Unterschied.


  2. Es heißt in unserer ersten Regel: Wir sollen beten ohne Unterlaß. Wollen wir aber dies als das Wichtigste mit aller uns möglichen Sorgfalt erfüllen, so dürfen wir die vom Orden vorgeschriebenen Fasten und Geißelungen nicht unterlassen und müssen auch das gleichfalls vom Orden gebotene Stillschweigen beobachten; denn ihr wißt ja, daß das Gebet, soll es ein wahres sein, solcher Unterstützung bedarf, da ein weichliches Leben und Gebet sich nicht miteinander vertragen.


  3. Ihr habt mich gebeten, euch etwas über das Gebet zu sagen; zum Lohne für das, was ich euch darüber vortragen werde, bitte ich euch, das bisher Gesagte zu tun und es oft und gerne zu lesen. Bevor ich über das innerliche Leben, d. h. über das Gebet, spreche, will ich einiges anführen, was jene beachten müssen, die den Weg des Gebetes wandeln wollen. Die Erfüllung dieser Forderung ist ihnen so notwendig, daß sie unter Zuhilfenahme des Gebetes große Fortschritte im Dienste des Herrn machen können, sollten sie auch nicht zu hoher Beschauung gelangen; beachten sie jedoch diese nicht, dann werden sie unmöglich die Beschauung erreichen. Sollten sie dies aber dennoch meinen, so würden sie sich sehr täuschen. Der Herr verleihe mir zu meinem Vorhaben seine Gnade und lehre mich, was ich sagen soll, damit es zu seiner Ehre gereiche! Amen.

  4. Denket nicht, meine Freundinnen und Schwestern, daß ich euch viele Dinge aufladen werde! Nein, der Herr gebe nur, daß wir das tun, was unsere heiligen Väter verordnet und beobachtet haben! Denn auf diesem Wege haben sie sich diesen Namen (»heilige« Väter) erworben. Es wäre gefehlt, einen anderen Weg zu suchen oder von jemand sich zeigen zu lassen. Nur von drei Punkten werde ich ausführlich handeln, die in den Satzungen selbst enthalten sind; denn es ist sehr wichtig, daß wir einsehen, wieviel an deren Beobachtung gelegen ist, um sowohl innerlich als äußerlich den Frieden zu bewahren, den der Herr uns so sehr empfohlen hat. Der erste Punkt ist die gegenseitige Liebe, der zweite die Losschä- lung von allem Geschaffenen, der dritte die wahre Demut, der, obwohl zuletzt genannt, doch der hauptsächlichste ist und die übrigen in sich begreift!


  5. Was den ersten Punkt, die gegenseitige herzliche Liebe, betrifft, so ist daran so viel ge- legen; denn es gibt nichts so Verdrießliches, das von denen nicht leicht ertragen würde, die einander lieben. Es müßte schon etwas Schweres sein, was sie verdrossen machen könnte. Würde dieses Gebot in der Welt in der von Gott gewollten Weise beobachtet werden, so müßte dies meines Erachtens viel dazu beitragen, daß auch die übrigen Gebote gehalten würden; aber weil hierin bald zuviel, bald zu wenig geschieht, so erfüllen wir dieses Gebot nie ganz vollkommen. Man könnte zwar meinen, ein Übermaß in der gegenseitigen Liebe unter uns könnte nicht schaden; und doch bringt es so viel Unheil und so viele Unvollkom- menheiten mit sich, daß meines Erachtens niemand es glauben kann, wenn er nicht durch Augenschein sich davon überzeugt

    hat. Hier legt der böse Feind viele Fallstricke, die von dem Gewissen derer, die Gott nur obenhin zu gefallen sich bemühen, wenig beachtet und von ihnen gar noch als Tugend angesehen werden. Die aber nach Vollkommenheit streben, bemerken es wohl; denn es schwindet allmählich dem Willen die Kraft, um sich ganz der Liebe Gottes hinzugeben.


  6. Meines Erachtens dürfte diese Unordnung bei Frauenspersonen häufiger vorkommen als bei Männern; und die Nachteile, die für eine geistliche Gemeinde daraus entstehen, sind ganz offenbar. Daher kommt

    es, daß nicht alle gleichmäßig einander lieben, daß man empfindlich ist, wenn der Freun- din eine Unbill angetan wird, daß man etwas zu haben wünscht, um es ihr zu verehren, daß man Zeit sucht, um mit ihr zu reden, und oft noch mehr, um ihr zu sagen, wie sehr man sie liebt, statt wie sehr man Gott liebt, und andere ungebührliche Dinge. Denn so große Freundschaften zielen selten auf die gegenseitige Förderung in der Liebe Gottes hin; viel- mehr glaube ich, daß der böse Feind sie anstiftet, um in den Klöstern Spaltungen hervor- zurufen. Hat eine Freundschaft den Dienst der göttlichen Majestät zum Ziele, so zeigt sich dies bald; dann geht der Wille nicht leidenschaftlich zu Werke, sondern sucht Vielmehr in der Freundschaft eine Hilfe, um andere Leidenschaften zu überwinden.

  7. Ich wünschte, daß es in einem großen Kloster viele solche Freundschaften gäbe; aber in diesem Hause, wo nicht mehr als dreizehn sind und auch nicht mehr sein dürfen, sollen alle Freundinnen sein, alle

    einander lieben, einander wohlwollend unterstützen, ohne besondere Freundschaften zu unterhalten. Vor diesen, wie heilig sie auch sein mögen, sollen sich die Schwestern um der Liebe des Herrn willen hüten;

    denn sie sind gewöhnlich, auch unter Geschwistern, ein Gift, und ich sehe darin gar kei- nen Nutzen. Sind aber die Freundinnen noch dazu Verwandte, dann sind solche Freund- schaften eine noch viel schlimmere

    Pest. Dies mag euch vielleicht übertrieben scheinen; aber glaubt mir, meine Schwestern, daß in der Befolgung des Gesagten eine hohe Vollkommenheit und ein großer Friede liegt, daß damit denen, die noch zu wenig stark sind, viele (böse) Gelegenheiten abgeschnitten werden. Die Liebe neigt zwar der einen mehr zu als der anderen, ohne daß wir es

    verhindern können; es ist dies ein Zug der Natur, die uns oftmals antreibt, die Bösen zu lieben, wenn sie durch natürliche Gaben mehr ausgezeichnet sind; aber da müssen wir uns sehr zurückhalten, um uns

    von einer solchen Neigung nicht beherrschen zu lassen. Lieben wir die Tugenden und das innerlich Gute, und hüten wir uns mit aller Sorgfalt, auf äußere Vorzüge einen Wert zu legen! Gestatten wir nicht, meine Schwestern, daß unsere Liebe die Sklavin eines anderen sei, sondern nur dem zustrebe, der sie mit seinem Blute erkauft hat! Nehmt euch hierin wohl in acht, sonst werdet ihr euch unvermerkt so gebunden finden, daß ihr euch nicht mehr losmachen könnt! Ach, mein Gott, welch unzählbare Kindereien entstehen daraus, wenn man das Gesagte nicht beachtet! Weil diese aber so geringfügig sind, daß nur jene, die sie sehen, es begreifen und glauben werden, so will ich hier nichts weiter davon sagen. Ich bemerke nur, daß solche Dinge bei jeder (Schwester) vom Übel, bei der Oberin aber eine Pest wären.


  8. Um dergleichen Sonderheiten zu beseitigen, muß man gleich anfangs beim Entstehen der Freundschaft große Sorgfalt anwenden, jedoch mehr mit Geschick und Liebe als mit Strenge vorgehen. Ein gutes Schutzmittel dagegen besteht darin, daß die Schwestern nur zu bestimmten Stunden zusammenkommen und miteinander reden, wie es jetzt bei uns in Übung ist; wir sind (die ganze übrige Zeit) nicht beisammen, sondern jede bleibt nach der Vorschrift der Regel für sich allein in ihrer Zelle. Die Nonnen von St. Joseph sollen darum auch kein gemeinsames Arbeitszimmer haben; ist dies auch sonst eine löbliche Einrich- tung, so wird doch Stillschweigen leichter beobachtet, wenn jede für sich allein ist. Zudem ist es für das Gebet sehr nützlich, sich an die Einsamkeit zu gewöhnen; und weil die Haupt- beschäftigung in diesem Hause das Gebetsleben ist, darum müssen wir uns bemühen, das

    liebzugewinnen, was uns mehr dazu verhilft.


  9. Um nun wieder auf die gegenseitige Liebe zu kommen, so scheint es mir unbeschei- den zu sein, sie euch zu empfehlen. Denn wo gibt es so rohe Menschen, die einander nicht liebten, wenn sie immer miteinander umgehen, beisammen leben, keinen anderen Verkehr und Umgang, keine Unterhaltungen mit Auswärtigen haben und des Glaubens sind, daß Gott sie liebe und sie Gott lieben, da sie alles um Seiner Majestät willen verlassen haben? Denn die Tugend ladet ja immer in besonderer Weise zur Liebe ein; ich hoffe zu Seiner Majestät, daß diese mit der Hilfe Gottes allezeit in diesem Hause Wohnung haben wird. Ich glaube darum keine Ursache zu haben, euch zur Liebe besonders zu ermahnen. Soweit es meine Ungeschicklichkeit zuläßt, möchte ich setzt nur etwas Weniges darüber sagen, wie ihr einander lieben sollt, wie die tugendhafte Liebe, die ich in diesem Hause heimisch wünsche, beschaffen ist, und woraus wir abnehmen können, ob wir diese Tugend besitzen. Sie muß wohl eine große sein, da unser Herr sie uns so sehr empfohlen und seinen Apos- teln so nachdrücklich ans Herz gelegt hat. Solltet ihr diese Darlegung in anderen Büchern ebenso ausführlich finden, so braucht ihr von dem Meinigen nichts anzunehmen; denn vielleicht verstehe ich selbst nicht, was ich sage.


  10. Zwei Arten von Liebe sind es, von denen ich spreche. Die eine ist geistig; denn sie scheint in keiner Weise die Sinnlichkeit noch die Zartheit unserer Natur zu berühren, so daß sie ihre Reinheit verlieren würde. Die andere ist zwar auch geistig, aber in sie mischt sich unsere Sinnlichkeit und Schwäche. Indessen ist sie doch eine gute Liebe und scheint erlaubt zu sein, wie die Liebe zu den Verwandten und Freunden. Von dieser ist bereits die Rede gewesen.


  11. Ich will jetzt von der geistigen Liebe sprechen, in die sich keinerlei Leidenschaft ein- mischt; sobald dies jedoch der Fall ist, wird die Ordnung der Liebe gestört. Wenn wir dage- gen maßvoll und in Bescheidenheit mit tugendhaften Personen, besonders Beichtvätern, verkehren, so ist dies nützlich. Sobald ihr aber bemerkt, daß der Beichtvater Eitelkeit zur Schau trägt, so haltet alles für verdächtig und laßt euch mit ihm in keinerlei Gespräche, seien es auch fromme, ein, sondern verrichtet kurz euere Beichte und schließt damit! Am besten würde es sein, der Oberin zu sagen, daß sich euere Seele bei diesem Beichtvater nicht wohl fühle, und ihn zu wechseln. Kann dies geschehen, ohne seiner Ehre zu nahe zu treten, so ist dies das richtigste Verhalten.


  12. In solchen und anderen Fällen, in denen der böse Feind euch in Schwierigkeiten ver- wickeln könnte und ihr euch nicht zu raten wißt, wird es das Beste sein, mit einem gelehr- ten Manne zu sprechen. Dazu wird euch, wenn es notwendig ist, die Erlaubnis gegeben werden. Beichtet ihm, und dann tuet, was er im gegebenen Falle anrät! Denn da man doch

    ein Mittel anwenden muß, so könnte man in der Wahl eines solchen sehr irren. O wie viele Fehler geschehen in der Welt, weil man ohne Rat zu Werke geht, besonders da, wo es sich um den Schaden eines anderen handelt! Gar keine Mittel anzuwenden, geht aber auch nicht an; denn fängt der Teufel hier an, dann erreicht er nicht wenig, wenn ihm nicht gleich das Handwerk gelegt wird. Darum ist es, wie gesagt, das beste, sich mit einem ande- ren Beichtvater zu besprechen, wenn anders Gelegenheit dazu gegeben ist; und ich hoffe zum Herrn, daß es daran nicht fehlen wird.


  13. Bedenket wohl, wieviel an der Befolgung dieser Mahnung gelegen ist! Denn es han- delt sich um eine gefährliche Sache, um etwas, das die Hölle selbst ist und Schaden bringt für alle. Ich sage noch: Wartet nicht, bis ihr etwas sehr Böses wahrnehmt, sondern steuert dem Übel gleich anfangs auf alle mögliche Weise, wie ihr es mit gutem Gewissen tun zu können glaubt! Ich hoffe aber zum Herrn, er werde nicht zulassen, daß jene, die sich im- mer mit Gebet beschäftigen müssen, zu einem anderen als zu einem eifrigen Diener Gottes eine Zuneigung fassen können. Dies ist ganz gewiß, und wäre es anders, so würden sie sich weder dem Gebetsleben noch der Vollkommenheit hingeben, wie man sie bei uns anstrebt. Sehen sie jedoch, daß ein Beichtvater ihre Sprache nicht versteht und nicht gern von Gott redet, so können sie ihn doch wohl nicht lieben, weil er ihnen nicht ähnlich ist. Ist er es aber, so müßte er bei den wenigen Gelegenheiten, die bei uns vorkommen können, entwe- der sehr einfältig sein, oder aber, er wird weder sich selbst noch die Dienerinnen Gottes beunruhigen wollen.


  14. Weil ich doch einmal von dem großen Schaden zu reden begonnen habe, den der Teufel, wie gesagt, hier anrichten kann, so bemerke ich noch, daß das Übel erst sehr spät erkannt wird. Auf diese Weise aber kann die Vollkommenheit nach und nach verlorenge- hen, ohne daß man weiß, woher es kommt. Will der Beichtvater der Eitelkeit Raum geben, weil er selbst eitel ist, so wird er auch bei den anderen alles für geringachten. Gott bewahre uns um seines Namens willen vor solchen Dingen, die da hinreichen, alle Nonnen zu be- unruhigen, da ihr Gewissen ihnen das Gegenteil von dem sagt, was der Beichtvater ihnen nahelegt! Und sind sie notwendigerweise auf diesen einen angewiesen, so wissen sie nicht, was sie tun und wie sie sich beruhigen sollen; es würde ihnen gerade der Schaden, der ihnen helfen und sie beruhigen sollte. In dieser Hinsicht muß es an einigen Orten große Betrübnisse geben, die mich zum innigsten Mitleid bewegen. Darum wundert euch nicht, daß ich mich so sehr bemühe, euch mit dieser Gefahr bekanntzumachen!

     

Fünftes Hauptstück

Fortsetzung der Anweisung über das Verhalten den Beichtvätern gegenüber. Wieviel dar- an liegt, daß diese gelehrt seien.

  1. Der Herr wolle um seines Namens willen nicht zulassen, daß eine in diesem Hause jemals die Schwierigkeit verkoste, von der ich gesprochen, und auf solche Weise sich an Leib und Seele bedrängt fühle! Möge er auch verhüten, daß die Oberin so zum Beichtvater stehe, daß keine Schwester es wagen darf, ihr etwas gegen ihn oder ihm etwas gegen sie zu sagen! Daraus würde die Versuchung entstehen, sehr schwere Sünden in der Beichte zu verschweigen, weil die Schwestern fürchten müßten, sie möchten beunruhigt werden. Ach Gott, welchen Schaden kann der böse Feind hier anrichten, und wie teuer kommt den Schwestern jene Einschränkung und Ehre zu stehen! Da meint man nämlich, es trage sehr zur Wahrung der Ordenszucht und zur Ehre des Klosters bei, sich nur mit einem Beichtva- ter zu besprechen, indes der Teufel sich dieses Mittels bedient, die Seelen zu fangen, die er auf andere Weise nicht in seine Gewalt bekommen kann. Verlangen die Schwestern einen anderen Beichtvater, so meint man gleich, die Ordenszucht gehe dadurch zugrunde; ist aber der Gewünschte gar aus einem anderen Orden, und wäre er auch ein Heiliger, so hält man schon eine bloße Besprechung mit ihm für einen Schimpf.


  2. Um der Liebe des Herrn willen bitte ich die jeweilige Oberin, sie möge immer vom Bi- schof oder vom Provinzial diese heilige Freiheit erwirken, daß sie bisweilen gelehrte Män- ner, obwohl sie nicht die gewöhnlichen Beichtväter sind, berufen dürfe, damit sie selbst und die Schwestern alle mit ihnen sich besprechen und ihre Seelenangelegenheiten ihnen mitteilen, besonders wenn es den (gewöhnlichen) Beichtvätern an Gelehrsamkeit gebricht, wie tüchtig diese sonst auch sein mögen. Um die Wissenschaft ist es etwas Großes; sie gibt Licht in allem. Möglicherweise wird man bei einigen beides (Wissenschaft und Erfahrung) vereint finden. Je mehr Gnaden euch aber der Herr im Gebete erweist, desto notwendiger ist es, daß euere Werke und euer Gebet auf einem festen Grunde ruhen.


  3. Der erste Stein dazu muß, wie ihr schon wißt, ein gutes Gewissen sein; darum müßt ihr euch aus allen Kräften auch vor läßlichen Sünden zu bewahren und dem nachzustre- ben suchen, was das Vollkommenere ist. Es möchte scheinen, diese Sachen verstehe jeder Beichtvater; aber das ist eine Täuschung. Mir selbst ist dies begegnet mit einem, den ich in Gewissensangelegenheiten zu Rate zog; obwohl er den ganzen Kurs der Theologie durchge- macht hatte, fügte er mir dennoch großen Schaden dadurch zu, daß er bezüglich gewisser Dinge sagte, sie hätten nichts zu bedeuten. Ich weiß, daß er mich nicht absichtlich irrefüh- ren wollte; dazu hatte er keine Ursache, aber er verstand es nicht besser. Und so wie bei diesem erging es mir noch bei zwei oder drei anderen.


  4. Darin besteht unser ganzes Heil, daß wir ein klares Licht darüber haben, wie das gött- liche Gesetz vollkommen zu beobachten ist. Diese Erkenntnis ist die feste Grundlage des Gebetes; ohne diesen festen Grund aber hat der ganze Bau keinen Halt. Darum mögen die Schwestern, wenn ihnen die Freiheit nicht gestattet wird, Männern der bezeichneten Art zu

    beichten, mit solchen (wenigstens außer der Beichte) über die Angelegenheiten ihrer See- le sich besprechen. Ja, ich wage es, noch weiter zu sagen, daß dies manchmal auch dann geschehen soll, wenn der gewöhnliche Beichtvater die genannten Eigenschaften vereint be- sitzt; denn es bleibt immerhin möglich, daß er sich irre; und da ist es gut, daß nicht alle durch ihn dem Irrtum verfallen. Man muß jedoch immer darauf sehen, daß nichts gegen den Gehorsam geschieht. Es finden sich ja (erlaubte) Mittel für alles. Dergleichen Bespre- chungen sind den Seelen sehr förderlich, und darum ist es gut, daß die Oberin, soweit sie kann, Gelegenheit dazu verschaffe.


  5. Alles, was ich gesagt habe, geht die Oberin an; deshalb bitte ich sie wiederholt, den Schwestern diesen Trost in der besprochenen Weise zu verschaffen, da sie ja keinen ande- ren für ihre Seele suchen. Gott führt die Seelen verschiedene Wege, und es ist nicht un- umgänglich notwendig, daß ein Beichtvater diese alle kenne. Ich versichere euch, daß es nie an heiligen Männern fehlen wird, die trotz euerer Armut geneigt sind, mit euch zu ver- kehren und euere Seelen zu trösten, wenn ihr so seid, wie ihr sein sollt. Er, der euch mit leiblicher Nahrung versorgt, wird auch Männer erwecken und willfährig machen, eueren Seelen Licht mitzuteilen und jenem Übel zu steuern, das ich fürchte. Auch wird der Beicht- vater, sollte der Teufel ihn zu irgendeiner irrigen Lehre verleiten wollen, sich zurückhalten und auf alles, was er tut, besser achten, wenn er weiß, daß ihr euch mit anderen besprecht. Ist dieser Eingang dem Teufel verschlossen, dann hoffe ich zu Gott, er werde in dieses Haus keinen Zutritt finden. Darum bitte ich um der Liebe des Herrn willen den jeweiligen Bi- schof, den Schwestern diese Freiheit zu lassen und sie ihnen nicht zu nehmen, wenn diese Männer (denen sie beichten wollen) gelehrt und tugendhaft sind, was man an einem so kleinen Ort wie hier bald erfährt.


  6. Was ich hier gesagt, habe ich selbst gesehen und erfahren und mit gelehrten und heili- gen Männern besprochen, die erwogen, was zur Förderung der Vollkommenheit in diesem Haufe das ersprießlichste sei. Wir fanden, daß unter den Gefahren, denen wir in diesem Leben überall ausgesetzt sind, jene die geringste ist. Auch hielten wir für gut, daß es kei- nem Vikar und keinem Beichtvater jemals zu gestatten sei, nach Belieben im Kloster ein und aus zu gehen. Diese sollen nur über die Zurückgezogenheit und Ehrbarkeit des Hau- ses und über dessen inneres und äußeres Gedeihen wachen, um dem Oberen Anzeige zu erstatten, wenn es in einem Stücke fehlen sollte; sie selbst aber sollen nicht Obere sein.


  7. In dieser Weise wird es jetzt auch gehalten, und zwar nicht nach meinem eigenen Gut- befinden, sondern mit Gutheißung unseres gegenwärtigen Bischofs, unter dessen Gehor- sam wir stehen; denn aus vielen Gründen wurde unser Kloster nicht dem Orden, sondern ihm unterworfen. Dieser Bischof, Alvaro de Mendoza mit Namen, stammt aus einer sehr Vornehmen Familie und ist ein Freund aller klösterlichen Zucht und Heiligkeit sowie ein

großer Diener Gottes; er ist diesem Hause sehr geneigt und erweist ihm seine Gunst in jeder Form. Deshalb hat er auch gelehrte, dem geistlichen Leben ergebene und erfahre- ne Männer zusammenberufen, um mit ihnen über die hier besprochene Angelegenheit zu beraten. Das Ergebnis dieser Beratung war der Beschluß, daß man sich dem Gesagten gemäß verhalten solle. Es wird darum billig sein, daß auch die künftigen Oberen diesem Beschlusse beipflichten, weil er von so ausgezeichneten Männern gefaßt wurde, nachdem sie durch viele Gebete den Herrn um Erleuchtung angefleht, was das beste sei. Nach dem, was man bis jetzt beurteilen kann, ist dies gewiß das Beste. Möge es dem Herrn gefallen, den eingeführten Gebrauch immer zu erhalten, wenn es zu seiner Ehre gereicht! Amen.


 

Sechstes Hauptstück

Fortsetzung der begonnenen Unterweisung über die vollkommene Liebe.


  1. Ich bin (vom Gegenstande) weit abgekommen; aber das eben Erwähnte ist so wichtig, daß wohl niemand, der Einsicht in die Sache hat, mich deshalb tadeln wird. Kehren wir jetzt zu der Belehrung über die gegenseitige Liebe unter uns, die eine gute und erlaubte ist, zurück! Bezüglich jener Liebe, die ich rein geistig nenne, weiß ich nicht, ob ich selbst verstehe, was ich sage; wenigstens scheint es mir nicht nötig, viel von ihr zu sprechen, weil doch nur wenige sie besitzen. Wem der Herr sie verliehen hat, der lobpreise ihn sehr dafür; ein solcher muß schon eine sehr hohe Stufe der Vollkommenheit erreicht haben. Indessen will ich doch etwas darüber sagen; vielleicht wird es einigen Nutzen schaffen, da ja die Tugend, wenn sie uns vor Augen gestellt wird, jene anzieht, die nach ihr verlangen und sich um ihren Besitz bewerben. Gott gebe, daß ich selbst diese Tugend erkenne, und mehr noch, daß ich von ihr zu reden verstehe; denn ich glaube nicht zu wissen, wann die Liebe (rein) geistig ist und wann sich Sinnlichkeit beimischt, sowie ich überhaupt nicht weiß, wie ich darüber zu sprechen wage. Es mag mir manchmal ergehen wie einem, der in der Fremde reden hört, aber nicht versteht, was gesprochen wird; ich verstehe nicht, was ich sage; aber der Herr leitet mich so, daß ich es recht sage. Bringe ich manchmal Ungeschicklichkeiten vor, so ist mir nichts natürlicher, als daß ich etwas nicht treffe.


  2. Mir scheint im Augenblick die Sache so zu sein: Wird jemand von Gott zur klaren Erkenntnis dessen geführt, was die Welt und ihr Wert sind, daß es noch eine andere Welt gibt und diese von jener verschieden ist, daß die eine ewig dauert, die andere nur eine Traumwelt ist, so wird er in ganz anderer Weise lieben als wir, die wir noch nicht so weit gelangt sind. (Ebenso gestaltet sich die Liebe dessen anders), der erkennt, was es heißt, den Schöpfer lieben, und was die Liebe zum Geschöpfe ist, so daß er den Unterschied aus Erfahrung weiß, die eine viel bessere Erkenntnis verschafft als die Betrachtung und selbst der Glaube. Sieht und erfährt er endlich, was durch die eine Liebe gewonnen, durch die

    andere aber verloren wird, was es um den Schöpfer und was es um das Geschöpf ist, und versteht er noch so manche andere Dinge, über die der Herr jene belehrt, die sich von ihm im Gebete unterweisen lassen wollen, oder die Seine Majestät sonst unterweisen will, (so wird auch hier die Liebe einen höheren Grad annehmen).


  3. Es könnte euch, meine Schwestern, unbescheiden scheinen, daß ich von diesem Ge- genstande rede; und ihr sagt vielleicht, daß ihr all das, was ich erwähnt, schon wisset. Der Herr gebe nur, daß ihr es so wisset, wie es zweckdienlich ist, das heißt, daß es dem In- nersten eueres Herzens eingeprägt ist. Dann werdet ihr auch finden, daß ich nicht lüge, wenn ich sage: Jene, die der Herr bis hierher geführt, haben die Liebe, von der ich rede. Die auf diese Stufe von Gott erhobenen Seelen sind edle, königliche Seelen. Sie begnügen sich nicht, etwas so Elendes wie die menschlichen Körper zu lieben, so schön diese auch sein und so viele Reize sie auch haben mögen. An diesen findet zwar ihr Auge Gefallen, und sie loben dafür den Schöpfer, aber sie halten sich dabei nicht auf. Ich sage, sie halten sich dabei nicht auf, in der Weise nämlich, daß sie Liebe dazu faßten. Sie würden glauben, etwas Wertloses zu lieben und ihre Liebe nur einem Schatten zu weihen; sie würden vor sich selbst erröten und nicht ohne große Scham es wagen, zu Gott zu sprechen, daß sie ihn liebten.


  4. Ihr werdet mir entgegnen, solche Personen verständen nicht zu lieben noch die Liebe zu vergelten, die andere zu ihnen tragen. Ich antworte darauf: Wenigstens kümmern sie sich nicht darum, ob man sie liebt; und wird auch ihre Natur zuweilen schnell zur Freude hingezogen, wenn andere sie lieben, so erkennen sie doch, sobald sie wieder zu sich gekom- men sind, daß eine solche Freude Torheit ist, außer sie werden von Personen geliebt, die durch Belehrung und Gebet ihrer Seele nützlich sein können. Jede andere Liebe ist ihnen widerwärtig, weil sie einsehen, daß sie ihnen nichts nützen, sondern nur schaden kann. Sie sind darum nicht undankbar, sondern üben dadurch Vergeltung, daß sie jene, von denen sie geliebt werden, Gott empfehlen; sie nehmen die ihnen erwiesene Liebe so an, daß sie die Verpflichtung zur Gegenliebe auf Gott übertragen. Sie wissen nämlich, daß alles Lie- benswürdige von Gott kommt; und da sie an sich selbst nichts erblicken, was der Liebe wert ist, denken sie sogleich, man liebe sie, weil Gott sie liebt. Deshalb überlassen sie es Seiner Majestät, diese Liebe zu vergelten, und bitten sie darum. So sind sie frei von jeder weiteren Verpflichtung, die sie ihrer Ansicht nach nicht angeht.


  5. Richtig betrachtet ist es, wie ich mir manchmal denke, eine große Verblendung, wenn man verlangt, von anderen geliebt zu werden, außer von Personen, die, wie schon erwähnt, uns zum Erwerb vollkommener Güter verhelfen können. Beachtet nur, wie wir in der Liebe, die nach unserem Wunsche andere uns erweisen sollten, allzeit irgendein Interesse des Nutzens oder des Vergnügens für uns suchen! Jene vollkommenen Seelen aber haben schon

    alle Güter und Freuden, die die Welt ihnen bieten kann, unter den Füßen. Es ist ihnen, auch wenn sie wollten, sozusagen unmöglich, eine andere Freude zu haben als an Gott oder an der Unterhaltung über Gott. Welchen Vorteil könnte es ihnen also bringen, von anderen geliebt zu werden?


  6. Diese Wahrheit stellt sich ihren Augen dar; darum lachen sie über sich selbst, wenn sie an die Sorge denken, die sie ehedem beherrschte, ob ihre Liebe vergelten werde oder nicht. Denn wenn auch die Liebe eine gute ist, so ist uns doch der Wunsch sehr natürlich, daß sie (durch Gegenliebe) vergolten werde. Haben wir aber diesen Lohn erhalten, so müssen wir gestehen, daß er nicht mehr wert ist als Spreu; denn alles ist nur Wind und ohne Gehalt und wird vom Sturme verweht. Oder was bleibt uns am Ende davon? Daher ist es jenen vollkommenen Seelen gleichgültig, ob sie geliebt werden oder nicht, außer von solchen Personen, die, wie gesagt, ihrer Seele nützen können, weil sie die Schwachheit unserer Na- tur kennen, die bald ermüdet, wenn sie keine Liebe findet. Meint ihr aber, solche Seelen liebten selbst niemand und könnten niemand lieben außer Gott allein? Da würdet ihr euch irren. Sie lieben (den Nächsten) weit mehr; sie lieben ihn mit einer aufrichtigeren, feurige- ren und nützlicheren Liebe, kurz, mit einer Liebe, die wirklich Liebe ist. So sind sie denn auch immer mehr geneigt zu geben als zu empfangen, und dies selbst dem Schöpfer ge- genüber. Eine solche Liebe, sage ich, verdient es, Liebe genannt zu werden; jene niedrigen Zuneigungen dagegen tragen diesen Namen nur in angemaßter Weise.


  7. Vielleicht denkt ihr euch: Wenn solche Seelen das nicht lieben, was sie sehen, was lieben sie denn dann? Auch sie lieben, was sie sehen, und fassen Zuneigung zu dem, was sie hören; aber die Dinge, die sie sehen (und hören), sind bleibende. Wenn sie lieben, gehen sie sogleich über das Leibliche hinweg, richten ihre Augen auf die Seele und schauen, ob sich da etwas Liebenswürdiges findet. Finden sie so etwas nicht, gewahren sie aber doch einen Keim oder eine Anlage, die bei tieferem Nachgraben in solch einer Mine Gold hoffen läßt, so verdrießt sie keine Mühe; es kann ihnen nichts so Schweres vorkommen, das sie nicht zum Heile der Seele, die sie lieben, gerne täten. Sie wünschen nämlich, die Liebe ihr bleibend zu schenken, wissen aber gar wohl, daß dies unmöglich ist, wenn die Seele keine (übernatürlichen) Güter besitzt und Gott nicht innig liebt. Ich sage: unmöglich; denn wenn eine Seele sie auch noch so sehr verpflichten, vor Liebe zu ihnen hinschmachtete, alle möglichen Wohltaten ihnen erwiese und alle Gaben der Natur in sich vereinigte, so würde dies alles keine starke und dauerhafte Liebe in ihnen erzeugen können. Sie wissen ja und kennen aus Erfahrung, was alles (Irdische) wert ist; darum wird niemand sie zu täuschen vermögen. Sie sehen, daß eine solche Seele ihnen nicht gleichförmig ist und daß sie sich darum unmöglich dauerhaft lieben können; denn wenn der eine Teil das Gesetz Gottes nicht beobachtet, so nimmt die gegenseitige Liebe mit diesem Leben ein Ende. Sie sehen, daß eine solche Seele Gott nicht liebt und daß sie einem anderen Ort zuwandert, als wohin

    sie zu gelangen trachten.


  8. Eine Seele aber, der der Herr die wahre Weisheit eingegossen hat, achtet eine Liebe, die nur für dieses Leben dauert, nicht höher, als ihr Wert ist, ja noch geringer. Für jene, die am Genusse der Dinge dieser Welt, an Freuden, Ehren und Reichtümern, Gefallen haben, mag eine solche Liebe etwas wert sein, wenn der Geliebte reich ist oder ihnen Unterhaltung und Vergnügen verschaffen kann; wer aber dies alles verabscheut, kümmert sich wenig oder gar nicht darum. Wenn also solche Seelen lieben, so arbeiten sie leidenschaftlich dahin, daß die von ihnen geliebte Seele Gott liebt, damit diese auch von ihm geliebt werde; denn sie wissen, wie gesagt, daß anders ihre Liebe zu ihr von keiner Dauer sein wird. Es ist dies eine Liebe, die ihnen sehr teuer zu stehen kommt; denn solche Seelen unterlassen nicht, alles zu tun, was in ihren Kräften steht, um die geliebte Seele zu fördern, und tausend Leben gäben sie dahin, um ihr nur ein wenig zu nützen. O kostbare Liebe, die dem Heerführer der Liebe, Jesus, unserem höchsten Gute, nachfolgt!


 

Siebentes Hauptstück

Über dieselbe geistige Liebe. Einige Ratschläge zu deren Erwerb.


  1. Es ist wunderbar, wie leidenschaftlich diese Liebe ist. Wie viele Tränen, Bußübungen und Gebete läßt sie sich kosten! Mit welcher Sorge empfiehlt sie die geliebte Seele dem Gebete aller, von denen sie glaubt, sie könnten ihr bei Gott nützlich sein! Wie brennend ist das Verlangen nach ihrem geistigen Fortschritt, das sie beständig in sich trägt! Sie gibt sich nicht zufrieden, bis sie diesen an ihr wahrnimmt. Sieht sie aber diese in etwa zurück- schreiten, nachdem sie deren Fortschritt vermutet hatte, so glaubt sie in ihrem Leben keine Freude mehr haben zu können. Sie ißt nicht und schläft nicht ohne Sorge und ist in bestän- diger Furcht, die von ihr so sehr geliebte Seele könnte verlorengehen und also für immer von ihr getrennt werden. Ihren zeitlichen Tod achtet sie für nichts; denn sie will sich nicht an etwas hängen, das ihr von einem Lufthauch aus der Hand geweht wird, ohne daß sie es festzuhalten vermag. Es ist dies eine Liebe, die, wie gesagt, weder im Großen noch im Kleinen ihr eigenes Interesse sucht; all ihr Verlangen und Wünschen zielt vielmehr dahin, die geliebte Seele reich zu sehen an himmlischen Gütern. Ja, das ist Liebe, nicht aber je- ne erbärmlichen irdischen Zuneigungen; von der sündhaften Liebe aber, vor der uns Gott bewahre, wollen wir gar nicht reden.


  2. Um die Verderblichkeit einer Sache, die die Hölle selbst ist, zu schildern, brauchen wir uns nicht abzumühen, da selbst der geringste Schaden, den sie verursacht, unaussprechlich ist. Wir zumal, meine Schwestern, haben gar keine Ursache, diese Liebe in den Mund zu nehmen; wir sollten nicht einmal daran denken, daß sie in der Welt ist, und weder im Scher-

    ze noch im Ernste etwas davon anhören; ja, ihr sollt nicht gestatten, daß in euerer Gegen- wart davon gesprochen werde, weil es gar nichts nützt, wohl aber schaden könnte, wenn man auch nur zuhört. Wenn ich also von den schon erwähnten irdischen Zuneigungen spreche, so meine ich jene, die wir oder die Verwandten und Freundinnen erlaubterweise zueinander haben. Bei diesen geht alles Verlangen dahin, daß uns die geliebte Person nicht sterbe. Hat sie Kopfschmerzen, so scheint es uns in der Seele wehe zu tun; sehen wir sie in Mühseligkeiten, so geht uns sozusagen die Geduld aus. Und so ist es in allem.


  3. Die geistige Liebe ist nicht von dieser Art. Empfindet sie auch ob unserer natürlichen Schwachheit augenblicklich einen Schmerz, so überlegt doch sogleich die Vernunft, ob nicht jenes Leid der Seele nützlich sei, ob sie dadurch nicht reicher werde an Tugend, und sieht zu, wie sie es erträgt. Sie, die Liebe, bittet Gott, der geliebten Seele Geduld in ihrem Leiden zu verleihen, damit sie sich dadurch Verdienste sammle. Und sieht sie, daß diese geduldig ist, so hat sie keinen Kummer mehr, vielmehr freut und tröstet sie sich. Sie würde zwar lieber selbst leiden, als jene leiden sehen, wenn sie ihr nur auch das Verdienst und den Gewinn aus dem Leiden ganz zuwenden könnte; aber deshalb beunruhigt und quält sie sich nicht.


  4. Ich wiederhole es: Diese Liebe ist ein Nachbild jener Liebe, die Jesus, der wahre Liebha- ber, zu uns getragen hat. Daher schaffen auch jene, denen sie eigen ist, großen Nutzen; sie nehmen alle Mühe auf sich, damit andere ohne Mühe den Vorteil davon haben. Es gewin- nen also jene sehr viel, die mit solchen Seelen in Freundschaft verbunden sind. Sie werden

    — glauben Sie es mir — entweder davon ablassen, in besonderer Freundschaft mit ihnen zu verkehren, oder es beim Herrn erwirken, daß auch sie ihren Weg wandeln, da sie ja doch demselben Heimatland zustreben. So ist auch die heilige Monika mit dem heiligen Augustin verfahren. Solche Seelen können es nichtüber das Herz bringen, mit jenen, die sie lieben, falsch umzugehen. Sehen sie diese vom rechten Wege abweichen oder Fehler bege- hen, so halten sie es ihnen gleich vor; anders können sie nicht handeln. Und weil jene sonst nicht gebessert würden, darum schmeicheln sie ihnen nicht und verhehlen ihnen nichts. So werden sie sich entweder bessern oder die Freundschaft mit ihnen aufgeben, weil sie sol- che Zurechtweisungen nicht ertragen könnten. Es wäre auch in der Tat nicht auszuhalten, da beiderseits ein beständiger Krieg geführt würde. Zwar kümmern sich so vollkommene Seelen um die ganze Welt nicht und achten nicht darauf, ob andere Gott dienen oder nicht, sie sehen nur auf sich allein; aber ihren Freunden gegenüber können sie sich unmöglich in derselben Weise verhalten. Da bleibt ihnen nichts verborgen; sie sehen an ihnen auch die geringsten Stäubchen. Ich sage darum, sie tragen ein schweres Kreuz.


  5. Diese Liebesweise möchte ich in unserem Besitze sehen. Sollte sie auch anfänglich nicht so vollkommen sein, so wird der Herr sie doch vervollkommnen. Beginnen wir nur

    mit der Mittelstufe; wenn sich auch bei dieser noch einige Zärtlichkeit findet, so wird dies doch nicht schaden. Ist die Liebe nur eine allgemeine, dann ist es sogar gut und manch- mal notwendig, deren Zärtlichkeit zu zeigen, ja sie wirklich zu haben, um so auch Leiden und Krankheiten der Schwestern, selbst unbedeutende, mitzufühlen. Manchmal empfin- det eine Schwester ein ganz geringes Leiden ebenso schmerzlich als eine andere ein großes; und es gibt Personen von solcher Gemütsart, daß sie selbst wegen geringer Dinge sehr be- trübt werden. Wenn ihr da eine andere Natur habt, so versagt solchen euer Mitleid nicht! Vielleicht will unser Herr uns vor solchen Seelenleiden bewahren und sie uns in anderen Dingen empfinden lassen, die uns schwer vorkommen und es an sich auch wirklich sein mögen, indes sie anderen leichtfallen würden. Beurteilen wir darum andere in ihren Lei- den nicht nach uns und uns selbst nicht nach der Zeit, in der uns der Herr vielleicht ohne unser Zutun größere Stärke verliehen hat, sondern versetzen wir uns in jene Zeit zurück, in der wir schwächer waren!


  6. Bedeutet wohl, wie wichtig dieser Rat ist, um mit den Leiden des Nächsten, wie klein sie auch seien, Mitleid zu haben! Dies mögen sich besonders die obenerwähnten Seelen gesagt sein lassen. Da diese in ihrem Verlangen nach Leiden alles Widrige geringachten, so ist es ihnen sehr notwendig, daß sie achthaben, sich der Zeit zu erinnern, in der sie noch schwach waren; sie sollen bedenken, daß es nicht an ihnen gelegen ist, wenn sie nicht mehr schwach sind. Sonst könnte der böse Feind die Liebe zum Nächsten allmählich erkalten las- sen und uns zu der Meinung verleiten, es sei etwas Vollkommenheit, was im Gegenteil ein Fehler wäre. Der Teufel schläft nicht; darum müssen wir in allem achthaben und wach- sam sein. Am meisten aber müssen es jene sein, die in der Vollkommenheit schon weiter vorangeschritten sind; denn bei diesen sind die Versuchungen weit versteckter, da sie der böse Feind in anderer Weise nicht anzugreifen wagt; wenn sie also, wie gesagt, nicht acht- geben, so bemerken sie den Schaden erst, wenn er geschehen ist. Kurz, man muß beständig wachen und beten; es gibt ja kein besseres Mittel als das Gebet, um die geheimen Nachstel- lungen des Teufels zu entdecken und ihn zu nötigen, daß er sich verrate.


  7. Bemüht euch auch, mit den Schwestern fröhlich zu sein, wenn ihnen eine Erholung gestattet ist, deren sie bedürfen. Dies gilt ebenso zur Zeit der gewöhnlichen Erholung, auch wenn diese nicht nach euerem Geschmacke wäre. Dies alles ist, wenn es mit Bedacht ge- schieht, vollkommene Liebe. Es ist also sehr lobenswert, wenn die einen mit den anderen in ihren Nöten Mitleid haben; nur muß man dabei beachten, daß es nicht unbescheiden geschehe in Dingen, die gegen den Gehorsam verstoßen. Scheint einer Schwester etwas, was die Oberin befiehlt, schwer zu sein, so soll sie sich dies nicht merken lassen und mit niemand darüber reden; nur der Oberin selbst mag sie es in Demut sagen, sonst würdet ihr großen Schaden anrichten. Lernt unterscheiden, in welchen Dingen ihr Bedauern und Mitleid mit den Schwestern haben sollt! Jeder offenbare Fehler, den ihr an einer bemerkt,

    soll euch tief betrüben. Hier zeigt und übt sich in vortrefflicher Weise die Liebe auch da- durch, daß ihr eine solche zu ertragen wißt und über ihren Fehler euch nicht entsetzt. So werden sich auch andere bei eueren Fehlern verhalten, deren Zahl vielleicht weit größer ist, wenn man auch nur jene in Betracht zieht, die ihr selbst nicht kennt. Empfehlt die feh- lende Schwester eifrig Gott und bemüht euch, mit großer Vollkommenheit jene Tugend zu üben, die dem an ihr bemerkten Fehler entgegengesetzt ist! Ermutigt euch dazu, damit ihr so jene im Werke über das belehrt, was vielleicht Worte ihr nicht begreiflich machen und weder Worte noch auch Strafen an ihr bessern würden!


  8. Wenn eine die Tugend nachahmt, die sie an einer anderen leuchten sieht, so bleibt ihr diese tief eingeprägt. Dies ist ein nützlicher Rat; vergeßt ihn nicht! Wie gut, wahr und allgemein nützlich wird die Liebe einer Schwester sein, die ihren eigenen Vorteil dem der übrigen nachsetzt, ihnen in allem eifrig vorangeht und mit großer Vollkommenheit ih- re Regel hält! Eine solche Freundschaft wird besser sein als alle Zärtlichkeiten, die man einander sagen kann, wie z. B. »mein Leben«, »mein Herz«, »mein Schatz« und ähnliche. Dergleichen zärtliche Ausdrücke, die in unserem Hause nicht gebräuchlich sind und auch nicht gebraucht werden sollen, spart euch für eueren Bräutigam auf! Da ihr so viele Zeit und so ganz allein mit ihm verkehrt, werdet ihr euch solcher Ausdrücke durchgehends bedienen müssen, da Seine Majestät es erlaubt; wenn sie aber sonst häufig gebraucht wer- den, machen sie keinen besonderen Eindruck mehr in der Unterredung mit dem Herrn. Dafür also spart sie euch auf! Außerdem habt ihr keine Ursache, sie zu gebrauchen. Es ist das etwas sehr Weibisches; ich aber, meine Töchter, wünschte, daß ihr in keinem Stücke weibisch sein noch euch so zeigen möchtet, sondern in allem wie starke Männer. Tut ihr, was an euch ist, dann wird der Herr euch so mannhaft machen, daß selbst Männer dar- über staunen werden. Wie leicht ist dies Seiner Majestät, nachdem sie uns aus dem Nichts gezogen hat!


  9. Ein vortrefflicher Beweis der Liebe ist es auch, wenn ihr die Schwestern bei den häus- lichen Arbeiten der Mühe dadurch zu entheben sucht, daß ihr diese selbst auf euch nehmt. Desgleichen, wenn ihr euch freut und den Herrn von Herzen lobpreist für den Fortschritt in den Tugenden, den ihr an anderen bemerkt. Dies alles fördert, abgesehen von dem gro- ßen Nutzen, den es sonst noch mit sich bringt, den Frieden und die Eintracht unter den Schwestern ungemein, wie wir es jetzt durch die Güte Gottes erfahren. Seine Majestät ver- leihe, daß es immer so bleibe! Denn es wäre schrecklich, das Gegenteil zu sehen, und hart zu ertragen, wenn die wenigen unter sich uneins wären. Möge Gott dies nimmermehr zu- lassen!


  10. Sollte aber wegen irgendeines Wörtchens, das in der Übereilung gesprochen worden, ein Zwist entstehen, so sorget sogleich dafür, daß er geschlichtet werde, und betet inständig

    darum! Ja, fleht zum Herrn mit ganz besonderem Eifer, wenn dergleichen Uneinigkeiten länger dauern oder Parteiungen sich bilden würden, oder wenn das Verlangen, mehr zu sein oder besonders geehrt zu werden, sich unter euch kundgeben sollte! Während ich dies schreibe, scheint in mir das Blut zu stocken bei dem Gedanken, daß es einmal so kommen könnte; denn ich sehe dies als das Hauptübel in den Klöstern an. Wenn so etwas vorkom- men sollte, so haltet euch für verloren! Denkt und glaubt es, daß ihr eueren Bräutigam aus dem Hause vertrieben habt und ihn nötigt, sich um eine andere Wohnung umzusehen, da er aus seinem eigenen Hause verjagt ist! Ruft alsdann zu Seiner Majestät und sucht dem Un- heil abzuhelfen! Denn wenn so häufige Beichten und Kommunionen nichts mehr nützen, so möget ihr fürchten, es sei unter euch ein Judas.


  11. Die Priorin möge um der Liebe Gottes willen besonders darauf achten, daß solche Dinge nicht aufkommen, und ihnen gleich bei ihrem Entstehen starke Schranken entge- gensetzen; aller Schaden kommt davon, daß dem Übel nicht gleich anfangs gesteuert wird, während andererseits alles gerettet werden könnte. Jene aber, die als Unruhestifterin er- kannt wird, trachte man in einem anderen Kloster unterzubringen! Gott wird euch schon so viel geben, um ihr die (nötige) Aussteuer verschaffen zu können. Schafft solche Pest weg von euch! Schneidet soviel wie möglich die Äste ab, und wenn dies nicht hinreicht, so reißt die Wurzel aus! Könnt ihr aber dies nicht tun, so sperrt eine solche Unruhestifterin in das Gefängnis, aus dem sie nicht wieder herauskomme! Es ist dies viel besser, als wenn alle von dieser unheilvollen Pest angesteckt würden. O welch ein großes Übel ist dies! Gott bewah- re uns vor einem Kloster, das davon befallen wird! Lieber wollte ich, es bräche Feuer in diesem Hause aus und verzehrte uns alle. Ich gedenke über diesen Gegenstand anderwärts mehr zu sagen, weil er so wichtig ist, und darum will ich mich hier darüber nicht weiter verbreiten.


 

Achtes Hauptstück

Welch ein großes Gut es ist, sich sowohl innerlich als äußerlich von allem Geschaffenen loszuschälen.

  1. Wir wollen nun von der Losschälung sprechen, deren wir uns befleißigen müssen; in ihr ist alles enthalten, wenn sie vollkommen ist. Ja alles; denn wenn wir den Schöpfer allein umfangen und alles Erschaffene für nichts achten, gießt Seine Majestät uns die Tugenden in dem Maße ein, daß wir wenig mehr zu kämpfen haben werden, sofern wir uns nur all- mählich bemühen, das zu tun, was an uns liegt. Der Herr selbst tritt dann in den Kampf, um uns wider die höllischen Geister und die ganze Welt zu verteidigen. Glaubt ihr, meine Schwestern, es sei ein geringes Gut, wenn wir uns bemühen, uns ganz und ungeteilt dem hinzugeben, der unser Alles ist? Da nun, wie gesagt, in ihm alle Güter enthalten sind, so laßt

    uns, meine Schwestern, ihn lobpreisen für die Gnade, daß er uns an einem Orte vereinigt hat, wo wir uns einzig mit dieser Hingabe beschäftigen! Ich weiß darum auch nicht, warum ich davon rede, da ihr alle, die ihr hier seid, mich darüber belehren könnt; denn ich muß bekennen, daß ich in diesem so wichtigen Punkte noch nicht die Vollkommenheit besitze, die ich mir wünsche, und die ich, wie ich wohl weiß, haben sollte. Das gleiche muß ich von allen Tugenden und von dem sagen, was ich in diesem Buche schreibe; es ist leichter, über eine Tugend zu schreiben, als sie zu üben. Aber auch im Schreiben werde ich vielleicht das Rechte nicht treffen; denn manchmal ist es auf die Erfahrung zurückzuführen, wenn man etwas recht zu sagen weiß. Treffe ich das Rechte, so mag es daher kommen, daß ich das Gegenteil von den Tugenden, über die ich schreibe, an mir hatte. Was das Äußere betrifft, so ist es offenbar, wie abgeschieden von allein wir hier leben.


  2. O meine Schwestern, erkennet doch um der Liebe Gottes willen die große Gnade, die der Herr euch dadurch erwiesen, daß er euch hierhergeführt hat! Jede bedenke es wohl, daß sie nach dem Willen Seiner Majestät eine unter den Zwölfen sei, denen allein dieses Glück zuteil geworden ist! Wie viele von denen, die besser sind als ich, würden meines Wissens gern an diesem Orte sein, an den mich der Herr geführt hat, obwohl ich es so schlecht verdient habe! Sei dafür gepriesen, o mein Gott, von mir und allen Geschöpfen! Diese Gnade kann ich ebensowenig vergelten wie so viele andere, die du mir erwiesen hast. Überaus groß war schon die Gnade, daß du mich in den Ordensstand berufen hast. Weil ich aber so böse war, darum, o Herr, hattest du zu mir kein Vertrauen; denn da, wo so viele Tugendhafte zusammenleben, wäre meine Bosheit bis zum Ende meines Lebens nicht so offenbar geworden. Darum führtest du mich an diesen Ort, wo es wegen der geringen Zahl seiner Bewohnerinnen unmöglich scheint, daß meine Bosheit ihnen entgeht; deswegen muß ich auch sorgfältiger wandeln. Dazu räumtest du mir auch noch alle Gelegenheiten aus dem Wege, so daß ich, o Herr, — ich bekenne es — keine Entschuldigung mehr habe. Um so notwendiger ist mir darum deine Barmherzigkeit, auf daß du mir verzeihest, was ich noch Böses an mir habe.


  3. Um dies eine bitte ich euch recht sehr: Möchte eine jede, die sich als unfähig erkennt, die hier gebräuchlichen Übungen auf sich zu nehmen, dies auch eingestehen! Es gibt ja noch andere Klöster, in denen dem Herrn auch gedient wird; darum störe sie nicht die Ru- he dieser kleinen Schar, die Seine Majestät hier versammelt hat! Anderwärts hat man die Freiheit, Trost im Verkehr mit den Verwandten zu suchen; wenn hier Verwandte zugelas- sen werden, so geschieht es zu deren Troste. Die Nonne aber, die zu ihrem eigenen Troste ihre Verwandten zu sehen verlangt, halte sich für unvollkommen, es sei denn, daß diese auch ein geistliches Leben führen! Sie glaube es, daß sie noch nicht losgeschält und nicht gesund ist! Eine solche wird die Freiheit des Geistes und den vollkommenen Frieden nicht erlangen und bedarf des Arztes; wird sie nicht frei von dieser Krankheit und nicht gesund,

    so sage ich, sie tauge nicht für dieses Haus.


  4. Das beste Mittel für sie besteht nach meiner Ansicht darin, daß sie sich den Besuchen ihrer Verwandten entzieht, bis sie sich von ihrer Krankheit frei sieht und diese Freiheit mit vielem Gebet vom Herrn erlangt hat. Ist sie einmal in einer solchen Gemütsverfassung, daß ihr die Besuche ihrer Verwandten ein Kreuz sind, so mag sie in Gottes Namen diese sprechen; denn da wird sie ihnen nützen und sich selbst nicht schaden.


 

Neuntes Hauptstück

Wie heilsam das Fernbleiben von Verwandten für jene ist, die die Welt verlassen haben, und wieviel aufrichtigere Freunde sie finden.


  1. Würden wir Ordenspersonen den Schaden erkennen, der uns aus dem häufigen Ver- kehr mit unseren Verwandten erwächst, wir ergriffen vor ihnen die Flucht. Ich begreife nicht, welchen Trost sie uns verschaffen, ich will nicht sagen in dem, was Gott, sondern nur in dem, was unseren Frieden und unsere Ruhe betrifft. Ihre Ergötzungen können und dürfen wir nicht genießen; nur ihre Leiden können wir mitfühlen, von denen wir jedes beweinen müssen. Manchmal« trauern wir mehr als sie selbst, so daß es der Geist, wenn sie zuweilen dem Leib Gutes tun, wahrhaftig teuer bezahlen muß. Doch davon seid ihr an diesem Orte befreit; weil ihr hier alles gemeinsam besitzet und keine ein Geschenk für sich allein behalten darf, so gehört das Almosen, das die Verwandten euch geben, der Gemein- de. Es bleiben also auch die einzelnen frei von der Verpflichtung, jenen dafür gefällig zu sein; jede weiß ja, daß der Herr für alle insgesamt sorgt.


  2. Ich staune über den Schaden, den der Verkehr mit den Verwandten verursacht. Mei- nes Erachtens kann nur der es glauben, der es selbst erfahren hat. Und doch, wie sehr wird die Vollkommenheit in diesem Stücke in den Ordenshäusern außer acht gelassen! Ich weiß nicht, auf was wir, die wir uns rühmen, alles um Gottes willen verlassen zu ha- ben, eigentlich verzichtet haben in der Welt, wenn wir nicht vom Hauptgegenstand, von unseren Verwandten, losgetrennt sind. Es ist schon so weit gekommen, daß man es für Mangel an Tugend hält, wenn die Ordenspersonen ihre Verwandten nicht sehr liebhaben und nicht viel mit ihnen verkehren. Und was sagt man sonst noch davon? Welche Gründe führt man dafür an?


  3. Befleißt euch, meine Töchter, in diesem Hause sehr, euere Verwandten Gott zu emp- fehlen! Denn das ist billig. Außerdem aber weiset die Erinnerung an sie soviel wie möglich zurück, da ja unser Herz von Natur aus mehr an ihnen als an anderen Personen hängt. Ich bin von meinen Verwandten, wie sie mir sagten, sehr geliebt worden; und auch ich liebte

    sie derart, daß ich beständig an sie dachte; aber aus der Erfahrung, die ich sowohl an mir als auch an anderen gemacht habe, weiß ich, daß gerade die Verwandten uns am wenigsten helfen, wenn wir in Nöten sind. Ich nehme hier die Eltern aus; denn wunderselten ist es der Fall, daß diese ihren Kindern die Hilfe versagen. Es ist auch billig, daß wir uns gegen sie, wenn sie des Trostes bedürfen, nicht fremd verhalten, vorausgesetzt, daß das, was für uns die Hauptsache ist, nicht darunter leidet; wir können trotzdem doch losgeschält sein. Das nämliche gilt auch von den Geschwistern. Was aber die sonstigen Verwandten betrifft, so waren mir die Diener Gottes in meinen Anliegen eine weit größere Stütze als sie.


  4. Glaubt es mir, meine Schwestern, wenn ihr Gott nach bestem Können dient, so wer- det ihr keine besseren Verwandten finden als die Diener Gottes, die Seine Majestät euch zusendet. Ich weiß es, daß dem wirklich so ist. Wenn ihr in der bisher gewohnten Weise weiterlebt und zur Einsicht kommt, daß ihr bei entgegengesetztem Verhalten euerem wah- ren Freunde und Bräutigam mit Untreue begegnen würdet, so dürft ihr bezüglich dieses Punktes überzeugt sein, daß ihr in ganz kurzer Zeit die Freiheit (des Geistes) erringen und auf jene, die euch nur um Gottes willen lieben, mehr bauen könnt als auf alle euere Ver- wandten. Diese Diener Gottes werden euch nicht im Stiche lassen; ihr werdet an ihnen, obwohl ihr es nicht erwartet, Väter und Brüder finden. Da sie nur von Gott einen Lohn wollen, so dienen sie uns gerne; jene aber, die von uns eine Belohnung erwarten, werden bald müde, wenn sie sehen, daß wir arm sind und ihnen mit nichts dienen können. Dies ist zwar nicht bei allen der Fall; aber so ist es doch jetzt in der Welt am meisten gebräuchlich, und die Welt bleibt immer Welt. Wer euch etwas anderes sagen und das Gegenteil Tugend nennen wollte, dem glaubet nicht! Wollte ich alle daraus entspringenden Nachteile aufzäh- len, so müßte ich sehr weitläufig sein; aber da auch andere, die besser wissen, was sie sagen, darüber geschrieben haben, darum möge das Gesagte genügen! Habe ich schon trotz mei- ner so großen Unvollkommenheit diese Nachteile so gut erkannt, wie werden sie erst die Vollkommenen erkennen?


  5. Gewiß ist der Rat, den uns die Heiligen bezüglich der Weltflucht geben, gut. Aber seid überzeugt: Was uns am meisten von der Welt anzieht, das sind die Verwandten; und es gibt nichts, von dem man sich schwerer losschält als von ihnen. Darum handeln jene recht, die aus ihrem Vaterlande gehen, vorausgesetzt, daß ihnen dies (zur vollkommenen Losschä- lung von ihren Verwandten) behilflich ist. Denn meines Erachtens besteht diese Losschä- lung nicht in der körperlichen Absonderung, sondern darin, daß die Seele mit Entschie- denheit den guten Jesus, unseren Herrn, umfasse; in ihm findet sie alles, und vergißt sie auch auf alles. Indessen hilft doch die äußere Absonderung sehr viel, bis man diese Wahr- heit klar erfaßt hat. Später kann der Fall eintreten, daß wir nach dem Willen des Herrn mit unseren Verwandten umgehen müssen, weil er uns gerade mit dem ein Kreuz auflegen will, worin wir zuvor unsere Lust fanden.

 

Zehntes Hauptstück

Die Losschälung von den Verwandten reicht nicht hin, wenn man sich nicht auch von sich selbst losschält. Diese Tugend und die Demut sind miteinander verbunden.


  1. Wenn wir uns von der Welt und den Verwandten losgeschält haben und hier in be- sagter Weise eingeschlossen leben, so könnten wir glauben, wir hätten schon alles getan, und es gäbe nichts mehr zu bekämpfen. O meine Schwestern, haltet euch nicht für sicher und begebt euch nicht zur Ruhe, sonst könnte es euch ergehen wie einem, der ganz ruhig zu Bette geht, weil er die Türen seines Hauses aus Furcht vor Dieben gut geschlossen hat, während Diebe im Innern des Hauses verborgen sind! Ihr wißt schon, daß kein Dieb ge- fährlicher ist als jener, der im Hause sich aufhält. Nun seht aber: Auch wir haben immer uns selbst bei uns; sind wir nicht recht wachsam, und ist nicht jede sorgfältig bemüht, ih- ren eigenen Willen zu verleugnen, was das wichtigste von allem ist, dann können uns noch viele Dinge jener heiligen Freiheit berauben, die es dem Geiste gestattet, los von Erde und Blei, sich zu seinem Schöpfer zu erschwingen.


  2. Um die Neigung von den so wertlosen Dingen (dieser Erde) abzulenken und sie zum Unvergänglichen hinzuwenden, dient als vorzügliches Mittel die beständige Erinnerung, wie eitel alles ist und wie bald alles vergeht. Es scheint dies zwar nur ein schwaches Mittel zu sein, aber dennoch stärkt es die Seele sehr. Nebstdem müssen wir auch auf ganz kleine Dinge mit großer Sorgfalt achten und uns bemühen, die Gedanken davon abzuwenden und auf Gott zu richten, sobald wir eine Neigung dazu in uns gewahren. Seine Majestät hilft uns dazu. Sie hat uns ja die große Gnade erwiesen, daß in diesem Hause das meiste schon geschehen ist; (es wird aber auch noch die Losschälung von uns selbst gefordert), und es ist schwer, sich selbst zu vergessen und wider sich selbst zu sein, weil wir mit uns selbst ganz verbunden sind und uns selbst sehr liebhaben.


  3. Hier kann die wahre Demut Hilfe leisten; denn diese Tugend und die Selbstverleug- nung sind meines Erachtens immer beisammen. Es sind dies zwei Schwestern, die von- einander nicht getrennt werden dürfen. Sie sind nicht wie die Verwandten, die zu meiden ich rate; wir sollen sie vielmehr liebend umfangen und niemals ohne sie sein. O erhabe- ne Tugenden, Herrinnen alles Geschaffenen, Gebieterinnen über die Welt! Ihr befreit uns von allen Netzen und Fallstricken, die der böse Feind uns legen kann. Wie lieb waret ihr unserem Lehrmeister, Jesus Christus, der keinen Augenblick ohne euch war! Wer diese Tugenden besitzt, der kann gegen die ganze Hölle, gegen die ganze Welt und ihre Versu- chungen in den Kampf treten; er habe keine Furcht, da das Reich der Himmel sein ist! Ein solcher braucht sich vor nichts zu fürchten; denn er achtet es nicht und hält es für keinen Verlust, wenn er auch alles verliert. Er fürchtet bloß, seinem Gott zu mißfallen, und bittet

    ihn, er möge ihn in diesen Tugenden erhalten und nicht zulassen, daß er sie durch eigene Schuld verliere.


  4. Diese Tugenden haben das Eigentümliche, sich vor dem, der sie besitzt, derart zu ver- bergen, daß er sie nicht an sich bemerkt und nie an den Besitz einer dieser glauben kann, wenn man es ihm auch sagt. Er schätzt sie aber so hoch, daß er sich beständig um ihren Besitz bewirbt und sie so immer mehr in sich vervollkommnet. Auch werden sie an denen, die sie besitzen, gar wohl bemerkt; und wer mit ihnen umgeht, dem treten sie gar bald vor Augen, ohne daß jene es wollen. Doch welch ein törichtes Unterfangen ist es von mir, die Demut und Abtötung zu preisen, da sie vom König der Herrlichkeit selbst so sehr gerühmt sind und ihr Wert durch seine so großen Leiden so glaubwürdig bestätigt ist! Wohlan denn, meine Töchter! Hier gilt es, Mühe anzuwenden, um aus Ägypten auszuziehen; findet ihr diese Tugenden, so findet ihr das Manna. Alles wird euch dann schmackhaft werden; und so bitter es den Weltmenschen vorkommt, so süß wird es für euch sein.


  5. Das erste, um was wir uns bemühen müssen, besteht in der Verleugnung der Liebe zu unserem Leibe. Einige von uns sind von Natur aus der Bequemlichkeit des Lebens so zugetan, daß sie nicht wenig gegen diese Neigung zu kämpfen haben; sie lieben ihre Ge- sundheit so sehr, daß man Gott preisen muß, wenn man den Kampf sieht, den besonders Nonnen, aber auch andere (gegen sich selbst) führen. Dagegen scheinen manche Nonnen nur zu dem Zwecke in das Kloster gekommen zu sein, um sich gegen das Sterben zu schüt- zen; dazu wenden sie alle ihnen zu Gebote stehenden Mittel an. Bei uns läßt sich in dieser Hinsicht freilich wenig tun; allein ich wünschte, daß man auch nicht einmal ein Verlan- gen danach hätte. Entschließt euch, meine Schwestern, (euch davon loszumachen), da ihr ja gekommen seid, um für Christus zu sterben, nicht aber, um euch für Christus gut zu pflegen! Der böse Feind redet uns ein, es sei dies notwendig, um die Regel des Ordens er- tragen und beobachten zu können; und leider sorgt manche so sehr für die Erhaltung ihrer Gesundheit, daß es mit ihr zum Sterben kommt, ehe sie die Regel auch nur einen Monat oder vielleicht nur einen Tag vollkommen gehalten hat. Da weiß ich nicht, wozu wir (in das Kloster) gekommen sind.


  6. Fürchtet nicht, es möchte uns in dieser Hinsicht an der nötigen Mäßigung fehlen! Dies wäre ein Wunder; denn die Beichtväter sind alsogleich in Sorge, wir könnten uns mit Bußwerken zugrunde richten. Zudem haben wir selbst einen solchen Abscheu vor diesem Mangel an Mäßigung, daß ich wünschte, wir nähmen es in allem so genau wie hier. Ich weiß wohl, daß jene, die das Gegenteil tun, wenig sich um das kümmern werden, was ich sage; auch ich mache mir nichts daraus, wenn sie sagen, daß ich andere nach mir beurteile; denn sie sprechen die Wahrheit. Meines Erachtens sucht uns der Herr wegen unserer allzu großen Sorge für die Gesundheit um so mehr mit Krankheiten heim; mir wenigstens hat er

    dadurch große Barmherzigkeit erwiesen. Denn da ich mich sowieso gut gepflegt hätte, so wollte er mir eine Ursache dazu geben. Es ist zum Lachen, wenn man sieht, wie sich man- che in dieser Hinsicht selbst quälen. Manchmal kommt ihnen das Verlangen, Bußwerke zu verrichten ohne Maß und Zahl. Dieser Eifer dauert sozusagen zwei Tage lang. Dann stellt der böse Feind ihrer Einbildung vor, sie hätten sich dadurch (an der Gesundheit) gescha- det, und bewirkt, daß sie sich fürchten, fernerhin Bußwerke zu üben; sie scheuen sogar vor jenen zurück, die der Orden vorschreibt, weil sie, wie sie meinen, den Nachteil davon schon erfahren hätten. Da übertritt man dann selbst gewisse ganz leichte Vorschriften der Regel, wie z. B. das Stillschweigen, was uns doch gewiß nicht schaden kann. Kaum fühlt man etwas Kopfweh, so bleibt man schon vom Chore weg, der uns ebensowenig den Tod bringt. Dabei will man Bußwerke aus eigenem Kopfe ersinnen, während man weder das eine noch das andere halten kann. Zuweilen ist es nur ein geringes Unwohlsein, weswegen man nicht verpflichtet zu sein meint, etwas zu tun; man begehrt nur Erlaubnis, und damit beruhigt man sich.


  7. Aber, werdet ihr sagen, warum gibt denn die Priorin die Erlaubnis? Ich antworte: Wenn sie wüßte, wie es mit euch innerlich stünde, so würde sie vielleicht keine geben. Ihr selbst bringt ihr ja bei, wie notwendig es sei. Ein Arzt hilft vielleicht auch dazu, den ihr ebenfalls dafür gewonnen habt, und eine Freundin oder Verwandte steht dabei und weint. Was will also die Priorin tun? Sie fürchtet, gegen die Liebe zu fehlen, und sieht lieber eueren Fehler nach, als daß sie selbst fehlen möchte.


  8. Solche Dinge können zuweilen vorkommen; ich habe sie hier angeführt, damit ihr euch davor hütet. Denn wenn der böse Feind einmal anfängt, uns die Furcht einzujagen, wir könnten unsere Gesundheit verlieren, werden wir nie etwas erreichen. Der Herr ver- leihe uns Licht, damit wir in allem das Rechte treffen! Amen.


 

Elftes Hauptstück

Fortsetzung der Unterweisung über die Abtötung. Wie man sie in Krankheiten üben soll.


  1. Es scheint mir, meine Schwestern, eine Unvollkommenheit zu sein, wenn wir immer über kleine Leiden klagen. Tut dies nicht, solange ihr sie ertragen könnt! Ist das Leiden groß, so beklagt es sich von selbst. Das ist dann ein anderes Klagen und tritt bald zutage. Bedenket, daß ihr nur wenige seid! Hätte da eine die Gewohnheit, immer gleich zu klagen, so würde dies, wenn ihr Liebe zueinander habt, hinreichen, alle zu betrüben. Ist eine ernst- lich krank, so sage sie es und gebrauche die nötigen Mittel! Seid ihr frei von Eigenliebe, so wird euch jede Erleichterung so schwerfallen, daß nicht zu fürchten ist, ihr werdet sie ohne Not annehmen oder ohne Ursache klagen. Ist aber eine Notwendigkeit vorhanden,

    so wäre es viel schlimmer, wenn ihr dies nicht sagen würdet, als wenn ihr euch ohne Not eine Erleichterung gestatten wolltet; es wäre auch sehr unrecht, wenn man da kein Mitleid mit euch hätte. Doch um letzteres braucht ihr euch nicht zu kümmern; denn (in einem Kloster), wo Liebe herrscht und so wenige sich finden, da wird es euch nie an sorgfältiger Pflege fehlen.


  2. Wegen einiger weiblichen Schwächen und kleinen Unpäßlichkeiten aber zu klagen, soll euch nicht einfallen; denn manchmal bewirkt der böse Feind, daß wir uns die Schmer- zen nur einbilden. Es sind dies Krankheiten, die bald kommen und bald wieder vergehen. Legt ihr die Gewohnheit nicht ab, alles zu sagen und über alles zu klagen, es sei denn vor Gott allein, so werdet ihr damit nie zu Ende kommen. Denn unser Leib hat einmal den Fehler, daß er um so mehr Bedürfnisse entdeckt, je mehr er gepflegt wird. Es ist erstaun- lich, wie gut er versorgt sein will; wenn er nur irgendeinen Vorwand hat, mag die Rot auch noch so gering sein, so beträgt er die arme Seele und hindert sie, (in der Tugend) voran- zuschreiten. Denkt daran, wie viele Arme es gibt, die niemand haben, bei dem sie klagen könnten! Denn arm sein und gut gepflegt werden, geht nicht an. Denkt an so viele verheira- tete Frauen, die selbst in schweren Leiden und Trübsalen nicht zu klagen wagen, um ihren Ehemännern keinen Verdruß zu bereiten! Ich selbst kenne dergleichen Frauen, sogar aus vornehmem Stande. Was will also ich Sünderin? Wir sind ja doch nicht hierhergekommen, um besser gehalten zu werden als jene. O lernet doch, die ihr frei seid von großen Müh- seligkeiten der Welt, wenigstens ein kleines Leid Gott zuliebe ertragen, ohne daß alle es wissen! Eine Frau, die sehr unglücklich verheiratet ist, leidet oft schwer, ohne bei jemand Trost zu suchen, weil sie fürchtet, ihr Ehemann möchte es erfahren, wenn sie etwas sagen oder sich beklagen würde. Und wir sollten nicht irgendein Leid, das Gott zur Strafe für un- sere Sünden uns schickt, in der Stille mit ihm und uns allein tragen, zumal durch Klagen das Übel ja doch nicht behoben wird?


  3. Unter all dem bisher Gesagten verstehe ich nicht schwere Krankheiten, z.B. ein heftiges Fieber, obwohl ich bitte, auch in diesen das Klagen zu mäßigen und stets die Geduld zu bewahren. Ich meine hier nur geringe Leiden, die man außer dem Bette ertragen kann. Was wäre es aber, wenn das hier Geschriebene außer dem Kloster gelesen würde? Was würden alle Nonnen von mir sagen? Ach, wie gerne wollte ich alles ertragen, wenn nur eine einzige gebessert würde! Denn wegen einer einzigen, die so empfindlich ist, kommt es so weit, daß man fast keiner mehr glaubt, wie krank sie auch sein mag. Denken wir an unsere heiligen Väter, die Einsiedler der Vorzeit, deren Leben wir nachahmen wollen! Welche Leiden haben diese in ihrer Einsamkeit erduldet, welche Kälte, welchen Hunger, welche Sonnenhitze, ohne jemand klagen zu können außer Gott allein! Meint ihr, sie waren von Eisen? Nein, sie waren so schwach wie wir. Glaubt es mir, meine Töchter, wenn wir einmal damit beginnen, diesen armseligen Leib zu meistern, wird er uns nicht mehr so

    lästig sein. Es wird andere genug geben, die darauf achten, was euch notwendig ist; darum legt die Sorge für euch selbst ab, wenn nicht eine offenbare Not euch drängt! Wenn wir uns nicht entschließen, Krankheit und Tod geduldig hinzunehmen, so werden wir nie etwas erreichen.


  4. Bemüht euch, die Furcht vor dem Tode abzulegen, und gebt euch ganz in die Hand Gottes! Komme dann, was da wolle. Was liegt daran, wenn wir sterben? So oft hat der Leib unser schon gespottet, warum sollten wir nicht auch seiner einmal spotten? Glaubet mir, daß an diesem Entschluß mehr gelegen ist, als wir einzusehen imstande sind! Tun wir dies oft, so werden wir mit Gottes Hilfe allmählich die Herrschaft über unseren Leib erlangen; und dadurch, daß wir einen solchen Feind überwinden, erringen wir einen großen Vorteil, um glücklich den Kampf dieses Lebens zu bestehen. Der Herr verleihe uns in seiner Macht die Gnade dazu! Wohl glaube ich, daß nur der den daraus entspringenden Gewinn erkennt, der den Sieg bereits errungen hat. Dieser Gewinn ist aber so groß, daß meines Erachtens wohl niemand eine Mühe scheuen würde, um zu dieser Herrschaft und Ruhe zu gelangen.

 

Zwölftes Hauptstück

Wie der das Leben und die Ehre geringachten muß, der Gott in Wahrheit liebt.


  1. Gehen wir auf andere Dinge über, die gleichfalls sehr wichtig sind, obgleich sie wenig zu bedeuten scheinen! Es kommt uns zwar alles sehr schwer an, und nicht mit Unrecht, da wir gegen uns selbst zu kämpfen haben; sobald wir aber Hand ans Werk legen, wirkt Gott so mächtig in der Seele und erzeigt ihr so viele Gnaden, daß ihr alles, was wir in die- sem Leben tun können, gering erscheint. Wir Nonnen vollbringen ja schon das Schwerste, indem wir aus Liebe zu Gott unserer Freiheit entsagen und sie der Gewalt eines anderen überlassen; wir nehmen ferner so viele Beschwerden, Fasten, Stillschweigen, eine so stren- ge Klausur hin, versehen den Chordienst und gestatten uns nur hie und da, so gerne wir es auch wünschten, eine Erleichterung — und vielleicht bin ich in den vielen Klöstern, die ich gesehen, die einzige, die dies tut —: Warum sollten wir dann zögern, uns auch innerlich ab- zutöten, da alsdann alles andere weit vollkommener geschieht, viel verdienstlicher ist und auch mit mehr Entzücken und innerer Freude geübt wird? Diese innere Abtötung werden wir uns dadurch erwerben, daß wir, wie gesagt, allmählich uns gewöhnen, unserem Willen und Begehren auch in geringen Dingen entgegenzuhandeln, bis wir endlich den Leib dem Geiste ganz unterworfen haben.


  2. Ich sage es noch einmal: Alles oder doch sehr vieles hängt davon ab, daß wir die Sorge für uns selbst und unsere Bequemlichkeit aufgeben. Wer ernstlich beginnt, dem Herrn zu dienen, dem ist das Leben das geringste Opfer, das er ihm bringen kann. Er hat ihm ja schon seinen Willen hingegeben; warum sollte er das Opfer seines Lebens noch scheuen?

    Ist er ein Ordensmann oder ein dein Gebete wahrhaft ergebener Mensch und verlangt er nach göttlichen Tröstungen, so ist es klar, daß er auch das Verlangen, für Gott zu sterben, und das Martyrium nicht scheuen darf. Oder wißt ihr noch nicht, meine Schwestern, daß das Leben eines guten Ordensmannes und dessen, der zu den vertrauten Freunden Gottes gehören will, ein langes Martyrium ist? Es ist lang; denn im Vergleich zur Marter derer, die in einem Augenblick enthauptet wurden, kann man es lang nennen. Übrigens ist das Leben nur kurz und bei einigen sehr kurz. Wissen wir aber, ob das unsere nicht so kurz ist, daß es eine Stunde oder einen Augenblick, nachdem wir uns entschlossen, Gott vollkommen zu dienen, enden wird? Dies könnte wohl möglich sein! Immerhin aber ist das, was einmal ein Ende nimmt, nicht zu achten. Und wer sollte sich nicht mühen (für sein Heil), wenn er bedenkt, daß jede Stunde die letzte sein kann?


  3. Glaubt es mir, solche Erwägungen leiten uns am sichersten! Gewöhnt euch also daran, in allem dem eigenen Willen entgegenzuhandeln! Denn wenn ihr in der besagten Weise zu Werke geht, so werdet ihr es hierin allmählich, ohne zu wissen wie, zur Vollkommenheit gebracht haben. Erscheint aber die Forderung, sich gar keine Befriedigung zu verschaffen, nicht recht hart? Man kann dies schon meinen, wenn man nicht bedenkt, welche Freuden und Wonnen, welches Verdienst diese Verleugnung des eigenen Willens mit sich bringt, und welche Sicherheit schon in diesem Leben darin liegt. Da ihr aber in diesem Kloster alle so zu handeln gewohnt seid, so ist das meiste schon geschehen. Jede muntert die andere auf und hilft ihr; nun soll jede die andere zu übertreffen bemüht sein.


  4. Recht sehr muß man wachen über die inneren Regungen, besonders über das Verlan- gen, einen Vorzug vor anderen zu behaupten. Gott behüte uns durch sein heiliges Leiden vor Worten und freiwilligen Gedanken wie diese: »Ich bin länger im Orden als jene; ich bin älter; ich habe mehr gearbeitet; jene behandelt man besser als mich.« Wenn ähnliche Gedanken kommen, muß man ihnen sogleich den Zugang wehren. Schenkt ihr diesen Ge- danken Gehör oder bringt ihr sie sogar in euerer Rede zum Ausdruck, so ist dies eine Pest und eine Quelle großer Übel. Hättet ihr eine Priorin, die dergleichen Dinge auch nur im mindesten duldete, so haltet dafür, Gott lasse sie euerer Sünden wegen in euerer Mitte, da- mit sie der Anfang eueres Verderbens sei! Fleht alsdann in inbrünstigem Gebete zu Gott, daß er euch helfe, da ihr in großer Gefahr seid!


  5. Ihr könntet mir entgegnen, warum ich denn so ernst über diesen Punkt rede; dies sei doch gar zu strenge, da Gott ja auch solche mit Tröstungen heimsucht, die nicht so losge- schält sind. Ich glaube das; denn in seiner unendlichen Weisheit sieht Gott, wie nützlich ihnen diese Tröstungen sind, um sie dahin zu bringen, daß sie seinetwegen alles verlassen. Unter »alles verlassen« verstehe ich hier nicht den Eintritt in den Ordensstand; denn hier- für können Hindernisse bestehen, und eine vollkommene Seele kann überall losgeschält

    und demütig sein, obwohl es ihr in der Welt mehr Mühe kosten wird, weil sie hier jener Hilfsmittel entbehrt, die sie im Ordensstande finden würde. Aber glaubt mir nur eines: Wer noch nach Ehre geizt oder sein Herz an zeitliche Güter hängt, der wird nie weit vor- anschreiten und nie zum Genusse der echten Früchte des (innerlichen) Gebetes gelangen, wenn er auch viele Jahre sich dieser Übung ergeben oder, besser gesagt, in der Betrachtung zugebracht hat; denn nur das vollkommene Gebet beseitigt schließlich diese Fehler. Nicht nur in der Welt, auch in den Klöstern kommen die genannten Fehler vor, obwohl hier die Gelegenheiten dazu mehr abgeschnitten sind, ein Umstand, der die Schuld vergrößert.


  6. Prüft euch darum, meine Schwestern, ob euch an diesen Dingen etwas gelegen ist! Denn zu keinem anderen Zwecke seid ihr hier (als um sie zu verachten). Legt ihr aber auf Ehrenbezeigungen einen Wert, so werdet ihr dadurch nicht an Ehre gewinnen und auch jenen Gewinn verlieren, den ihr hättet erringen können; in diesem Falle sind also Unehre und Verlust miteinander vereint. Eine jede prüfe sich, wie tief sie in der Demut begründet ist! Daraus wird sie schließen können, wie weit sie (in der Vollkommenheit) vorangeschrit- ten ist. Meines Erachtens wird der böse Feind es nicht wagen, den wahrhaft Demütigen bezüglich der Ehre oder eines Vorzuges auch nur durch eine erste Regung zu versuchen; denn bei seinem großen Scharfblicke fürchtet er die Niederlage. Es ist unmöglich, daß ein Demütiger, wenn ihn der Teufel in dieser Beziehung versucht, in der Demut nicht erstarke und zunehme. Denn es ist klar, daß dabei die Seele auf ihr bisheriges Leben hinblicken und betrachten wird, wie wenig sie dem Herrn gedient hat im Vergleich mit dem, was sie ihm schuldig ist. Sie wird beherzigen, welche Erbarmung uns der Herr dadurch erwiesen hat, daß er sich zu uns herabgelassen, um uns ein Beispiel der Demut zu geben. Sie wird an ihre Sünden denken und an den Ort, den sie durch diese verdient hatte. Durch solche Er- wägungen gewinnt die Seele so viel, daß der Teufel ein andermal nicht wiederzukommen wagt, um nicht mit zerschlagenem Kopfe abziehen zu müssen.


  7. Nehmt indessen noch folgenden Rat von mir an und vergeßt ihn nicht! Wollt ihr euch am Teufel rächen und um so schneller von der Versuchung frei werden, so gebt euch mit dem Gewinne, den ihr innerlich selbst daraus ziehen sollt, nicht zufrieden, da ohne diesen euer Schaden schon ein großer wäre! Bemüht euch vielmehr, auch äußerlich den anderen Schwestern aus euerer Versuchung einen Gewinn zu verschaffen! Wenn also der Versucher sich euch naht, so bittet die Oberin, daß sie euch irgendeine niedrige Beschäftigung auf- trage, oder, wenn ihr könnt, tut von selbst etwas solches! Bemüht euch, eueren Willen zu brechen in Dingen, die euch zuwider sind! Der Herr wird sie euch schon finden lassen? Auf diese Weise wird die Versuchung bald ein Ende haben. Bewahre uns Gott davor, daß wir, die wir ihm dienen wollen, an Ehre denken sollten! Bedenket, welch schlechter Gewinn dabei zu machen ist! Denn die Ehre geht, wie schon erwähnt, dadurch verloren, daß man danach strebt, besonders wenn es sich um einen Vorrang handelt. Kein Gift in der Welt

    bringt dem Leibe so sicher den Tod wie die Ehrfurcht der Vollkommenheit der Seele.


  8. Vielleicht sagt ihr: Dies sind natürliche Schwächen, Kleinigkeiten, die wenig Beach- tung verdienen. Doch scherzet nicht! Denn solche Dinge nehmen zu wie der Schaum, und es gibt nichts Kleines bei einer so großen Gefahr, wie sie die Ehrsucht und das Nachsinnen, ob man uns nicht unrecht getan, mit sich führen. Wißt ihr aber, auf welche Weise sich diese Gefahr einschleicht? Ich will es euch, ohne viele andere Gründe anzuführen, an einem Bei- spiele klarmachen. Der Teufel beginnt damit, eine Schwester vielleicht in etwas Geringem, das fast gar nichts bedeutet, zu versuchen, und sofort bringt er einer anderen die Meinung bei, es sei dies etwas Großes. Diese wird es sodann für ein Werk der Liebe halten, jener zu sagen, wie sehr sie ein so großes Unrecht mitempfinde; Gott möge ihr Geduld verleihen, sie möge ihre Leiden ihm aufopfern, ein Heiliger könne nicht mehr ertragen. Kurz, der Teufel legt ihr einen Schwall von Worten auf die Zunge, so daß ihr, wenn auch die andere sich überwindet und ihr Leiden erträgt, doch noch eine Anfechtung zur eitlen Ehre bei etwas zurückbleibt, was sie gleichwohl nicht mit der geziemenden Vollkommenheit ertragen hat.


  9. Unsere Natur ist so schwach, daß wir trotz unserer Bemerkung, wir hätten in Ertra- gung der uns zugefügten Beleidigung nichts zu leiden, diese doch fühlen und meinen, da- durch etwas geleistet zu haben, daß wir sie hinnehmen. Um wieviel mehr dann, wenn wir sehen, daß auch andere unseretwegen schmerzlich berührt werden. Auf solche Weise ver- liert die Seele die Gelegenheit, sich Verdienste zu sammeln, wird schwächer und öffnet dem Teufel die Türe, daß er ein andermal mit einer schlimmeren Versuchung kommen kann. Und wenn eine den Willen hat, erlittenes Unrecht geduldig zu ertragen, so kann auch das geschehen, daß eine andere zu ihr kommt und sagt, ob sie denn ein unvernünftiges Tier sei. So etwas müsse man doch wohl empfinden. O meine Schwestern, möge sich doch um der Liebe Gottes willen keine durch unkluge Liebe verleiten lassen, einer anderen wegen solcher vermeintlichen Unbilden Mitleid zu bezeigen! Es wäre dies jenem Mitleide gleich, das dem heiligen Job von seinem Weibe und seinen Freunden entgegengebracht wurde.


 

Dreizehntes Hauptstück

Fortsetzung der Unterweisung über die Abtötung. Wie eine Ordensperson, um zum wah- ren Rechte zu kommen, die Ehren und die Rechtfertigungen der Welt fliehen muß.


  1. Ich habe es euch, meine Schwestern, schon oft gesagt und will es euch jetzt zur blei- benden Erinnerung auch schriftlich hinterlassen: Alle Nonnen dieses Hauses und alle, die nach Vollkommenheit streben, müssen es aufs sorgfältigste vermeiden zu sagen: »Ich hatte recht, man hat mir unrecht getan; die mir dies zugefügt, haben keinen Grund dazu gehabt.« Gott bewahre uns vor so schlimmen Rechtfertigungen! Meint ihr wohl, unser guter Jesus

    habe mit Recht so viele Unbilden erfahren, und man habe sie ihm mit Grund zugefügt? Will eine kein anderes als das ihr mir vollem Recht auferlegte Kreuz tragen, so weiß ich nicht, warum sie im Kloster ist. Sie möge nur wieder hinausgehen in die Welt; auch da wird man auf ihre Rechtfertigungen keine Rücksicht nehmen. Könnt ihr wohl so viel lei- den, daß ihr nicht noch mehr verschuldet hättet? Was für einen Grund zu klagen habt ihr also? Ich sehe wahrlich keinen ein.


  2. Wenn man uns Ehre erweist oder gute Pflege angedeihen läßt oder sonst uns gut behan- delt, dann mögen wir dergleichen Reden vorbringen; denn in diesem Leben geschieht uns dies gewiß nicht mit Recht. Widerfährt uns aber eine Beleidigung, wie man es zu nennen pflegt, obgleich uns dadurch kein Unrecht geschieht, so weiß ich nicht, was wir dagegen zu sagen haben. Entweder sind wir Bräute eines so großen Königs oder nicht. Sind wir es, so frage ich: Wo gibt es eine ehrenhafte Gattin, die nicht teilnimmt an der Schmach, die ih- rem Gatten angetan wird, wenn sie auch im übrigen kein Verlangen darnach hat? Eheleute müssen an Ehre oder Unehre gegenseitigen Anteil nehmen. Wollen wir einst an dem Rei- che unseres Bräutigams und an dessen Freuden Anteil haben, so wäre es Torheit, wollten wir jetzt nicht teilnehmen an seiner Schmach und an seinem Leiden.


  3. Gott bewahre uns davor, daß wir so etwas begehren! Vielmehr halte sich jene, die meint, sie werde für die Geringste aus allen angesehen, für die Glücklichste; denn sie ist es wirklich, wenn sie es erträgt, wie sie soll. Es wird ihr alsdann weder in diesem noch im anderen Leben an Ehre fehlen. Dies möge man mir glauben! Doch wie töricht bin ich, Glauben an mein Wort zu verlangen, nachdem die ewige Weisheit selbst sich darüber aus- gesprochen hat! Laßt uns, meine Töchter, doch wenigstens in etwa die tiefe Demut der heiligsten Jungfrau nachahmen, deren Habit wir tragen! Es wäre schmachvoll, wenn wir uns ihre Namen nennen, ihr aber in der Demut nicht ähnlich sein wollten. Ich sage: Laßt uns sie wenigstens in etwa nachahmen! Denn wie tief wir uns auch zu erniedrigen meinen, so bleiben wir doch noch weit entfernt von jener Demut, die wir als Töchter einer solchen Mutter und als Bräute eines solchen Bräutigams haben müßten.


  4. Um aber von den erwähnten Versuchungen weiter zu sprechen, so sage ich: Versperrt man diesen nicht mit Sorgfalt den Weg, dann wird das, was heute noch nichts zu bedeuten scheint, morgen vielleicht schon eine läßliche Sünde sein, die von so schlimmer Art ist, daß sie bei unserer Nachlässigkeit auch noch andere Sünden nach sich zieht. In geistlichen Gemeinden ist dies ein sehr großes Übel. Darum sollen wir, die wir in einer solchen Ge- meinde leben, sehr darauf achten, daß jene, die sich bemühen, uns Gutes zu tun und uns ein gutes Beispiel zu geben, durch uns keinen Schaden erleiden. Würden wir erkennen, welch großen Nachteil es bringt, wenn eine böse Gewohnheit aufkommt, so wünschten wir eher zu sterben, als daran eine Schuld zu haben. Dies wäre doch nur ein leiblicher Tod;

    der Schaden aber, den die Seelen erleiden, ist ein großer, ja ein Schaden, der kein Ende zu nehmen scheint. Sind die einen gestorben, so kommen andere nach, und alle lassen sich von einer bösen, durch uns eingeführten Gewohnheit vielleicht mehr anziehen als von vie- len Tugenden, die wir geübt. Eine böse Gewohnheit läßt der Teufel nicht abkommen; die Tugenden aber vergißt die menschliche Schwachheit von selbst.


  5. O welch großes Liebeswerk würde eine Nonne vollbringen und welch großen Dienst Gott erweisen, wenn sie nach der Wahrnehmung, die in diesem Hause eingeführten Ge- bräuche nicht ertragen zu können, dies gestände und wieder ginge. Möge sie ihr eigenes Interesse berücksichtigen, wenn sie nicht eine Hölle schon in diesem Leben und, was Gott verhüte, die Hölle auch im anderen Leben haben will; denn dies wäre aus vielen Gründen zu befürchten, die vielleicht weder sie selbst noch die anderen so gut erkennen werden, wie ich sie kenne.


  6. Glaubet mir also, sonst wird die Zeit euch von der Wahrheit meiner Worte überzeugen! Unsere Lebensweise soll nicht bloß die von Nonnen, sondern von Einsiedlerinnen sein, und darum müssen wir uns losreißen von allem Geschaffenen. Ich sehe auch, daß der Herr diese Gnade denen erweist, die er besonders an diesen Ort berufen hat. Wenn sie auch noch nicht vollkommen losgeschält sind, so ist doch aus ihrer großen Zufriedenheit und Freude darüber, daß sie sich nicht mehr mit zeitlichen Dingen befassen müssen, sowie aus dem Geschmack, den sie an allen klösterlichen Übungen finden, ersichtlich, daß sie schon der vollkommenen Losschälung entgegengehen. Ich wiederhole es also: Hat eine noch Neigung zu den Dingen der Welt und gewahrt sie an sich keinen Fortschritt (in der Abtötung), so soll sie gehen. Will sie doch Nonne sein, so trete sie in ein anderes Kloster ein, sonst wird sie sehen, wie es ihr ergehen wird. Dann dürfte sie sich aber über mich, die ich dieses Kloster gegründet, nicht beklagen und sagen, ich hätte sie nicht gewarnt.


  7. Dieses Haus ist ein Himmel, wenn man je auf Erden einen Himmel finden kann; ein Himmel für jene, deren einzige Freude es ist, Gott zu gefallen, ohne auf ihre eigene Befrie- digung Rücksicht zu nehmen. Diese führen hier ein sehr angenehmes Leben. Jene aber, die sonst noch etwas sucht, wird alles verlieren, weil sie das Gesuchte nicht haben kann. Eine mißvergnügte Seele gleicht dem, der großen Ekel hat; auch die beste Speise widert ihn an; und was die Gesunden mit großer Lust essen, das erweckt in seinem Magen Ekel. Anderswo wird eine solche (Seele) ihr Heil leichter wirken und vielleicht allmählich noch zur Vollkommenheit gelangen, die sie hier nicht erringen konnte, weil man sie auf einmal verlangt. Bezüglich des Inneren wird allerdings Zeit gegeben, um sich ganz loszuschälen und abzutöten; aber was das Äußere betrifft, so muß dies bald geschehen. Würde eine hier, wo sie alle anderen die Abtötung üben sieht und immer in so guter Gesellschaft sich be- findet, in einem Jahre nicht voranschreiten, so fürchte ich, sie werde auch in vielen Jahren

keine Fortschritte machen, wenn sie nicht gar rückwärts schreitet. Ich sage nicht, daß sie gleich so vollkommen sein müsse wie die anderen; aber man muß doch wenigstens sehen, daß es besser mit ihr geht. Ist die Krankheit tödlich, so erkennt man dies bald.


 

Vierzehntes Hauptstück

Wieviel daran gelegen ist, daß man keine Nonne zur Ablegung der Gelübde zulasse, deren Geist gegen das Besprochene eine Abneigung hat.


  1. Ich glaube gewiß, der Herr werde denen reichlich seine Gnade mitteilen, die fest ent- schlossen sind, (in vollkommener Losschälung ihm zu dienen). Darum muß man achtha- ben, in welcher Absicht eine Person in den Orden tritt, ob dies nicht etwa, wie es bei vielen der Fall sein wird, nur darum geschieht, damit sie im Kloster ihre zeitliche Versorgung fin- de. Zwar kann der Herr diese Absicht noch umgestalten, wenn eine ein gutes Verständnis hat; fehlt es aber an diesem, so soll man sie durchaus nicht aufnehmen. Eine solche würde die Verkehrtheit ihrer Absicht, in der sie eingetreten ist, weder selbst erkennen noch auch andere verstehen, die sie eines Besseren belehren wollten. Meistens meinen jene, denen es an Verstand fehlt, sie wüßten besser als selbst die Verständigsten, was ihnen nütze. Es ist dies ein Übel, das ich für unheilbar halte, da meistens auch noch Bosheit mitspielt. Wo viele zusammenleben, mag eine solche noch geduldet werden können; unter wenigen aber ist sie unerträglich.


  2. Hat eine einen guten Verstand, so wird sie, wenn sie einmal am Guten Gefallen zu finden beginnt, dies auch fest ergreifen; denn sie sieht ein, daß dies das Beste für sie ist. Wenn sie auch nicht durch hohe Einsicht sich nützlich erweisen kann, so wird sie doch guten Rat geben und sonst vielfachen Nutzen bringen können, ohne anderen zur Last zu fallen. Fehlt es aber einer an Verständnis, dann weiß ich nicht, wie sie in der Gemeinde sich nützlich erweisen könnte; sie kann nur sehr viel schaden. Diesen Mangel an Verständnis merkt man nicht so bald. Denn manche sprechen gut, verstehen aber wenig; andere dage- gen sprechen wenig und gar nicht gut und richtig, aber ihr Verstand begreift doch vieles Gute. Es gibt nämlich Personen voll heiliger Einfalt, die für die Geschäfte und Gebräuche der Welt wenig, für den Umgang mit Gott aber viel Verständnis besitzen. Darum ist es not- wendig, daß man bei einer Schwester, ehe man sie aufnimmt, genau nachforsche und sie lange prüfe, bevor man sie die Gelübde ablegen läßt. Die Welt soll es einmal erfahren, daß ihr die Freiheit habt, Untaugliche zu entlassen. In einem Kloster von strenger Observanz hat man viele Anlässe dazu; und ist dies etwas Gewöhnliches, so wird man es nicht als eine Beleidigung ansehen.

  3. Dies sage ich, weil die Zeiten setzt so unglücklich sind und unsere Natur so schwach ist, daß uns das Gebot unserer Vorfahren nicht mehr genug ist, um uns über das, was man heutzutage für Ehre hält, hinwegzusetzen; denn die Furcht, die Verwandten zu beleidigen, hält uns davon ab. Gebe Gott, daß wir nicht im anderen Leben wegen der Aufnahme sol- cher Personen zu büßen haben! Denn an einem Vorwande, uns selbst zu bereden, daß wir sie aufnehmen dürften, wird es uns niemals fehlen.


  4. Dies ist eine Sache, auf die jede einzelne achthaben sollte, um sie Gott zu empfehlen und die Oberin zu ermutigen (menschliche Rücksichten zu überwinden), da so viel daran gelegen ist. Ich flehe deshalb zum Herrn, daß er euch hierin erleuchte. Dadurch, daß ihr keine Aussteuer annehmt, seid ihr ohnehin in einem großen Vorteile. In Klöstern, die Aus- steuer fordern, kann es geschehen, daß man, um das schon verbrauchte Geld nicht wieder herausgeben zu müssen, den Dieb im Hause behält, der den Schatz raubt. Dies ist nicht wenig zu bedauern. Was euch betrifft, so soll kein Mitleid mit irgend jemand euch bewe- gen, eine Person zu behalten, die für dieses Kloster nicht taugt; sonst würdet ihr ihm nur schaden, während ihr ihm nützen wolltet.

 

Fünfzehntes Hauptstück

Welch großen Gewinn es bringt, wenn man sich nicht entschuldigt, sollte man auch einer Schuld geziehen werden, deren man sich nicht bewußt ist.


  1. Es ist sehr beschämend für mich, euch zur Übung einer Tugend zu bereden, die ich zu- vor selbst, wenigstens einigermaßen, geübt haben sollte, von der ich aber bekennen muß, daß ich in ihr noch sehr wenig zugenommen habe. Immer meine ich einen Grund zu ha- ben, der mich glauben macht, es sei der Tugend angemessener, wenn ich mich entschuldi- ge. Weil manchmal die Entschuldigung erlaubt ist und deren Unterlassung unrecht wäre, so habe ich nicht die Unterscheidungsgabe, oder, besser gesagt, nicht so viel Demut, um zu tun, was sich geziemt. Es ist in Wahrheit große Demut, sich unschuldig verurteilt zu sehen und doch zu schweigen; es ist dies eine vortreffliche Nachahmung des Herrn, der alle Schulden von uns genommen hat. Darum bitte ich euch dringend, die Übung dieser Tugend euch recht angelegen sein zu lassen, da sie großen Gewinn verschafft. Dagegen sehe ich nicht ein, welchen Nutzen es bringen könnte, wenn wir uns selbst zu entschuldi- gen suchen, es sei denn, wie gesagt, in gewissen Fällen, in denen aus dem Verschweigen des wahren Sachverhaltes Verdruß oder Ärgernis entstehen könnte. Dies werden indessen jene, die mehr Unterscheidungsgabe haben als ich, besser zu beurteilen wissen.


  2. Meiner Ansicht nach ist viel daran gelegen, sich diese Tugend anzugewöhnen, oder vielmehr, weil sie von der Demut kommen muß, sich zu bemühen, vom Herrn wahre De- mut zu erlangen. Wer wahrhaft demütig ist, wird auch das ernstliche Verlangen haben,

    geringgeachtet, verfolgt und selbst in schweren Dingen unschuldig verurteilt zu werden. Will er Christus nachfolgen, worin kann er es besser tun als hierin? Dazu bedarf es keiner körperlichen Kräfte und keiner Hilfe von seiten eines Menschen, sondern nur der Hilfe Gottes.


  3. Ich wünschte, meine Schwestern, wir möchten uns solch großer Tugenden recht be- fleißen und auf diese Weise in der Buße üben; von übermäßigen Bußwerken aber halte ich euch, wie ihr selber wißt, ab, weil Bußwerke der Gesundheit schaden können, wenn sie unbesonnen vollbracht werden. Hierin jedoch hat man nichts zu befürchten; denn die innerlichen Tugenden, wie groß sie auch sein mögen, schwächen doch nicht die Kräfte des Leibes, die man nötig hat, um dem Orden zu dienen. Die Seele aber wird durch sie gestärkt. Da könnt ihr es durch Übung in ganz kleinen Dingen — ich habe das schon des öfteren anderswo gesagt — allmählich dahin bringen, daß ihr auch in großen den Sieg erringt. Was letzteres betrifft, so habe ich freilich an mir selbst diese Erfahrung noch nicht machen kön- nen, da ich noch nie etwas Böses von mir reden hörte, ohne daß ich einsah, man sage noch zu wenig. War ich auch unschuldig in dem, dessen man mich beschuldigte, so hatte ich doch viele andere Beleidigungen Gottes begangen, und ich meinte, es wäre Schonung ge- nug, wenn man diese nicht erwähnte. Auch freue ich mich allezeit mehr, wenn man etwas von mir sagt, was nicht wahr ist, als wenn es wahr ist.


  4. Um dahin zu gelangen, daß wir uns niemals entschuldigen, dient sehr die Betrach- tung, wieviel wir dadurch in jeder Hinsicht gewinnen, und wie wir, richtig betrachtet, nie unschuldig sind, wenn wir einer Schuld geziehen werden, da wir immer voll von Schuld sind. Selbst der Gerechte fällt (des Tages) siebenmal; und wir würden lügen, wenn wir sag- ten, wir hätten keine Sünde. Haben wir also in dem, dessen man uns zeiht, keine Schuld, so sind wir doch nie ganz ohne Schuld, wie der gute Jesus es war.


  5. Wenn ich, o mein Herr, bedenke, auf wie vielfache Art du gelitten und es doch in kei- nerlei Weise verschuldet hast, so weiß ich nicht, was ich von mir sagen soll, noch wo mein Verstand war, als ich nichts ertragen wollte, noch wo er dann ist, wenn ich mich entschul- dige. Du, mein höchstes Gut, weißt es, daß mir das Gute, wenn ich etwas an mir habe, nur von deiner Hand geschenkt wurde. Was verschlägt es dir aber, o Herr, ob du viel oder wenig gibst? Gäbest du wegen des geringen Verdienstes nicht viel, so habe ich auch jene Gnaden nicht verdient, die du mir schon erwiesen hast. Wie kann ich noch verlangen, daß jemand gut denke von einem so bösen Wesen, wie ich bin, nachdem man so viel Böses von dir gesagt hat, der du gut bist über alles Gute? Nein, mein Gott, das geht nicht an, das geht nicht an! Ich möchte nicht, daß du an deiner Dienerin etwas duldest, was deinen Augen mißfällig ist. Siehe, o Herr, die meinigen sind blind und geben sich (in deinem Dienste) mit gar Wenigem zufrieden! So gib mir denn Licht und bewirke, daß ich aufrichtig verlange,

    von allen verabscheut zu werden, weil ich dich, der du mich so treu geliebt, so oft verlassen habe!


  6. Ach, mein Gott, welchen Gewinn haben wir wohl zu erwarten, wenn wir den Geschöp- fen gefallen? Was schadet es uns, wenn auch alle Geschöpfe uns noch so sehr beschuldigen, wir aber vor dem Herrn ohne Schuld sind? O meine Schwestern, daß wir nie diese Wahr- heit so recht erkennen! Möchten wir sie doch ernst und oft betrachten und erwägen, was das ist, was ist, und was das ist, was nicht ist! Sonst werden wir uns nie zur Vollkommenheit erschwingen. Brächte die Tugend, von der ich rede, auch keinen anderen Gewinn, als daß jener beschämt würde, der euch beim Bewußtsein, daß ihr euch unschuldig verurteilen lasset, beschuldigt, so wäre dieser Gewinn für sich allein schon sehr groß. Durch so etwas wird manchmal eine Seele mehr erbaut als durch zehn Predigten. Wir alle aber sollen uns befleißen, Predigerinnen zu sein durch unsere Werke, weil der Apostel und unsere eigene Unfähigkeit uns verbieten, mit Worten zu predigen.


  7. Denket nie, es werde das Gute oder das Böse, das ihr tut, verborgen bleiben, so abge- schlossen ihr auch seid! Und meint ihr wohl, meine Töchter, keinen Verteidiger zu haben, wenn ihr euch selbst nicht entschuldigt? Seht nur, wie der Herr für Magdalena im Hause des Pharisäers und auf die Beschuldigung ihrer Schwester antwortete! Er wird euch nicht so hart behandeln, wie er sich selbst behandelt hat; denn zur Zeit, die ein Schächer noch hatte, um ihn zu verteidigen, hing er schon am Kreuze. Seine Majestät wird also auch zu euerer Verteidigung jemand erwecken; wenn aber nicht, so wird es auch nicht notwendig sein. Dies habe ich selbst erfahren, und es ist wirklich so. Doch wünschte ich, daß ihr daran gar nicht dächtet, sondern euch vielmehr freuen würdet, angeschuldigt zu bleiben. Die Zeit, auf die ich mich berufe, wird euch lehren, welcher Nutzen für euere Seele daraus erwächst. Dadurch gewinnen wir allmählich die Freiheit (des Geistes), so daß wir uns nichts mehr daraus machen, ob man Böses oder ob man Gutes von uns spricht. Wir werden vielmehr dies alles ansehen wie eine Sache, die uns nichts angeht. Wenn zwei miteinander reden, so kümmern wir uns um keine Antwort, weil sie nicht zu uns sprechen; so ist es auch hier. Sind wir einmal gewohnt, uns nicht zu entschuldigen, dann wird es uns vorkommen, als spreche man gar nicht zu uns. Dies mag uns zwar bei unserer großen Empfindlichkeit und geringen Abtötung unmöglich scheinen. Im Anfang ist es auch wirklich schwer; aber ich weiß, daß wir mit der Hilfe des Herrn zu dieser Freiheit, zu dieser Selbstverleugnung und Losschälung von uns selbst gelangen können.


 

Sechzehntes Hauptstück

Von dem Unterschiede, der bezüglich der Vollkommenheit zwischen dem Leben der Be- schaulichen und dem Leben derer bestehen muß, die sich mit dem betrachtenden Gebete

begnügen. Möglichkeit, daß Gott manchmal auch zerstreute Seelen zur vollkommenen Be- schauung erhebt, und Gründe dafür. Dieses Hauptstück sowie auch das nächste ist wohl zu beachten.

l. »Haltet all das bisher Gesagte nicht für viel; denn ich stelle sozusagen zum Spiele erst die Figuren aus! Ihr habt mich gebeten, euch etwas über den Beginn des Gebets- lebens zu sagen. Obwohl nun, meine Töchter, der Herr mit mir anders begonnen hat, da ich die besprochenen Tugenden vielleicht auch jetzt noch nicht besitze, so weiß ich doch keinen anderen Anfang als die Übung ebendieser Tugenden. Glaubet mir: Wer beim Schachspiel nicht einmal die Figuren in Ordnung zu stellen weiß, der wird es schlecht zu spielen verstehen; und wer nicht Schach bieten kann, der wird auch nie schachmatt setzen können! Ihr werdet mich vielleicht tadeln, daß ich von einem Spiele rede, das man in diesem Kloster nicht hat und auch nicht haben soll. Daraus seht ihr aber, was für eine Mutter euch Gott gegeben hat, da sie sogar mit einer solchen Eitelkeit vertraut ist. Man sagt zwar, dieses Spiel sei zuweilen erlaubt; aber wie weit mehr wird uns jene andere Art des Spieles erlaubt sein, und wie bald würden wir, wenn wir uns darin eifrig übten, dem göttlichen König Schach bieten, so daß er uns nicht mehr entkommen kann noch auch entkommen will!


  1. In diesem Spiele ist es die Königin, die dem König am meisten zusetzen kann; alle übrigen Figuren unterstützen sie. Den himmlischen König aber kann keine Königin derart nötigen, sich zu ergeben, wie die Demut. Diese zog ihn herab in den Schoß der Jungfrau, und mittels dieser Tugend werden auch wir ihn wie mit einem Härchen in unsere Seele ziehen. Glaubt es mir, wer mehr Demut hat, der wird ihn vollkommener besitzen, und wer weniger darin begründet ist, minder vollkommen! Ich vermag nicht einzusehen, wie man Demut ohne Liebe, oder Liebe ohne Demut habe oder haben könne. Auch ist es unmöglich, daß diese zwei Tugenden bestehen ohne große Losschälung von allem Geschaffenen.


  2. Ihr werdet, meine Töchter, sagen, warum ich denn von Tugenden zu euch rede, da ihr Bücher genug habt, die euch darüber belehren; ihr wünschtet bloß, daß ich etwas über die Beschauung sage. Darauf antworte ich: Hättet ihr von mir eine Belehrung über die Betrach- tung verlangt, so könnte ich allerdings (sofort) davon reden und sie allen anraten, wenn sie auch nach keine Tugenden besäßen; denn die Betrachtung ist der Beginn zum Erwerb aller Tugenden und etwas Wichtiges für alle, die ein christliches Leben führen wollen. Kein Mensch, wie verkommen er auch sein mag, sollte eine Übung, die ein so großes Gut in sich birgt, unterlassen, wenn Gott ihn dazu anregt. Davon habe ich schon anderwärts geschrie- ben, und viele andere haben das gleiche getan. Diese wußten, was sie schrieben; ich aber, das ist Gott bekannt, weiß wahrlich nicht, was ich schreibe.

  3. Etwas anderes jedoch, meine Töchter, ist die Beschauung, über die wir uns alle in ei- nem Irrtum befinden. Wenn nämlich jemand dahin kommt, täglich eine gewisse Zeit der Betrachtung über seine Sünden zu widmen, was doch jeder tun soll, der nicht den bloßen Namen eines Christen trägt, so sagt man gleich, er sei sehr beschaulich. Auf der Stelle ver- langt man auch von ihm den Besitz so großer Tugenden wie sie nur der haben muß, der schon das Glück einer hohen Beschauung genießt, ja er selbst verlangt diese Tugenden noch mehr; allein er ist im Irrtum von Anfang an. Er weiß noch nicht einmal die Figuren aufzustellen und meint, es reiche schon ihre bloße Kenntnis hin, um schachmatt zu setzen, da doch der König, von dem wir reden, sich unmöglich einem ergibt, der nicht ganz sich ihm hingibt.


  4. Wünscht ihr, meine Töchter, daß ich euch den Weg zeige, auf dem man zur Beschauung gelangt, so bewahret die Geduld mit mir, wenn ich etwas ausführlich von Gegenständen rede, die euch vielleicht auf den ersten Blick nicht so wichtig zu sein scheinen! Meines Erachtens wenigstens sind sie von Wichtigkeit; wenn ihr darüber nichts hören oder davon nichts üben wollt, so werdet ihr euer ganzes Leben lang bei eurem betrachtenden Gebete stehenbleiben. Ich kann mich wohl auch täuschen, wenn ich andere nach mir beurteile, da ich zwanzig Jahre lang (vergebens) nach dem Gebete der Beschauung strebte; aber ich versichere euch sowie auch allen, die nach diesem Gebete streben, daß man auf diese Weise nie zur wahren Beschauung gelangen werde.


  5. Ich möchte nun erklären, was das betrachtende Gebet ist, da einige aus euch dies noch nicht wissen werden. Gebe Gott, wir alle beschäftigten uns damit so, wie es sein soll! Ich befürchte jedoch, man werde selbst dieses Gebet nur mit großer Mühe vornehmen können, wenn man sich nicht auch der Tugenden befleißigt, obwohl man sie hier noch nicht in so hohem Grade besitzen muß wie bei der Beschauung. Von dieser aber sage ich: Der König der Glorie wird nie in unsere Seele kommen, um sich mit ihr zu vereinigen, wenn wir uns nicht anstrengen, in den Tugenden eine hohe Stufe zu erreichen. Dies will ich näher erklären. Denn fändet ihr, daß ich in einem Stücke nicht die Wahrheit redete, so würdet ihr mir in keinem Stücke mehr glauben, und ihr hättet auch recht, wenn ich dies wissentlich täte. Davor aber behüte mich Gott! Sollte ich Unrichtiges vorbringen, so nur, weil ich etwas nicht besser weiß oder es nicht verstehe. Ich will also sagen: Gott gewährt manchmal auch solchen, die in einem bösen Zustande sich befinden, die große Gnade der Beschauung, um sie durch dieses Mittel den Händen des Teufels zu entreißen.


  6. O mein Herr, wie oft nötigen wir dich, mit dem Teufel zu ringen! War es noch nicht genug, daß du dich, um uns zu lehren, wie wir ihn überwinden müssen, von ihm ergreifen ließest, als er dich auf die Zinne des Tempels trug. Welch ein Schauspiel, meine Töchter, mag es gewesen sein, die göttliche Sonne in den Armen der Finsternis zu sehen! Und wie

    voll Furcht wird jener Elende gewesen sein, ohne daß er die Ursache davon wußte, da Gott nicht zuließ, daß er sie erkannte! Gepriesen sei eine so große Güte und Barmherzigkeit! Aber wie sehr sollten wir Christen uns schämen, daß wir, wie gesagt, täglich den Herrn nö- tigen, mit einer so abscheulichen Bestie aufs neue zu ringen! Um sie zu überwinden, war es wohl notwendig, daß du, o Herr, so starke Arme hattest. Wie kam es aber, daß sie nicht geschwächt waren durch so große Martern, die du am Kreuze ausgestanden? Ach, wohl daher, daß alles, was man aus Liebe leidet, sich wieder von selbst bessert! Darum hätte auch nach meinem Dafürhalten deine Liebe zu uns, wärest du am Leben geblieben, deine Wunden wieder geheilt, ohne daß ein anderes Heilmittel nötig gewesen wäre. O mein Gott, möchtest du mir doch bei allem, was mir hart und schmerzlich ist, eine solche Arznei rei- chen! Wie gerne wollte ich dann, der Wiederherstellung durch einen so heilsamen Balsam gewiß, zu leiden verlangen!


  7. Es gibt also, um aus das, was ich eigentlich sagen wollte, zurückzukommen, Seelen, von denen Gott weiß, daß er sie durch das Mittel der Beschauung für sich gewinnen könne. Obwohl er sie ganz dem Verderben verfallen sieht, so will er doch wenigstens seinerseits es an nichts fehlen lassen. Darum verleiht er ihnen, obgleich sie in einem bösen Zustand und ohne Tugenden sind, süße Tröstungen, geistigen Wonnegenuß und zärtliches Andachtsge- fühl, womit er in ihnen das Verlangen nach ihm anzuregen beginnt. Ja manchmal, wenn auch selten und nur auf kurze Dauer, führt er sie wohl auch in die Beschauung ein. Dies tut er, wie gesagt, um sie zu prüfen, ob sie, angeregt durch diese Gnade, sich zu deren öf- teren Genuß bereiten. Wenn sie es nun nicht tun, so mögen sie mir verzeihen, was ich da sage, oder vielmehr, verzeihe ihnen du, o Herr! Denn eine Seele, der du dich in solcher Weise nahst, handelt sehr übel, wenn sie sich nachher etwas Irdischem zuwendet, um sich daranzuhängen.


  8. Ich halte dafür, daß Gott, unser Herr, viele in der bezeichneten Weise prüft, daß aber nur wenige sich zum (dauernden) Genuß einer solchen Gnade bereiten; denn wenn der Herr sie gewährt und wir es an uns selbst nicht fehlen lassen, so glaube ich gewiß, daß er nicht aufhören wird, uns damit zu bereichern, bis wir zu einer sehr hohen Stufe (des Gebetes) gelangt sind. Geben wir uns aber Seiner Majestät nicht mit derselben Entschie- denheit hin, mit der sie sich uns mitteilt, so tut der Herr schon viel, wenn er uns bei dem betrachtenden Gebete stehenläßt und uns nur von Zeit zu Zeit heimsucht als Arbeiter in seinem Weinberge. Die anderen aber sind seine geliebten Kinder, die er nicht von seiner Seite lassen möchte und von denen er sich nicht trennt, weil sie selbst sich nicht von ihm trennen wollen. Er setzt sie an seinen Tisch, reicht ihnen von seinen Speisen und geht so weit, daß er sozusagen den Bissen sich vom Munde nimmt, um ihn ihnen zu reichen.

  9. O glückliche Sorge, meine Töchter! Seliges Verlassen so geringer und niedriger Dinge, das zu einem so hohen Stande führt! Betrachtet doch, was euch an den Beschuldigungen der ganzen Welt liegen wird, wenn ihr in den Armen Gottes ruht! Er ist mächtig genug, euch von allem zu befreien. Er hat einst befohlen, daß die Welt werde, und sie war da; sein Wollen ist Tat! Fürchtet nicht, daß er etwas wider euch reden lasse, wenn es nicht zum größeren Nutzen der Seele gereicht, die ihn liebt; so schwach ist seine Liebe nicht gegen eine Seele, die ihn liebt! Warum also, meine Schwestern, sollen wir nicht aus allen Kräften uns bemühen, unsere Liebe gegen ihn an den Tag zu legen? Seht doch, welch ein herrlicher Tausch, wenn wir unsere Liebe für die seine geben! Bedenket, daß er alles vermag! Wir aber vermögen nur das, wozu er uns das Vermögen schenkt. Was tun wir doch für dich, unser Herr und Schöpfer? Ach, es ist soviel wie nichts; ein bißchen guter Wille ist es, was wir dir bieten! Wenn nun Seine Majestät will, daß wir durch dieses Nichts das gewinnen, was alles ist, so laßt uns nicht so töricht sein und auf ein solches Gut verzichten!


  10. O Herr, aller Schaden, den wir erleiden, kommt daher, daß wir unsere Augen nicht auf dich gerichtet halten. Würden wir auf nichts anderes sehen als auf den Weg, so wären wir bald am Ziele; so aber straucheln und fallen wir tausendmal und verfehlen den Weg, weil wir, wie gesagt, unsere Augen nicht auf den rechten Weg richten. Es kommt uns so vor, als wäre er noch nie betreten worden, so neu scheint er uns. Wahrhaftig, es ist beklagens- wert, was in dieser Hinsicht zuweilen vorkommt. Auch eine kleine Geringschätzung will man nicht hinnehmen und hält es für unmöglich, sie zu ertragen. Gleich heißt es da: »Wir sind keine Heiligen.« Gott behüte uns davor, meine Schwestern, wenn wir irgendeine Un- vollkommenheit begehen, zu sagen: »Wir sind keine Engel, wir sind keine Heiligen.« Sind wir es auch noch nicht, so bedeutet, daß wir es mit der Hilfe Gottes werden können, wenn wir uns anstrengen. Dieser Gedanke wird euch großen Mut einflößen. Fürchtet nicht, es werde an Gott fehlen! Nein, an uns fehlt es. Weil wir denn zu keinem anderen Zweck hier- hergekommen sind, so laßt uns mutig Hand ans Werk legen! Erkennen wir, daß etwas dem Herrn mehr gefällt, so sollen wir den Mut haben, es mit seiner Gnade zu erfüllen. Ein sol- ches Selbstvertrauen, das immer der Demut neues Wachstum gibt, wünschte ich in diesem Kloster zu sehen. Eine heilige Kühnheit sollen wir haben; denn Gott hilft den Mutvollen und kennt kein Ansehen der Person.


  11. Ich bin nun von meinem Vorhaben weit abgekommen; jetzt aber will ich zu dem Be- gonnenen, zur Erklärung des betrachtenden Gebetes und der Beschauung, zurückkehren. Es scheint mir dies zwar eine Ungereimtheit zu sein; aber bei euch geht alles hin, und viel- leicht versteht ihr meine unbeholfene Schreibweise besser als andere in zierlichem Stile geschriebene Erklärungen. Der Herr verleihe mir seine Gnade dazu! Amen.

 

Siebzehntes Hauptstück

Nicht alle Seelen sind zur Beschauung geeignet. Manche gelangen erst spät dazu. Der wahr- haft Demütige muß mit dem Wege zufrieden sein, den der Herr ihn führt.


  1. Ihr meint, daß ich jetzt zur Abhandlung über das Gebet komme. Doch es fehlt noch etwas Weniges, das aber sehr wichtig ist; es betrifft die Demut, deren Übung in diesem Hause notwendig ist, weil die Demut selbst die vorzüglichste Übung des Gebetes ist. Auch liegt, wie schon erwähnt, viel daran, daß ihr euch um die Erkenntnis der treuen Übung dieser Tugend bemüht. Dies ist ein wichtiger Punkt, und die Übung dieser Tugend ist allen überaus notwendig, die dem innerlichen Gebete obliegen. Ich will davon jetzt sprechen.


  2. Wie wird wohl der wahrhaft Demütige dem Gedanken Raum geben können, er sei ebenso tugendhaft wie jene, die schon zur Beschauung gelangt sind? Allerdings kann Gott in seiner Güte und Barmherzigkeit auch ihn zu diesem Stande erheben; mein Rat ist aber, daß er sich immer an den untersten Platz setze, wie uns der Herr durch Wort und Beispiel belehrt. Will Gott eine aus euch den Weg der Beschauung führen, so bereite sie sich dazu; will er es nicht, so nützt ihr die Demut; sie schätze sich glücklich, den Dienerinnen des Herrn dienen zu dürfen, und lobpreise ihn für die ihr erwiesene Gnade, daß er sie in ih- re Zahl aufgenommen hat, indes sie verdient hätte, in der Hölle eine Dienerin der bösen Geister zu sein!


  3. Ich sage dies nicht ohne wichtigen Grund; denn es liegt, wie schon erwähnt, viel daran, zu wissen, daß Gott nicht alle denselben Weg führt. Vielleicht steht gerade jener, der ganz in der Tiefe zu wandeln vermeint, sehr hoch in den Augen des Herrn. Nicht deshalb also, weil alle in diesem Hause das (innerliche) Gebet üben, müssen auch alle beschaulich sein. Das ist unmöglich; und wüßte eine, die nicht beschaulich ist, diese Wahrheit nicht, so müßte sie wohl sehr niedergeschlagen sein. Die Beschauung ist ein Geschenk Gottes; weil sie zum Heile nicht notwendig ist und Gott sie nicht als Bedingung unserer dereinstigen Belohnung fordert, so denke keine, sie werde von ihr verlangt. Ist eine auch nicht beschaulich, so kann sie desungeachtet doch sehr vollkommen sein, wenn sie das tut was bisher gesagt wurde. Ja, sie kann sogar weit mehr Verdienst haben, weil sie mehr Mühe hat, weil der Herr sie als eine starke Seele führt und ihr alle Genüsse (für das Jenseits) aufbewahrt, die sie hienieden nicht kostet. Darum soll sie weder mutlos werden noch das Gebet aufgeben, sondern sich benehmen wie alle anderen. Zuweilen kommt der Herr sehr spät noch und bezahlt auf einmal so reichlich, wie er es anderen gegenüber in vielen Jahren nach und nach getan.


  4. Ich konnte über vierzehn Jahre lang nicht einmal die Betrachtung halten ohne Lesung. Personen dieser Art wird es viele geben, sowie auch andere, die auch dann nicht betrachten

    können, wenn sie ein Buch zur Hand nehmen und lesen. Letztere können nur mündlich beten, und dabei bleiben sie noch am meisten gesammelt. Es gibt nämlich Personen, deren Geist so unstet ist, daß ihre Gedanken bei keinem Gegenstande bleiben können, sondern immer in Unruhe sind; und dies bis zu einem solchen Grade, daß ihnen tausend Albern- heiten, Skrupel und Zweifel kommen, wenn sie den Gedanken an Gott festhalten wollen. Ich kenne eine schon ziemlich bejahrte Person, die ein sehr tugendhaftes Leben führt, sehr bußfertig und eine ausgezeichnete Dienerin Gottes ist. Diese bringt schon seit vielen Jah- ren (täglich) nicht wenige Stunden im mündlichen Gebete zu, aber das betrachtende Gebet zu üben vermag sie nicht. Das Höchste, was sie kann, ist, bei ihren mündlichen Gebeten in kurzen Pausen betrachtend zu verweilen. Dergleichen Personen gibt es viele; wenn sie aber demütig sind, so glaube ich, daß sie am Ende denen, die viele Tröstungen haben, nicht nachstehen, sondern ihnen ganz gleich sein werden. In gewisser Beziehung wandeln sie sogar sicherer. Denn wir wissen nicht, ob die Tröstungen, die uns zuteil werden, von Gott sind, oder ob der böse Feind ihr Urheber ist. Sind sie nicht von Gott, so ist mehr Gefahr dabei, da hier der böse Feind sich bemüht, den Hochmut zu erregen. Sind sie von Gott, so ist allerdings diese Gefahr nicht zu befürchten, weil sie dann die Demut mit sich bringen, wie ich dies im anderen Buche sehr weitläufig beschrieben habe.


  5. Jene Seelen, die solche Tröstungen nicht empfangen, wandeln in der Demut. Sie fürch- ten, es sei dies ihre eigene Schuld, und sind darum immer bemüht, weiter voranzuschrei- ten. Sehen sie andere auch nur eine Träne vergießen, so meinen sie schon, sie wären im Dienste Gottes noch weit zurück, weil dies bei ihnen nicht vorkommt, während sie diese vielleicht übertreffen. Sind die Tränen auch gut, so sind sie doch nicht immer vollkommen, und es ist allzeit größere Sicherheit bei der Demut, Abtötung, Losschälung und den übri- gen Tugenden. Die Übung dieser Tugenden bringt keine Gefahr, und ihr habt dabei nicht zu fürchten, daß ihr nicht ebenso zur Vollkommenheit gelangen werdet wie jene, die eine hohe Beschauung besitzen.


  6. Die heilige Martha war eine Heilige; aber man erzählt von ihr nicht, daß sie beschau- lich gewesen. Was wollt ihr mehr verlangen, als dieser Glückseligen zu gleichen, die würdig war, Christus, unseren Herrn, so oft in ihrem Hause zu beherbergen, ihm Speise zu reichen, ihn zu bedienen und mit ihm an demselben Tische zu essen? Wäre sie immer in Beschau- ung vertieft gewesen wie Magdalena, so hätte niemand diesem göttlichen Gaste zu essen gegeben. Denkt euch, dieses Kloster sei das Haus der heiligen Martha, in dem es Leute beiderlei Art geben muß! Darum sollen jene, die auf dem Wege des tätigen Lebens geleitet werden, nicht murren über die, die ganz der Beschauung hingegeben sind; denn sie wissen, daß der Herr dieselben verteidigen werde, wenn sie auch schweigen, da er sie meist auf sich selbst und auf alles vergessen läßt.

  7. Sie sollen bedenken, daß auch jemand da sein muß, der dem Herrn die Speisen be- reitet, und sollen sich glücklich schätzen, ihn mit Martha bedienen zu dürfen. Sie mögen auch wohl beachten, daß eine Hauptübung der Demut darin besteht, in voller Bereitwil- ligkeit mit dem zufrieden zu sein, was der Herr aus ihnen gestalten will, und sich allzeit für unwürdig zu halten, seine Dienerinnen zu heißen. Sei es, daß wir uns der Beschauung oder der Betrachtung hingeben, oder sei es, daß wir dem mündlichen Gebete obliegen, die Kranken pflegen oder die Hausgeschäfte und selbst die niedrigsten Dienste verrichten, wir dienen durch all dies dem Gaste, der zu uns kommt, um bei uns zu wohnen, bei uns zu speisen und sich zu erquicken. Was liegt dann daran, ob wir ihm in der einen oder anderen Weise dienen?


  8. Ich sage nicht, daß ihr es auf euerer Seite fehlen lassen sollt, (euch der Gnade der Be- schauung würdig zu machen); ihr sollt euch vielmehr für alles bereiten. Denn die Wahl steht nicht bei euch, sondern bei dem Herrn. Will er aber, daß jede von euch, nachdem sie ihm viele Jahre gedient, in ihrem Dienste bleibe, so wäre es eine sonderbare Demut, wenn sie eine andere Wahl treffen wollte. Laßt den Herrn des Hauses walten! Er ist weise und mächtig; er weiß, was förderlich für euch und schicklich für ihn ist. Tut ihr, was an euch ist, und bereitet ihr euch, wie schon erwähnt, durch ein vollkommenes Leben auf die Be- schauung vor, so seid versichert, daß der Herr euch dieses Geschenk, wenn er es hier nicht verleiht, aufbewahrt, um es euch im Himmel auf einmal zu geben. Ich glaube aber, er wer- de es euch auch hienieden nicht vorenthalten, wenn euere Losschälung und Demut eine wahre ist. Behält er es euch auf, so will er euch, wie ich schon einmal gesagt habe, als starke Seelen behandeln und euch hienieden das Kreuz als Anteil geben, wie Seine Majestät es immer getragen hat.


  9. Wie könnte er euch eine innigere Freundschaft erweisen als dadurch, daß er euch das geben will, was er für sich selbst erwählt hat? Vielleicht hättet ihr bei der Beschauung kei- ne so große Belohnung zu erwarten. Es sind das Urteile des Herrn, in die wir uns nicht einmischen dürfen. Sehr gut ist es aber, daß die Wahl nicht uns überlassen ist; denn in der Meinung, das beschauliche Leben gewähre uns mehr Ruhe, würden wir uns alle sofort ei- ner tiefen Beschauung hingeben. O welch ein großer Gewinn ist es, keinen Gewinn nach eigenem Gutdünken zu verlangen und keinen Verlust befürchten zu müssen! Denn Gott läßt nie zu, daß eine sich selbst ganz erstorbene Seele Verlust erleide, außer nur, damit sie um so mehr gewinne.


 

Achtzehntes Hauptstück

Fortsetzung desselben Gegenstandes. Die Leiden der Beschaulichen sind weit größer als die der Tätigen, was für diese ein großer Trost ist.

  1. Euch, meine Töchter — ich spreche zu denen, die Gott nicht den Weg der Beschauung führt —, sage ich: Jene, die diesen Weg wandeln, tragen, soweit ich es gesehen und von ihnen gehört habe, kein leichteres Kreuz als ihr. Ja, ihr würdet staunen, wenn ihr wüßtet, wie schwer das Kreuz ist, das Gott ihnen auf die mannigfachste Weise auflegt. Ich weiß es, was die einen und die anderen zu dulden haben, und sehe klar ein, daß die den Beschauli- chen von Gott auferlegten Leiden unerträglich und von der Art sind, daß sie diese nicht auf sich nehmen könnten, wenn sie ihnen der Herr nicht durch die Wonnen der Beschauung versüßte.


  2. Es ist also gewiß, daß Gott jene, die er sehr liebt, auf dem Wege der Leiden führt; und je größer seine Liebe zu ihnen ist, desto härtere Leiden sendet er ihnen; denn wir dürfen nicht glauben, Gott hasse die Beschaulichen, da er sie ja mit seinem eigenen Munde lobt und für seine Freunde hält. Töricht aber wäre es, zu glauben, er nehme Weichlinge und sol- che in seine vertraute Freundschaft auf, die nichts leiden wollen. Demnach glaube ich ganz gewiß, daß Gott den Beschaulichen weit größere Leiden schickt als anderen. Eben deshalb, weil er sie einen so rauhen und harten Weg führt, daß sie zuweilen sich zu verirren und wieder von neuem beginnen zu müssen glauben, ist es notwendig, daß Seine Majestät sie erquicke, nicht bloß mit Wasser, sondern mit Wein, damit sie, davon berauscht, auf ihre Leiden nicht achten und sie ertragen können. Ich kenne darum auch wenige wahrhaft be- schauliche Seelen, die ich nicht beherzt und entschlossen zum Leiden sehe. Das erste, was der Herr an ihnen wirkt, wenn sie schwach sind, besteht darin, daß er ihnen Mut verleiht und die Furcht vor Leiden nimmt.


  3. Sehen nun jene, die dem tätigen Leben obliegen, daß die beschaulichen Seelen ein we- nig Trost genießen, so sind sie, wie ich glaube, der Ansicht, es gebe hier gar nichts anderes; aber ich sage euch daß ihr vielleicht nicht einen einzigen Tag ihres Leidenslebens ertragen könnten. So teilt denn der Herr, weil er alle kennt und weiß, wozu sie taugen, einem je- den sein Amt zu, so, wie es dem Heile seiner Seele, dem Herrn selbst und dem Wohle des Nächsten am angemessensten ist. Wenn ihr es aber nicht an der entsprechenden Vorberei- tung fehlen lasset, so habt ihr nicht zu befürchten, es werde euere Mühe vergeblich sein. Bedenket wohl, was ich da sage: Wir alle sollen uns, da wir zu keinem anderen Zwecke hier sind, zum Genusse des so hohen Gutes der Beschauung vorzubereiten suchen, und zwar nicht bloß ein Jahr oder zwei oder zehn Jahre lang, damit es nicht den Anschein habe, als ließen wir aus Feigheit davon ab. Gut ist es, wenn der Herr sieht, daß wir es unsererseits an nichts fehlen lassen. Haben die Soldaten auch schon lange gedient, so müssen sie doch immer noch bereit sein, jeden Befehl auszuführen, den ihr Anführer ihnen erteilen will. Dafür wird er ihnen auch ihren Sold geben. Aber welch vortrefflicheren Sold als die Köni- ge der Erde bezahlt uns unser König! Sieht er uns in seiner Gegenwart und findet er uns zu seinem Dienste bereit, so teilt er die Ämter nach den Kräften eines jeden einzelnen aus, da

    er unsere Fähigkeiten kennt. Würden wir nicht vor ihm erscheinen, so würde er uns weder etwas geben noch uns etwas in seinem Dienste befehlen.


  4. Unterlaßt also, meine Schwestern, auf keine Weise das betrachtende Gebet! Wer es nicht üben kann, der bete mündlich oder lese oder unterhalte vertrauliche Gespräche mit Gott, wie ich später sagen werde. Keine aber vernachlässige die für alle vorgeschriebenen Gebetsstunden, damit es ihr nicht ergehe wie den törichten Jungfrauen; denn sie weiß nicht, wann der Herr sie ruft und ihr größere Leiden, eingehüllt in Tröstungen, geben will. Tut er das nicht, so erkenne sie, daß sie nicht dafür geeignet sei und das andere für sie passe. Da hat sie dann Gelegenheit, sich durch Demut Verdienste zu sammeln; sie möge in Wahrheit glauben, daß sie nicht einmal zu dem tauge, was sie wirklich tut, und freudig den Dienst verrichten, der ihr aufgetragen ist, wie ich schon gesagt habe.


  5. Wenn diese Demut eine wahre ist, dann glückselig eine solche Dienerin im tätigen Leben, die sich über niemand außer über sich selbst beklagen wird! Möge sie also andere ihren Kampf kämpfen lassen, der keineswegs ein geringer ist! Denn obgleich der Fahnen- träger im Treffen nicht mitkämpft, so ist er doch in großer Gefahr, und innerlich leidet er vielleicht mehr als alle anderen, da er als Fahnenträger sich nicht verteidigen kann und sich eher in Stücke hauen lassen muß, als die Fahne aus seinen Händen zu geben. Ebenso müssen die Beschaulichen die Fahne der Demut hoch tragen und alle Schläge aushalten, die auf sie fallen, ohne einen dagegen zu tun; ihr Amt ist es, zu leiden, wie auch Christus gelitten, das Kreuz hochzuhalten und es nie aus der Hand zu lassen, von wie vielen Gefah- ren sie sich auch umringt sehen, noch im Leiden eine Schwachheit zu verraten. Deshalb ist ihnen ein so ehrenvolles Amt übertragen. Sie mögen also achthaben, was sie tun! Wenn der Fahnenträger das Banner aus den Händen läßt, dann muß die Schlacht verloren werden. Ebenso bringt es nach meinem Dafürhalten den noch nicht so weit vorangeschrittenen See- len großen Schaden, wenn sie an jenen, die sie schon für Heerführer und Freunde Gottes halten, wahrnehmen, daß deren Werke dem Amte nicht entsprechen, das sie innehaben.


  6. Die übrigen Soldaten verhalten sich, wie sie können, und weichen zuweilen, wo sie die größte Gefahr sehen, auch zurück, ohne daß jemand es beachtet und ohne daß sie deshalb ihre Ehre verlieren. Auf jene anderen aber sind aller Augen gerichtet, und sie können sich nicht rühren (ohne bemerkt zu werden). Ein Amt wie das Ihrige ist zwar ein schönes und ehrenvolles, und der König erweist denen, die er damit betraut, eine Gnade; die es aber an- nehmen, laden sich damit keine geringe Verpflichtung auf. Wir wissen darum nicht, meine Schwestern, um was wir bitten. Lassen wir den Herrn walten; denn es gibt Personen, die übernatürliche Wonnegenüsse gleichsam als Recht von Gott fordern zu wollen scheinen. Wohl eine saubere Art von Demut! Da tut der Kenner aller Herzen recht, wenn er, wie ich glaube, solchen Personen dergleichen Gnaden selten verleiht. Er sieht klar, daß sie den

    Kelch zu trinken nicht geeignet sind.


  7. Wollt ihr, meine Töchter, erkennen, ob ihr (in der Vollkommenheit) vorangeschritten seid, so merke nur jede darauf, ob sie sich für die Geringste aus allen halte und ob diese ihre geringe Meinung von sich selbst auch in ihren Werken zum Nutzen und Heile der anderen sich offenbare! Keineswegs aber wird sie den Fortschritt ihrer Seele aus den Tröstungen im Gebete, aus den Verzückungen, Erscheinungen und anderen dergleichen Gnaden, die der Herr ihr verleiht, bemessen können; denn um den Wert dieser Gnaden zu erkennen, müssen wir auf das andere Leben warten. Ersteres ist eine gangbare Münze, ein sicheres Einkommen, eine dauernde Rente und nicht ein zweifelhafter Zins, den man das eine Mal gibt, das andere Mal zu geben unterläßt. Eine tiefe Demut also, eine große Abtötung und der pünktliche Gehorsam, der auch nicht im geringsten den Befehlen des Obern entgegen- handelt, der, wie ihr wißt, Gottes Stelle vertritt, und durch den in Wahrheit Gott selbst befiehlt, diese Tugenden sind es, die den Fortschritt der Seele erkennen lassen.


  8. Über den Gehorsam hätte ich noch mehr zu sagen; denn jene, die ihn nicht üben, sind nach meiner Ansicht keine Nonnen. Da ich aber zu Nonnen, und zwar, wie ich glaube, zu tugendhaften Nonnen oder zu solchen, die wenigstens tugendhaft zu sein verlangen, spre- che, so unterlasse ich es. Nur ein Wort möchte ich in einer so bekannten und wichtigen Sache noch sagen, damit man es nicht vergesse: Wenn eine Nonne, die infolge des Gelübdes unter dem Gehorsam steht, es hierin fehlen läßt, so daß sie nicht mit aller Sorgfalt bemüht ist, dieses Gelübde auf das Vollkommenste zu erfüllen, so weiß ich nicht, warum sie im Kloster ist. Wenigstens versichere ich eine solche, daß sie, solange sie hierin untreu ist, nie- mals zur Beschauung gelangen noch auch im tätigen Leben etwas Tüchtiges leisten werde. Dies halte ich für ganz gewiß. Und selbst wer nicht durch ein Gelübde zum Gehorsam ver- pflichtet ist, muß, wenn er zur Beschauung gelangen und ganz sicher gehen will, seinen Willen mit aller Entschiedenheit einem Beichtvater hingeben, der die zu seiner Leitung er- forderlichen Eigenschaften besitzt. Denn es ist eine ausgemachte Sache, daß man auf diese Weise in einem Jahr weiter voranschreitet als sonst in vielen Jahren. Doch darüber brauche ich nicht weiter zu reden, weil dies für euch nicht notwendig ist.


  9. Ich schließe mit dem Wunsche, daß ihr die genannten Tugenden besitzen möget. Um diese bemüht euch, meine Töchter! Um diese beneidet einander in heiliger Weise! Bezüg- lich jener anderen Gefühle der Frömmigkeit aber macht euch keine Sorge! Seid nicht be- trübt, wenn ihr sie entbehren müßt! Sie sind ja doch nur etwas Unsicheres. Bei anderen können sie von Gott sein; bei euch aber könnte Seine Majestät eine Täuschung des bösen Feindes zulassen, womit dieser euch beträgt, wie er andere schon betrogen hat? Warum wollt ihr dem Herrn in so unsicherer Weise dienen, da ihr so vieles habt, worin ihr ihm sicher dienen könnt? Wer treibt euch in solche Gefahren?

  10. Ich habe deshalb so ausführlich über diesen Gegenstand gesprochen, weil ich es für notwendig hielt; denn unsere Natur ist schwach. Indessen wird Gott die stärken, denen er die Beschauung verleihen will. Für jene, die er dazu nicht erhebt, habe ich mit Freuden diese Belehrungen geschrieben, die auch den Beschaulichen zur Selbstverdemütigung die- nen können. Der Herr wolle uns nach seiner Güte erleuchten, damit wir in allem seinem Willen folgen mögen! Dann haben wir nichts zu fürchten.


 

Neunzehntes Hauptstück

Beginn der Abhandlung über das Gebet. Unterweisung für Seelen, die mit dem Verstande nicht nachsinnen können.


  1. Es ist schon so lange her, daß ich das Vorstehende geschrieben, ohne wieder eine Zeit finden zu können, zu dieser Arbeit zurückzukehren; ich müßte erst nachlesen, was ich geschrieben habe. Damit ich jedoch keine Zeit verliere, muß ich fortfahren, so gut es geht, wenn auch ohne Ordnung und Zusammenhang!


  2. Für Seelen, deren Denken geordnet ist, die darin eine Fertigkeit besitzen und sich ge- sammelt halten können, gibt es so viele, so gute, von ausgezeichneten Lehrern geschriebene Bücher, daß ihr auf das, was ich hier über das Gebet sage, mit Unrecht einen Wert legen würdet. Ihr habt ja, wie gesagt, Bücher, in denen auf alle Tage der Woche Betrachtungen über die Geheimnisse des Lebens und Leidens des Herrn, über das Gericht, die Hölle, un- sere eigene Richtigkeit und unsere große Verpflichtung Gott gegenüber verteilt sind. Diese Bücher enthalten zugleich eine vortreffliche Anleitung, wie das Gebet zu beginnen und zu beschließen ist. Wer diese Gebetsweise befolgen kann und sich daran gewöhnt hat, der be- darf keiner weiteren Belehrung; denn auf einem so guten Wege wird der Herr ihn in den Hafen des Lichtes einführen, und auf einen so guten Anfang wird auch ein gutes Ende folgen. Alle, die auf diesem Wege wandeln können, gehen ruhig und sicher; denn wenn der Verstand (an einen Betrachtungsgegenstand) gebunden ist, geht alles seinen ruhigen Gang.


  3. Vielen aber ist dies nicht gegeben, und sie haben deshalb harte Mühe. Diesen möchte ich helfen, wenn mich anders der Herr in dem, was ich sagen werde, das Rechte treffen lassen will. Wenn nicht, so werdet ihr wenigstens daraus abnehmen, daß es viele Seelen gibt, die dieses Leid zu ertragen haben; und wenn es euch ergeht wie ihnen, so betrübet euch nicht! Es gibt nämlich Seelen, die ihre Gedanken so wenig zu sammeln vermögen, daß diese unbändigen Pferden gleichen, die niemand zum Stillestehen bringen kann. In beständiger Unruhe, die entweder von der eigenen Natur herkommt oder von Gott zuge- lassen wird, wenden sie sich bald dahin, bald dorthin. Mit solchen Seelen habe ich großes

    Mitleid. Sie kommen mir vor wie Menschen, die, von großem Durste gequält, in weiter Ferne Wasser sehen, und wenn sie hingehen wollen, Feinde finden, die ihnen am Anfang, in der Mitte und am Ende den Weg versperren. Mit großer Anstrengung überwinden sie die ersten Feinde, lassen sich aber überwältigen von den zweiten und wollen nun lieber vor Durst sterben als von dem Wasser trinken, das ihnen so teuer zu stehen käme. Die Kraft verläßt sie, der Mut entsinkt ihnen; und haben einige auch den Mut, die zweiten Feinde zu überwinden, so ermatten sie beim Zusammentreffen mit dem dritten, obwohl sie viel- leicht keine zwei Schritte mehr zum Brunnen jenes lebendigen Wassers hätten, von dem der Herr zur Samariterin sprach: »Wer von (diesem Wasser) trinkt, den

    wird nicht mehr dürsten.«


  4. O wie begründet und wahr ist dieses Wort, das der Mund dessen gesprochen, der die Wahrheit selber ist! Ja, da hat man keinen Durst mehr nach den Dingen dieses Lebens; nur der Durst nach den Gütern des ewigen Lebens wächst, und zwar in einem weit höheren Grade, als wir uns dies durch das Bild des natürlichen Durstes vorstellen können. Aber wie brennend ist das Verlangen nach diesem Durste! Denn die Seele erkennt seinen Wert. Er ist zwar ein höchst peinlicher, quälender Durst; aber er hat zugleich jene Wonne in sich, durch die er gestillt wird. Dieser Durst erstickt nur das Verlangen nach irdischen Dingen; außerdem sättigt er, und zwar so, daß es die größte Gnade ist, die Gott der Seele erweisen kann, wenn er ihn stillt. Dadurch erhält er in ihr das Bedürfnis, ja ein größeres noch als zuvor, immer wieder von diesem Wasser zu trinken.


  5. Die Eigenschaften des Wassers mögen viele sein. Drei sind es die mir eben einfallen und zu dem Gegenstande passen, den ich erklären will. Die erste ist, das es kühlt. Denn, so heiß es auch sein mag, das Wasser dämpft in uns die Hitze. Selbst ein großes Feuer löscht es aus, wenn es nicht Teerfeuer ist, das durch das Wasser mur noch mehr genährt wird. O Gott, wie wunderbar ist es, daß das Feuer, mag es auch ein starkes und mächtiges, den Elementen nicht unterworfenes Feuer sein, durch das Wasser noch mehr entflammt wird! Denn dieses, obwohl ihm feindlich, schadet ihm nicht, sondern fördert es sogar. Könnte ich mit jemand darüber sprechen, der Philosophie versteht, so würde mir dies von großem Nutzen sein; und wäre ich mit den Eigenschaften der Dinge bekannt, so wüßte ich mich zu erklären. So aber freue ich mich zwar darüber, kann es jedoch nicht aussprechen; und vielleicht verstehe ich es auch selbst nicht.


  6. Wenn euch, meine Schwestern, Gott einmal zu diesem Wasser führt und euch davon zu trinken gibt, so werdet ihr euch darüber freuen wie jene, die schon davon kosten. Ihr werdet einsehen, wie die wahre Liebe Gottes alle Elemente und die Welt beherrscht, wie sie in ihrer Kraft und schon ganz frei von irdischen Dingen ist, über die sie sich emporge-

    schwungen hat. Ihr dürft dann nimmer fürchten, daß das Wasser, das der Erde entspringt, das Feuer der Liebe Gottes auslöschen werde; denn obwohl sie einander feindlich sind, so hat doch ersteres über letzteres keine Kraft mehr. Das Feuer führt nun unumschränk- te Herrschaft über das Wasser und ist ihm nicht mehr unterworfen. Wundert euch daher nicht, meine Schwestern, über meine wiederholten Ermahnungen in diesem Buche, nach einer solchen Freiheit zu streben! Ist es nicht etwas Schönes, daß eine arme Nonne des St.JosephsKlosters dahin gelangen kann, daß sie über die ganze Erde und die Elemente herrscht? Dürfen wir uns noch wundern, wenn die Heiligen mit Gottes Hilfe über die Ele- mente nach Belieben schalteten? Dem heiligen Martin gehorchten Feuer und Wasser, dem heiligen Franziskus sogar die Vögel und die Fische, vieler anderer Heiligen gar nicht zu ge- denken. Wenn sie eine solche Herrschaft über alle Dinge der Welt erlangten, so sieht man klar, daß sie eifrig bemüht waren, diese geringzuachten, und sich mit all ihren Kräften dem Herrn über alles aufrichtig unterwarfen. Es hat also, wie gesagt, das irdische Wasser keine Gewalt über das Feuer der Liebe Gottes; die Flammen dieses Feuers lodern sehr hoch auf, und es nimmt seinen Ursprung nicht von der Niedrigkeit dieser Erde. Es gibt zwar noch an- dere Feuer einer schwächeren Liebe Gottes; aber diese werden von jedem Windhauche der Versuchung ausgelöscht. Nicht so das Feuer, von dem ich hier rede; wenn auch ein ganzes Meer von Versuchungen sich dagegen erheben würde, so brächten sie es doch nicht dahin, daß es aufhörte zu brennen und nicht mehr über sie herrschte.


  7. Noch weniger wird dieses Feuer erlöschen, wenn Wasser vom Himmel fällt; denn diese beiden sind einander nicht feindlich, sie kommen von einem Lande her. Ihr habt also nicht zu fürchten, daß das eine Element dem anderen nachteilig ist, vielmehr fördert das eine die Wirkung des anderen. Das Wasser der Tränen, die im wahren Gebete fließen und vom König des Himmels verliehen werden, entzündet noch mehr das Feuer und bewirkt, daß es andauere; das Feuer dagegen fördert die kühlende Wirkung des Wassers.


  8. O Gott, wie herrlich und wunderbar ist es, daß das Feuer kühlt! Ja, dieses Feuer macht alle irdischen Neigungen gefrieren, wenn es sich mit dem lebendigen Himmelswasser ver- eint, mit dieser Quelle, aus der besagte Tränen entspringen; diese werden uns gegeben, nicht aber durch eigenes Bemühen hervorgerufen. Es läßt also dieses himmlische Wasser in Wahrheit keine Wärme der Anhänglichkeit an irgendein Ding dieser Welt zurück, so daß es uns fesseln könnte, außer um möglicherweise das Feuer dir göttlichen Liebe anzuzün- den; denn es liegt in seiner Natur, daß es sich nicht mit wenigem zufriedengibt, sondern, wenn möglich die ganze Welt in Brand stecken würde.


  9. Die zweite Eigenschaft des Wassers ist, daß es reinigt, was unrein ist. Wenn es kein Wasser zum Waschen gäbe, wie sähe es in der Welt aus? Nun seht, wie dieses lebendige, dieses himmlische und klare Wasser reinigt! Denn es ist nicht trübe und schlammig, son-

    dern fällt vom Himmel herab. Ich halte es für gewiß, daß die Seele, die es auch nur einmal trinkt, frei und rein werde von aller Schuld. Von diesem Wasser läßt Gott, wie ich geschrie- ben habe, die Seele nicht trinken, ohne daß sie gereinigt und von dem Schmutz und Elend befreit wird, in dem sie durch ihre Sünden steckte. Ich sage: Gott lasse die Seele trinken; denn die göttliche Vereinigung ist etwas ganz Übernatürliches und steht darum nicht in unserem eigenen Belieben.


  10. Bei anderen Süßigkeiten, die mittels der Verstandestätigkeit der Seele zukommen, fließt das Wasser, so groß auch der Wirkungen sein mögen, doch stets der Erde zu; man trinkt es nicht aus der Quelle selbst; und da es bei seinem Laufe immer etwas von dem Schmutz der Erde annimmt, ist es nicht so rein und lauter. So wie ich es verstehe, nenne ich darum das Gebet, bei dem man mit dem Verstande nachdenkt, nicht lebendiges Wasser. Wie wir es auch anstellen mögen, bei dieser Gebetsweise wird sich an unsere Seele wegen des Einflusses, den unser Leib und unsere niedrige Natur auf sie ausüben, immer etwas hängen, was wir nicht wünschen. Ich will mich darüber näher erklären.


  11. Wir betrachten z. B. die Eitelkeit der Welt und die Vergänglichkeit aller irdischen Dinge, um uns zu ihrer Verachtung anzuregen. Aber siehe, ohne es zu bemerken, befinden wir uns mit unseren Gedanken bei den Dingen der Welt, die wir lieben! Wollen wir sie auch fliehen, so werden wir doch durch die Erwägung, wie dies und jenes gewesen, wie es sein werde, was wir getan und was wir tun werden, wenigstens in etwa aufgehalten. Dadurch aber, daß wir darüber nachdenken, wie wir uns von diesen Dingen losmachen können, setzen wir uns zuweilen aufs neue der Gefahr aus. Damit will ich nicht gesagt haben, man solle dergleichen Erwägungen nicht anstellen; immerhin aber ist Gefahr dabei zu fürchten, und deshalb darf man nicht ohne Sorge sein. Diese Sorge übernimmt beim Gebete der Vereinigung der Herr selbst, da er uns hier nicht uns selbst anvertrauen will. Er schätzt unsere Seele so hoch, daß er sie in der Zeit, in der er sie so begnadigen will, nicht von Dingen eingenommen werden läßt, die ihr schaden könnten. Plötzlich erhebt er sie in seine Nähe und zeigt ihr in einem Augenblick mehr Wahrheiten und gibt ihr eine klarere Einsicht dessen, was alles Irdische ist, als sie beim Gebete der Betrachtung in vielen Jahren erlangen könnte. Denn dort ist der Blick nicht frei; und während wir so dahinwandeln, blendet uns der Staub, den wir aufwirbeln; hier aber, im Gebete der Vereinigung, führt uns der Herr zum Ziele unserer Reise, ohne daß wir wissen wie.


  12. Die dritte Eigenschaft des Wassers ist, daß es den Durst löscht und wegnimmt. Dürs- ten ist meiner Meinung nach ebensoviel als Verlangen haben nach etwas, woran man gro- ßen Mangel leidet und bei dessen gänzlichem Abgang man sterben mußte. Auffallend ist, daß Wassermangel uns das Leben nimmt, und daß Überfluß daran uns gleichfalls des Le- bens beraubt, wie wir es an vielen sehen, die ertrunken sind. O mein Herr, wie glücklich

    wäre ich, wenn ich in dieses lebendige Wasser so sehr versenkt würde, daß ich darüber das Leben lassen müßte! Und sollte dies nicht möglich sein? Ja, es wäre wohl möglich. Die Lie- be zu Gott und das Verlangen nach ihm kann so sehr zunehmen, daß die natürlichen Kräfte es nicht mehr ertragen können; daher hat es auch Personen gegeben, die auf diese Weise gestorben sind. Ich selbst weiß von einer Person, der dieses lebendige Wasser in solcher Fülle zuteil ward, daß sie darüber gestorben sein würde, wäre Gott ihr nicht schnell durch eine Verzückung zu Hilfe gekommen, in der sie gleichsam außer sich entrückte. (Sie hat- te solchen Durst und ein solch sehnsüchtiges Verlangen, daß sie klar erkannte, vor Durst sterben zu müssen, wenn ihr keine Hilfe zuteil würde.) Ich sage, daß er sie gleichsam au- ßer sich selbst entrückte; denn hier fand die Seele Ruhe. In ihrem Überdrusse an der Welt gleichsam ertrunken, wurde sie in Gott wieder lebendig. Auf solche Weise machte Seine Majestät sie fähig, das zu genießen, was sie zuvor, im Besitze ihres Selbstbewußtseins, ohne Verlust ihres Lebens nicht hätte genießen können.


  13. Daraus erkennt man, daß alles, was Gott uns gibt, zu unserem Besten dient; denn in ihm, unserem höchsten Gut, kann nichts Unvollkommenes sein. In welch großer Fülle er uns dieses Wasser auch geben mag, so ist es doch nie zuviel, weil es in dem, was von Gott ist, kein Zuviel geben kann. Gibt Gott viel, so macht er, wie gesagt, die Seele auch fähig, viel zu trinken, gleichwie ein Glasmacher das von ihm gefertigte Glas so groß gestaltet, als es eben sein muß, um das, was er hineingießen will, zu fassen. Kommt das Verlangen nach diesem Wasser von uns, so hat es immer etwas Unvollkommenes an sich. Ist etwas Gutes daran, so kommt es von der Hilfe des Herrn. Wir aber sind so unbescheiden, daß wir von der Pein dieses Verlangens nie genug bekommen zu können meinen, weil sie so süß und wonnevoll ist. Wir genießen sie ohne Maß und tun unsererseits alles mögliche, um dieses Verlangen in uns zu vermehren, so daß es zuweilen tötet. Ein seliger Tod fürwahr! Indessen könnte vielleicht einer, wenn er am Leben bliebe, dazu beitragen, daß auch andere vor Verlangen nach einem solchen Tode sterben möchten. Ich glaube, daß hier der böse Feind sich einmischt. Er weiß es, welch großen Schaden ihm solche Seelen zufügen können; darum regt er sie zu übermäßigen Bußwerken an, damit dadurch ihre Gesundheit zerstört werde, woran ihm nicht wenig gelegen ist.


  14. Große Vorsicht empfehle ich darum dem, der so weit gelangt, daß er diesen heftigen Durst empfindet; er darf glauben, daß die genannte Versuchung bei ihm nicht ausbleiben wird. Würde er auch vor Durst nicht sterben, so würde er doch seine Gesundheit zerstören und selbst gegen seinen Willen den empfundenen Durst offenbaren, was auf jede Weise zu vermeiden ist. Manchmal wird zwar unser Bemühen wenig helfen, da wir unmöglich alles so geheimhalten können, wie wir es wünschten; allein wenn jene heftigen Antriebe, die unser Verlangen nach Gott vermehren, über uns kommen, müssen wir uns sorgfältig hüten, daß wir nicht selbst es steigern, und den Faden unserer Betrachtung durch eine

    andere sanft unterbrechen. Manchmal kann es geschehen, daß unsere Natur so viel wirkt wie die Liebe. Gibt es ja Menschen, die bei jedem Verlangen, sei es auch nach etwas Bösem, in heftiger Glut entbrennen. Solche sind meines Erachtens freilich nicht sehr abgetötet; denn die Abtötung nützt wie überall, so auch hier. Es scheint zwar Torheit zu sein, etwas so Gutes (wie das Verlangen nach Gott) zu hemmen; allein dem ist nicht so. Denn ich sage nicht, man müsse dieses Verlangen ersticken, sondern man solle es mäßigen, was vielleicht durch Erweckung eines anderen, ebenso verdienstlichen Verlangens geschehen kann.


  15. Durch ein Beispiel will ich mich deutlicher erklären. Es befällt uns wie einst den hei- ligen Paulus ein heftiges Verlangen, jetzt schon bei Gott zu sein und darum vom Kerker dieses Leibes erlöst zu werden. Es mag nun keiner geringen Abtötung bedürfen, eine Pein zu mäßigen, die aus solcher Ursache entsteht und in sich sehr süß sein muß; sie ganz zu ersticken, wird ohnehin nicht möglich sein. Aber manchmal kann diese Pein so heftig wer- den, daß sie fast den Verstand raubt, wie ich unlängst an einer Person gesehen habe. Diese ist von Natur nicht stürmisch, scheint mir aber, obwohl sie gewöhnt ist, ihren Willen zu brechen, den Verstand schon ganz verloren zu haben, wie man in anderen Dingen an ihr gewahrt. Eine Zeitlang sah ich sie infolge ihrer großen Pein und ob der Gewalt, die sie sich antat, sie zu verbergen, wie von Sinnen. Bei einem so übermäßigen Drange, auch wenn er vom Geiste Gottes kommt, halte ich es der Demut entsprechend, zu fürchten; denn wir dürfen nicht denken, wir hätten eine so große Liebe zu Gott, daß sie uns in einen so ge- fährlichen Zustand versetzt.


  16. Wenn es darum möglich ist — jedesmal wird es vielleicht nicht sein können —, würde ich es nicht für unrecht halten, das Verlangen (nach dem Tod) mit einem anderen durch folgende Erwägungen zu vertauschen: Man könne bei längerem Leben Gott noch mehr dienen; man könnte vielleicht eine Seele, die sonst verlorenginge, aus der sie umgebenden Finsternis befreien; man werde, je länger man Gott diene, ihn um so mehr zu genießen verdienen. Auch fürchte man sich, mit so wenig guten Werken, womit man Gott gedient, vor ihm zu erscheinen. Solche Gedanken sind gut, um sich in einem so großen Leiden zu trösten. Sie lindern dessen Pein, und man gewinnt viel an Verdienst dadurch, daß man noch länger auf Erden bleiben und in dieser Pein leben will, um dem Herrn zu dienen. So tröstet man auch einen anderen, der in großer Trübsal ist oder tiefen Schmerz empfindet, durch den Hinweis, er möge Geduld haben und sich den Händen Gottes überlassen, damit der Herr nach seinem Willen über ihn verfüge.


  17. Es ist immer das sicherste, sich in solcher Weise Gott hinzugeben, besonders hier, da auch der Teufel zu einem so großen Verlangen mitwirken könnte. Ein Beispiel dieser Art erzählt meines Wissens Kassian von einem Einsiedler, der ein sehr strenges Leben führte. Diesem flüsterte der böse Feind ein, sich in einen Brunnen zu stürzen, dann werde er um

    so eher Gott schauen. Ich glaube wohl, daß dieser Einsiedler Gott nicht in Demut und auch sonst nicht gut gedient habe; denn der Herr ist getreu, und Seine Majestät würde nicht zu- gelassen haben, daß er in einer so klaren Sache so verblendet worden wäre. Das Verlangen, Gott zu schauen, würde aber dem Einsiedler offenbar nicht geschadet haben, wäre es von Gott gekommen; in diesem Falle bringt es, wie nicht zu zweifeln ist, Licht, Unterscheidung und Mäßigung mit sich. Allein unser Widersacher, der böse Feind, bemüht sich, uns zu schaden, wie er nur kann, weil er niemals schläft und ruht; darum müssen wir immer ge- gen ihn auf der Hut sein. An diesem Punkte ist in mehr als einer Hinsicht viel gelegen; sogar die Zeit des Gebetes soll man abkürzen, wie süß es auch sein mag, wenn man merkt, daß die Körperkräfte schwinden oder der Kopf geschwächt wird. Klugheit ist in allem sehr notwendig.


  18. Was haltet ihr, meine Töchter, davon, daß ich euch zuerst das Ende erklären und vor dem Kampfe die Belohnung zeigen wollte, indem ich euch das Glück schilderte, das euch einmal durch den Besitz jener himmlischen Quelle und durch das Trinken aus dem lebendigen Wasser zuteil wird? Es geschah dies, damit ihr vor den Mühen und Hindernis- sen nicht zurückschreckt, die euch auf dem Wege begegnen, sondern mutig und ohne zu ermüden weiterwandelt. Denn es könnte, wie gesagt, leicht geschehen, daß ihr noch alles aufgeben und dieses Gut verlieren würdet, nachdem ihr schon so weit gekommen seid, euch niederzulassen und aus der Quelle zu trinken; der Wahn, ihr hättet nicht die Kraft, dieses Gut zu erreichen, und ihr wäret nicht dafür bestimmt, könnte euch dazu verleiten.


  19. Sehet aber, wie der Herr alle einladet! Er ist die Wahrheit selbst, und darum darf man auch nicht zweifeln an der Wahrheit seines Wortes. Wäre diese Einladung nicht allgemein, so würde der Herr uns nicht alle rufen; und wenn er uns auch riefe, so würde er nicht sagen:

»Ich will euch zu trinken geben«, sondern er könnte nur sagen: »Kommet alle! Denn ihr werdet doch nichts verlieren, und ich werde denen zu trinken geben, die ich nach meinem Gefallen auswähle.« Weil aber, wie gesagt, seine Einladung zum Trinken vom lebendigen Wasser an alle ohne Ausnahme ergeht, so halte ich für gewiß, daß auch alle, die auf dem Wege nicht stehenbleiben, davon zu trinken bekommen werden. Der Herr, der es uns ver- sprochen hat, verleihe uns in seiner Güte die Gnade, daß wir es suchen, wie es gesucht werden muß!


 

Zwanzigstes Hauptstück

Auf dem Wege des Gebetes wird es nicht an Trost mangeln, wenn auch die Gebetsweisen verschieden sind. Den Schwestern wird empfohlen, in ihren Gesprächen sich allzeit mit diesem Wege zu befassen.

l. Dem Anscheine nach habe ich im vorhergehenden Hauptstücke dem früher Gesag-

ten widersprochen. Zum Troste derer, die nicht so weit gelangen, habe ich nämlich gesagt, der Herr habe verschiedene Wege, auf denen er die Seinigen führt, gleichwie es auch viele Wohnungen gebe im Himmel. Dasselbe aber sage ich nochmals. Weil der Herr unsere Schwachheit kennt, darum hat Seine Majestät in ihrer Güte Vorkeh- rung dagegen getroffen. Es hat jedoch der Herr nicht gesprochen, es sollten die einen auf diesem, die anderen auf jenem Wege gehen; seine Barmherzigkeit war vielmehr so groß, daß er niemand von dem Versuche abhalten wollte, zu dem Brunnen des Lebens zu kommen, um daraus zu trinken. Er sei in Ewigkeit dafür gepriesen!


  1. Wie billig hätte er mich davon abhalten können! Aber er hat mir, als ich den Weg be- trat, nicht verwehrt, ihn fortzuwandeln, bis ich endlich, am Brunnen angelangt, in dessen Tiefe versenkt wurde. So wird er denn gewiß niemand davon abhalten, sich diesem Borne zu nahen; vielmehr ladet er uns öffentlich mit lauter Stimme dazu ein? Weil er jedoch so gut ist, zwingt er uns nicht, sondern gibt denen, die ihm folgen wollen, in verschiedener Weise zu trinken, damit keiner ohne Trost bleibe oder vor Durst sterbe. Aus dieser wasserreichen Quelle fließen nämlich größere und kleinere Bäche und zuweilen auch nur kleinere Rinn- sale. Letztere sind für Kinder, worunter ich die Anfänger verstehe. Diesen genügen sie, und es würde sie auch nur erschrecken, wenn sie viel Wasser auf einmal sähen.


  2. Fürchtet also nicht, meine Schwestern, daß ihr auf dem Wege des Gebetes vor Durst sterben werdet! Auf diesem Wege des Gebetes gebricht es nie derart an Wasser des Trostes, daß man es nicht aushalten könnte. Darum folget meinem Rate und bleibet nicht stehen auf dem Wege, sondern kämpfet tapfer im Streite bis zum Tod! Denn zu nichts anderem seid ihr hier, als um zu kämpfen. Seid ihr immer entschlossen im Streben, das Ziel des Weges zu erreichen, so wird euch der Herr, wenn er euch in diesem Leben auch einigen Durst leiden läßt, im ewigen Leben in aller Fülle zu trinken geben. Ihr habt dann nicht mehr zu fürchten, daß es euch je an Wasser fehlen werde. Gott gebe nur, daß wir es jetzt nicht an uns fehlen lassen! Amen.


  3. Um nun den Weg so anzutreten, daß wir nicht gleich anfangs irregehen, wollen wir ein wenig davon sprechen, wie man die Wanderung beginnen soll; daran ist das meiste, ja alles gelegen. Ich sage nicht, daß der den Antritt der Wanderung unterlassen sollte, der noch nicht den Entschluß hat, wie ich ihn hier darlegen werde; denn der Herr wird ihn allmählich vollkommen machen. Wenn er auch nur einen Schritt weit ginge, so hat die- ser Schritt eine solche Kraft in sich, daß er nicht zu fürchten hat, er sei umsonst gemacht und werde ihm nicht sehr gut belohnt werden. Es ist da, so wollen wir sagen, wie wenn jemand einen mit Ablässen versehenen Rosenkranz hat. Betet er ihn einmal, so gewinnt er diese Ablässe; und je öfter er ihn betet, desto mehr Ablässe werden ihm zuteil. Würde er aber diesen Rosenkranz gar nie gebrauchen und im Kasten verschlossen halten, so wäre es

    freilich besser, er hätte ihn nicht. Selbst wenn jemand auf diesem Wege auch nicht fortwan- delte, so würde ihn doch die kurze Strecke dieser Wanderung erleuchten, um auf anderen Wegen gut zu wandeln; dem größeren Fortschritt würde eine höhere Erleuchtung folgen. Auf jeden Fall darf er sicher sein, daß es ihm in keiner Weise schaden wird, den Weg des Gebetes zu wandeln, wenn er ihn auch wieder verlassen sollte; denn das Gute bringt nie einen Schaden.


  4. Bemüht euch darum, meine Töchter, allen, die mit euch verkehren, die Furcht zu be- nehmen, die sie von der Vornahme einer so heilsamen Übung zurückhält! Tut dies we- nigstens, wenn sie irgendwie in Freundschaft mit euch stehen und ihr sie für euere Pläne empfänglich findet! Überhaupt bitte ich euch um der Liebe Gottes willen, in eueren Unter- redungen stets das geistliche Wohl derer im Auge zu haben mit denen ihr sprecht, um es in irgendeiner Weise zu fördern. Es soll ja euer Gebet das Heil der Seelen zum Gegenstande haben; denn da ihr den Herrn allzeit darum bitten müßt, so wäre es ein schlimmes Zei- chen, meine Schwestern, wenn ihr es nicht auf alle mögliche Weise fördern würdet. Wollt ihr wahrhaft liebende Verwandte sein, so ist dies der rechte Liebesdienst; wollt ihr wahre Freundinnen sein, so wisset, daß ihr es nur auf diese Weise sein könnt. Die Wahrheit durch- dringe euere Herzen, wie sie durch die Betrachtung davon durchdrungen werden müssen! Dann werdet ihr klar erkennen, in welcher Weise wir den Nächsten zu lieben schuldig sind.


  5. Jetzt, meine Schwestern, ist keine Zeit mehr zum Kinderspiel; denn nichts anderes scheinen die weltlichen, wenn auch nicht sündhaften Freundschaften zu sein. Reden die- ser Art, wie: »Liebst du mich?« »Liebst du mich nicht?« dürfen bei euch nicht vorkommen. Weder mit Verwandten noch mit sonst jemand sollt ihr so reden, außer aus einer wichti- gen Ursache, um das Seelenheil einer Person zu fördern. Es könnte nämlich der Fall sein, daß es notwendig wäre, um einen Verwandten oder einen Bruder oder eine andere derarti- ge Person zum Anhören oder zur Annahme einer Wahrheit geneigt zu machen. Da könnt ihr euch dann dergleichen Reden und Äußerungen der Liebe bedienen, die dem sinnlichen Menschen immer angenehm sind. Denn manchmal wird ein sogenanntes gutes Wort mehr geachtet als viele Worte, die man von Gott redet; diese finden dann um so leichter Eingang in das Herz des Hörenden. Ist es also bei solchen Worten auf den Seelennutzen anderer ab- gesehen, so verwehre ich sie nicht; anderenfalls könnten sie durchaus nichts nützen, wohl aber großen Schaden verursachen, ohne daß ihr es merkt.


  6. Man weiß, daß ihr Nonnen seid und euere Beschäftigung das Gebet ist. Denke dar- um keine: »Ich will nicht für fromm gehalten werden«; denn was man an euch bemerkt, das wird der ganzen Gemeinde entweder zum Nutzen oder zum Schaden gereichen. Sehr schlimm wäre es daher, wenn jene, die so sehr verpflichtet sind, nur von Gott zu reden wie die Nonnen, es für gut fänden, in dieser Hinsicht zurückhaltend zu sein; ich nehme nur

    die Fälle aus, bei denen es zur Erzielung eines höheren Gutes geschähe.


  7. So muß euer Umgang mit anderen, so euere Sprache sein, die ihr führt. Wer mit euch umgehen will, der lerne sie, und wenn nicht, so hütet euch, die seinige zu lernen! Denn das wäre für euch eine Hölle. Hält man euch für ungebildet, so bedeutet das wenig; hält man euch für Heuchlerinnen, so liegt noch weniger daran. Dadurch werdet ihr wenigstens das gewinnen, daß euch niemand mehr besuchen wird, der nicht euere Sprache versteht; denn es ist nicht einzusehen, wie einer, der nicht Arabisch kann, eine Freude daran haben sollte, mit einem anderen viel zu reden, der keine andere Sprache als die arabische versteht. So wird man euch weder belästigen noch euch schaden; denn es wäre kein geringer Schaden, wenn ihr eine neue Sprache zu reden beginnen und die ganze Zeit damit zubringen würdet. Ihr könnt es nicht so wie ich aus Erfahrung wissen, welch großes Unheil dies für die Seele ist. Um sich an die eine Sprache zu gewöhnen, vergißt man die andere, und die Seele ist in beständiger Unruhe, die ihr in jeder Weise meiden müßt; denn um den Weg zu wandeln, von dem wir zu reden begonnen, ist der Seele Ruhe und Friede sehr notwendig.


  8. Wollen jene, die mit euch umgehen, euere Sprache lernen, so ist es zwar nicht euere Sache, ihnen Unterricht darin zu erteilen; aber ihr könnt ihnen doch sagen, welche Reich- tümer man durch die Erlernung dieser Sprache gewinnt. Ja, werdet nicht müde, ihnen dies zu sagen! Jedoch geschehe es mit Frömmigkeit, mit Liebe und Gebet, damit euere Worte Nutzen schaffen und jene, überzeugt von dem großen Gewinn, den sie zu hoffen haben, sich nach einem Meister umsehen, der sie diese Sprache lehrt. Es wäre gewiß keine kleine Gnade, die euch der Herr erwiese, wenn er durch euch da oder dort eine Seele erweckte, nach diesem Gute zu streben.


  9. Aber wie vieles bietet sich dar, wenn man von diesem Wege zu sprechen beginnt, selbst für eine Person, die auf ihm so übel gewandelt wie ich! Gehe der Herr, daß ich es euch, meine Schwestern, besser zu sagen wisse, als ich es getan! Amen.


 

Einundzwanzigstes Hauptstück

Wie wichtig es ist, daß man den Weg des Gebetes mit dem festen Entschluß beginne, aus ihm fortzuwandeln trotz der Hindernisse, die der böse Feind entgegenstellt.


  1. Wundert euch nicht, meine Töchter, daß beim Beginn dieses göttlichen Weges so vie- les beobachtet werden muß! Denn er ist der königliche Weg zum Himmel. Wer auf ihm wandelt, gewinnt einen großen Schatz; und darum dürfen wir uns nicht wundern, wenn er dem Anschein nach uns so teuer zu stehen kommt. Die Zeit wird noch kommen, in der man erkennen wird, wie all unser Mühen so gar nichts ist im Vergleich mit dem hohen Werte eines solchen Schatzes.

  2. Ich wende mich nun wieder jenen zu, die diesen Weg wandeln und nicht ablassen wollen, bis sie zum Ziele, d. h. dahin gelangt sind, wo sie vom Wasser des Lebens trin- ken werden. Wie müssen diese beginnen? Auf diese Frage antworte ich: Viel, ja alles ist an dem festen und unerschütterlichen Vorsatze gelegen, nicht abzulassen, bis sie das Ziel erreicht haben. Mag kommen und geschehen, was da wolle; mag die Mühe noch so groß sein; mag murren, wer da will; mögen sie das Ziel erreichen oder unterwegs sterben oder den Mut zur Ertragung der entgegentretenden Schwierigkeiten verlieren; ja, mag die gan- ze Welt darüber zugrunde gehen: Keine Furcht vor all diesen Vorkommnissen darf sie von einem solchen Entschlusse abhalten. Man kann oft von Gefahren reden hören, die auf die- sem Wege drohen. »Diese«, sagt man, »ist auf ihm ins Verderben geraten· jene ist getäuscht worden; eine andere hat viel mündliche Gebete verrichtet und ist doch gefallen; dadurch wird die Tugend Mißkredit gebracht; dies ist nichts für Frauenspersonen, bei denen Täu- schungen leicht möglich sind; diese sollten lieber spinnen als sich mit so erhabenen Dingen beschäftigen; das Vaterunser und das Ave Maria ist genug für sie.«


  3. Freilich genügt dieses Gebet, das sage auch ich. Und wie vollkommen genügt es! Im- mer ist es gut, wenn ihr euer Gebet auf jene Ergüsse gründet, die aus dem Munde des Herrn drangen. Darin also haben jene recht; denn wäre jetzt unsere Schwachheit nicht so groß und unsere Andacht nicht so lau, dann bedürften wir keiner anderen Anleitung zum Gebete und hätten keine Bücher nötig, die vom Gebete handeln. Es scheint mir darum gut zu sein, auf das Vaterunser einige Belehrungen zu gründen über die verschiedenen Gebetsstufen, ohne mich dabei mit erhabenen Dingen zu befassen.


  4. Ich spreche, wie gesagt, zu Seelen, die sich bei der Betrachtung eines Geheimnisses nicht sammeln können und denen das Betrachten zu künstlich vorkommt. Da es auch noch andere gibt, die so geistreich sind, daß ihnen nichts genügt, so spreche ich auch zu diesen. Die einen wie die anderen bedürfen keiner Bücher, die man ihnen wegnehmen könnte; sind sie nur eifrig und demütig, so werden sie nichts anderes nötig haben. Ich wenigstens war immer für das Gebet des Herrn eingenommen, und die Worte der Evangelien dienten mir mehr zur inneren Sammlung als sehr gut geschriebene Bücher, die ich ohnehin nicht gerne las, wenn ihre Verfasser nicht sehr bewährt waren. So will ich mich denn auch an den Lehrer der Weisheit halten; vielleicht wird er mich eine Betrachtung lehren, die euch zufriedenstellt. Nicht eine Erklärung dieses Gebetes will ich schreiben; denn dies möchte ich nicht wagen. Es sind ja ohnehin schon viele solcher Erklärungen vorhanden; und gäbe es auch keine einzige, so wäre es doch töricht von mir, eine solche zu geben. Ich möchte nur eine Betrachtung über die Worte des Vaterunsers anstellen; denn mit vielen Büchern verlieren wir nach meinem Dafürhalten manchmal nur die Andacht bei einer Übung, an der so viel gelegen ist. Es ist wohl klar, daß ein Meister, wenn er etwas lehrt, Liebe zu seinem Schüler faßt und sich freut, wenn er ihn mit dem zufriedenstellt, was er ihn lehrt; deshalb

    ist er ihm auch sehr behilflich, daß er es erfasse. Ebenso wird auch der himmlische Meister mit uns verfahren.


  5. Achtet darum nicht auf die Besorgnisse, die man euch einflößt, noch auf die Gefahren, die man euch vormalt! Freilich wäre es lächerlich, wollte ich ohne Furcht vor Gefahr zum Erwerb eines großen Schatzes einen Weg gehen, der von Straßenräubern umlagert ist. Die Welt weiß es schon so einzurichten, daß ihr diesen Schatz nicht in Frieden wegtragen könnt, sie, die wegen eines Maravedi oft manche Nächte nicht schläft und weder dem Leibe noch der Seele Ruhe gönnt. Ihr wandelt doch, um diesen Schatz zu gewinnen oder ihn nach dem Worte des Herrn mit Gewalt an euch zu reißen, auf einem königlichen und sicheren Wege, den auch unser König gegangen und auf dem alle seine Auserwählten und Heiligen ihm nachgefolgt sind. Wenn man euch aber da schon so viele Gefahren vorhält und so viele Besorgnisse einflößt, welchen Gefahren werden erst jene ausgesetzt sein, die zum Erwerb desselben Gutes ohne Weg nach eigenem Gutdünken wandeln?


  6. O meine Töchter, sie sind ohne Vergleich weit größeren Gefahren ausgesetzt; aber sie erkennen sie nicht, bis sie einmal wirklich in eine solche geraten sind und niemand ihnen heraushilft, so daß sie das Wasser ganz verlieren und weder viel noch wenig, weder aus einem Bache noch aus einem Rinnsale davon zu trinken bekommen. Ihr seht aber wohl die Unmöglichkeit ein, ohne einen Tropfen Wassers einen Weg zu gehen, auf dem man gegen so viele Feinde zu kämpfen hat. Sicher werden jene gerade zur Zeit, da sie der Labung am meisten bedürfen, vor Durst sterben. Wollen wir darum, meine Töchter, nicht dasselbe Los mit ihnen teilen, so laßt uns alle, wenn auch in Verschiedener Weise, dieser Quelle zuwandeln!


  7. Glaubt mir also und laßt euch von niemand täuschen, der euch einen anderen Weg als den des Gebetes zeigen will! Ich spreche jetzt nicht davon, ob alle überhaupt mündlich oder innerlich beten sollen; was aber euch betrifft, so sage ich, daß ihr das eine wie das andere tun müßt. Beides ist Pflicht der Ordensleute. Wer euch aber sagt, ersteres sei gefährlich, den haltet für die Gefahr selbst, und den meidet! Vergeßt nicht diesen Rat! Denn vielleicht braucht ihr ihn noch. Gefährlich wäre es, keine Demut zu haben und der übrigen Tugenden zu entbehren; daß aber der Weg des Gebetes ein gefährlicher sein soll, das wäre ganz gegen die Absichten Gottes.


  8. Es scheint eine Arglist des bösen Feindes zu sein, dergleichen Besorgnisse zu erregen; deshalb hat er auch in seiner Schlauheit einige, die scheinbar dem Gebete ergeben waren, zu Falle gebracht. Da könnt ihr so recht die Verblendung der Welt sehen; denn das beach- tet man nicht, daß so viele Tausende, die das Gebet nicht geübt, sondern in Zerstreuung gelebt haben, in Irrlehren und andere schwere Sünden gefallen sind. Wenn dagegen der

    böse Feind, um sein Werk besser vollführen zu können, von den vielen gebetsliebenden Seelen einige zu Falle gebracht hat, so benützt man dies, um anderen eine große Furcht vor den Übungen der Tugend einzuflößen. Mögen jene, die unter diesem Vorwand das Gebet unterlassen, sich wohl vorsehen; denn sie fliehen das Gute, um sich vor dem Bösen zu bewahren! Niemals habe ich einen schädlicheren Betrug gesehen als diesen, der allem Anscheine nach vom Teufel herrührt. O mein Herr, nimm dich deiner Sache an; denn sie- he, wie verkehrt man deine Worte versteht! Laß doch solche Schwachheiten bei deinen Dienern nicht zu!


  9. Ein großer Vorteil ist es für euch, daß ihr immer einige finden werdet, die euch helfen. Denn das ist dem wahren Diener Gottes, den Seine Majestät über den rechten Weg erleuch- tet hat, eigen, daß er sich von jenen Befürchtungen nicht einschüchtern läßt; sein Verlan- gen, auf diesem Wege nicht stillzustehen, nimmt vielmehr nur um so mehr zu. Er sieht klar, wohin der böse Feind seinen Schlag führt; darum weicht er ihm aus und zerschmettert ihm selbst den Kopf. Dieser Schmerz, den der Teufel darüber empfindet, übertrifft um vieles all die Freuden, die ihm andere zu seinem Gefallen bereiten. Wenn dieser zur Zeit der Verwir- rung Unkraut sät, daß er alle unter dem Scheine eines guten Eifers an sich zieht und alle halbblind ihm folgen, erweckt Gott einen seiner Diener, der ihnen die Augen öffnet und die Nebel zeigt, die ihnen jener vor die Augen gestellt, damit sie den (rechten) Weg nicht unterscheiden können. Wie groß ist doch die Macht Gottes, daß zuweilen einer oder zwei Menschen, die der Wahrheit die Ehre geben, mehr vermögen als viele andere zusammen! Allmählich finden die Verblendeten wieder den Weg, und Gott flößt ihnen Mut ein, ihn zu gehen. Sagt man, das Gebet bringe Gefahr mit sich, so bemüht sich der Diener Gottes, wenn nicht durch Worte, so doch durch Werke zu beweisen, wie vorteilhaft diese Übung sei. Sagt man, es sei nicht gut, oft zu kommunizieren, so tut er dies um so öfter. Wenn also nur einer oder zwei furchtlos dem Besseren folgen, so gewinnt der Herr nach und nach wieder, was verloren war.


  10. So legt denn, meine Schwestern, alle Furcht vor Gefahren ab! Achtet bei dergleichen Dingen nie auf die Meinung der großen Menge! Bedenket, daß man bei jetzigen Zeiten nicht allen glauben darf! Glaubet nur denen, die ihr in den Fußstapfen des Lebens Christi wandeln seht! Befleißigt euch, ein reines Gewissen zu bewahren und dabei demütig zu sein, alle Dinge dieser Welt zu verachten und unerschütterlich alles zu glauben, was unsere Mutter, die heilige Kirche lehrt! Dann wandelt ihr gewiß auf gutem Wege. Verbannet von euch, wie gesagt, alle Befürchtungen, wo nichts zu fürchten ist! Will euch jemand Furcht einjagen, so erkläret ihm in Demut eueren Weg! Saget ihm, daß ihr eine Regel habt, die euch ohne Unterlaß zu beten befiehlt — und es ist auch wirklich so —, sowie auch, daß ihr dieser Regel folgen müßt! Macht er aber die Einwendung, daß damit das mündliche Gebet gemeint sei, so fraget ihn nur, ob denn nicht Verstand und Herz an dem teilnehmen

müßten, was der Mund ausspricht! Bejaht er dann, wie es nicht anders möglich sein wird, diese Frage, so bekennt er offenbar selbst, daß ihr euch notwendig auch dem innerlichen Gebete, ja selbst der Beschauung hingeben müßt, wenn euch dabei Gott dazu erhebt.


 

Zweiundzwanzigstes Hauptstück

Erklärung des Wesens des innerlichen Gebetes.


  1. Wenn ich euch erklären soll, was innerliches Gebet ist, so wisset, meine Töchter: Das Wesen des innerlichen Gebetes besteht nicht im Schließen des Mundes (allein). Wenn ich beim Aussprechen der Worte mit ganzem Gemüte aufmerke und bedenke, daß ich mit Gott rede und eben darauf mehr achte als auf die Worte selbst, die ich spreche, so bete ich mündlich und innerlich zugleich. Sagt man euch aber, daß ihr mit Gott redet, wenn ihr das Vaterunser betet, und dabei an die Welt denkt, so will ich darüber nur schweigen. Wenn ihr mit Gott reden wollt, so müßt ihr auch so mit ihm sprechen, wie es sich einem so großen Herrn gegenüber geziemt; und da sollt ihr billigerweise bedenken, wer der ist, mit dem ihr redet, und wer ihr seid, damit ihr wenigstens mit Anstand redet. Wie könntet ihr wohl dem König die ihm gebührenden Titel geben, oder wie könntet ihr wissen, wel- ches Zeremoniell ihr bei euerer Anrede einem großen Herrn gegenüber beobachten müßt, wenn ihr weder seinen noch eueren Stand recht kennt? Dem Stande und der Sitte gemäß muß doch auch die Ehrenbezeigung sein. Dies alles müßt ihr kennen, wenn ihr nicht als ungebildete Menschen unverrichtetersache wieder fortgejagt werden wollt. Aber du, mein Herr und Gebieter, welches Benehmen gegen dich erträgst du nicht? Du, mein Gott, bist ein König, der ewig herrscht; denn dein Reich ist kein Lehenreich.


  2. Wenn ich im Kredo höre, dein Reich habe kein Ende, so empfinde ich fast immer eine besondere Freude. Ich lobe dich, o Herr, und preise dich in Ewigkeit. Ja, dein Reich wird ewig dauern. Möchtest du darum, o Herr, doch nie gestatten, daß man sich begnüge, nur mit dem Munde zu reden, wenn man mit dir spricht! O Christen, die ihr sagt, innerliches Gebet sei nicht notwendig, was denkt ihr euch denn? Versteht ihr wohl, was ihr da sagt? Ich meine, gewiß nicht, und daher wollt ihr, daß wir alle so töricht seien wie ihr. Ihr wißt weder, was innerliches Gebet ist, noch auch, was Beschauung ist; denn wüßtet ihr es, so würdet ihr nicht auf einer Seite tadeln, was ihr auf der anderen lobt.


  3. Ich will immer, falls ich es nicht vergesse, mit dem mündlichen Gebete auch das in- nerliche besprechen, damit man euch, meine Töchter, nicht erschrecke; denn da ich selbst in dieser Beziehung einiges gelitten, so weiß ich, wohin es führt, wenn man auf die Reden unvernünftiger Menschen achtet. Darum möchte ich nicht, daß euch jemand beunruhige, weil es schädlich ist, auf dem Wege des Gebetes furchtsam zu wandeln. Hingegen ist es sehr

    wichtig für euch, zu wissen, daß ihr auf dem rechten Wege seid, damit es euch nicht ergehe, wie einem Reisenden, dem man sagt, er habe den Weg verfehlt und gehe irre. Während er nach allen Richtungen umherschweift, um den rechten Weg zu finden, ermüdet er, verliert die Zeit und kommt später am Ziele seiner Reise an.


  4. Wer kann es für unrecht halten, wenn wir die Tagzeiten oder den Rosenkranz damit beginnen, daß wir erwägen, wessen Standes der Angesprochene und die zu ihm Sprechen- den sind, um zu wissen, wie wir uns gegen ihn zu verhalten haben? Wenn ihr aber, meine Schwestern, alles gehörig erwägt, was in diesen zwei Punkten liegt, so sage ich: Ihr übt schon bei Beginn des mündlichen Gebetes, das ihr verrichten wollt, eine geraume Zeit das innerliche. Wir würden ja doch auch zu einem Fürsten, mit dem wir reden wollten, nicht so unvorbereitet gehen wie zu einem Bauern oder wie zu einem Armen, wie wir es sind; mit diesen kann man reden, wie es eben kommt. Zwar verschmäht es der himmlische König in seiner Demut nicht, mich anzuhören, wenn ich auch wegen meiner Ungeschicklichkeit nicht recht mit ihm zu reden verstehe. Er wehrt es mir deshalb nicht, mich ihm zu nähern, und seine Leibwachen entfernen mich nicht von ihm; denn die Engel, die in der Nähe ih- res Königs sind, kennen dessen Eigenschaften gut und wissen, daß die Einfalt eines armen, demütigen Hirten, von dem er weiß, daß er es besser machen würde, wenn er könnte, ihm mehr gefällt als die feinsten Reden der größten Gelehrten, wenn sie nicht demütig sind. Aber deshalb, weil dieser König so gut ist, dürfen wir nicht unartig sein. Zum Dank dafür, daß er den üblen Eindruck erträgt, wenn er solche wie mich in seiner Nähe duldet, sollten wir uns wenigstens befleißen, seine Reinheit und Erhabenheit kennenzulernen. Freilich kennt man ihn schon, sobald man sich ihm naht, wie es auch bei den Herren dieser Welt der Fall ist. Sagt man uns von einem, wer sein Vater gewesen, welche Einkünfte und wel- chen Titel er habe, so brauchen wir nichts weiter zu wissen; denn hier in der Welt nimmt man bezüglich der Ehrenbezeigungen nicht Rücksicht auf die Verdienste der Person, son- dern auf ihre Reichtümer.


  5. O erbärmliche Welt! Preiset Gott von ganzem Herzen, meine Töchter, daß ihr etwas so Verächtliches wie diese Welt verlassen habt, wo man nicht das achtet, was einer an sich selbst hat, sondern was seine Pächter und Vasallen besitzen! Verliert er dies, so hat es mit den Ehrenbezeigungen der Welt sogleich ein Ende. Diese Lächerlichkeit mag für euch ein Gegenstand der Unterhaltung in eueren gemeinsamen Erholungsstunden sein; denn es ist ein nützlicher Zeitvertreib, zu sehen, in welcher Blindheit die Weltmenschen ihre Zeit ver- leben.


  6. O du, unser Gebieter, höchste Macht, höchste Güte, die Weisheit selbst, ohne Anfang und ohne Ende! Deine Vollkommenheiten haben keine Grenzen; sie sind unendlich und übersteigen allen Begriff; sie sind ein bodenloser Abgrund von Wundern. Du Schönheit,

    die alle Schönheiten in sich begreift! Du, die Stärke selbst! O Gott! Ich weiß zwar wohl, das; alles menschliche Wissen nichts ist. Aber hätte ich doch die ganze Wissenschaft und Beredsamkeit aller Sterblichen zusammen, um, soweit es hienieden möglich ist, nur eine von den vielen Eigenschaften, die wir betrachten können, recht zu verstehen und zu erklä- ren, damit wir wenigstens einigermaßen das Wesen dieses Herrn, dieses unseres höchsten Gutes erkennen würden!


  7. Bedenket doch und erkennet es, wenn ihr vor ihn hintretet, wer der ist, mit dem ihr reden wollt, oder während ihr betet, mit wem ihr jetzt redet! Wenn wir tausendmal so lang lebten, als wir leben, so würden wir doch nie genug erkennen, mit welcher Ehrfurcht wir mit diesem Herrn reden sollen, vor dem die Engel zittern, der über alles gebietet, der alles vermag, dessen Wollen schon Wirken ist. Gewiß, meine Töchter, tun wir recht, wenn wir uns an den Herrlichkeiten unseres Bräutigams zu erfreuen suchen, wenn wir bedenken, mit wem wir verlobt sind, und was für ein Leben wir deshalb führen müssen. Mein Gott! Will sich eine Person in dieser Welt verheiraten, so kennt sie ihren Bräutigam zuvor; sie weiß, wer er ist und welches Vermögen er hat. Und wir, die wir schon verlobt sind, (sollten unseren Bräutigam nicht kennenzulernen uns bemühen), ehe er uns zur Hochzeit in sein Haus einführt? Ist dies den Verlobten hier auf Erden nicht verwehrt, warum sollte es uns nicht gestattet sein? Warum sollten wir nicht nachdenken dürfen, wer unser Bräutigam, wer dessen Vater ist, was für ein Land es ist, wohin er uns führen will, was für Güter er uns zu geben verspricht, welche Eigenschaften er hat, wie wir ihm am besten gefallen und wodurch wir ihm Freude bereiten können? Warum sollte es uns nicht gestattet sein, dar- nach zu trachten, daß unser Verhalten dem seinigen gleichförmig werde? Einer Frau, die in ihrer Ehe glücklich leben will, empfiehlt man nur das eine, daß sie sich ihrem Manne anbequeme, selbst wenn er von ganz geringem Stande ist. Um dich aber, mein Bräutigam, soll man in allem weniger besorgt sein als um die Menschen? Wenn die Welt nichts tun will, um dir zu gefallen, so möge sie doch deine Bräute ungestört lassen, die mit dir leben müssen! Sie führen in Wahrheit ein glückliches Leben. Ist aber ein Bräutigam so eifersüch- tig, daß seine Braut mit keinem anderen verkehren darf, so wäre es doch wohl nicht schön von ihr, wenn sie nicht darauf bedacht sein würde, sich ihm hierin gefällig zu erzeigen. Da sie an ihrem Bräutigam alles hat, was sie verlangen kann, so ist es auch billig, daß sie sich auch seinem Wunsche füge und nicht mit einem anderen zu verkehren verlange.


  8. Dies also, meine Töchter, die Erkenntnis dieser Wahrheiten, ist innerliches Gebet. Wollt ihr euch während des mündlichen Gebetes im Geiste damit beschäftigen, so ist es mir ganz recht. Aber denket ja nicht an andere Dinge, während ihr mit Gott redet! Denn dies wäre ein Beweis, daß ihr kein Verständnis habt für das Wesen des innerlichen Gebetes. Ich glaube, dies hiermit erklärt zu haben. Der Herr gebe, daß wir auch darnach zu handeln wissen! Amen.

 

Dreiundzwanzigstes Hauptstück

Wieviel daran gelegen ist, daß man nicht wieder umkehre, nachdem man den Weg des Gebetes einmal betreten hat. Wiederholter Hinweis auf die große Wichtigkeit eines festen Entschlusses, diesen Weg mit Beharrlichkeit zu wandeln.


  1. Es liegt, wie schon erwähnt, sehr viel daran, daß man den Weg des Gebetes mit dem fes- ten Entschlusse beginne, auf ihm beharrlich fortzuwandeln. Dafür gibt es so viele Gründe, daß ich zu weitläufig sein müßte, wollte ich alle anführen; ich will euch, meine Schwestern, darum nur zwei oder drei davon sagen. Der erste Grund ist folgender: Wenn wir einem, der uns so viel gegeben hat und fortwährend gibt, die ihm zugedachte kleine Aufmerksam- keit zu schenken uns entschließen, so wäre es der Billigkeit nicht entsprechend, wollten wir ihm dies nicht mit ganz entschiedenem Willen, sondern gleichsam nur leihweise ge- ben, um es später zurückzunehmen. Es wäre dies um so unvernünftiger, da es gewiß nicht ohne Nutzen, ja sehr vorteilhaft für uns wäre. Meines Erachtens wäre dies kein Schenken. Bietet man aber einem anderen etwas an, so wird es ihn immer verdrießen, wenn man es wieder zurückfordert, besonders wenn er die ihm angebotene Sache, die er schon für sein Eigentum hielt, notwendig braucht. Geschähe dies unter Freunden und wäre der An- bieter dem anderen für vieles, was ihm dieser ohne alles Eigeninteresse schon geschenkt hat, zum Danke verpflichtet, so würde man es mit Recht für eine Erbärmlichkeit und für Mangel an Liebe halten, wenn so ein Mensch seinem Wohltäter auch nur eine geringfügige Sache, wenigstens als Zeichen der Liebe, nicht überlassen wollte.


  2. Wo ist eine Braut, die ihrem Bräutigam, von dem sie schon viele Kostbarkeiten emp- fangen, nicht wenigstens einen Ring gäbe, zwar nicht seines Wertes wegen, weil ja ohnehin alles sein ist, sondern als Unterpfand dafür, daß sie sein bleiben wolle bis in den Tod? Verdient aber unser Herr weniger und dürfen wir seiner spotten, wenn wir ihm etwas so Geringes wie die Zeit, die wir ihm zu widmen uns entschlossen, jetzt geben und dann wie- der nehmen? Ach, wie viele Zeit verbringen wir mit uns selbst und mit anderen, die uns keinen Dank dafür wissen! Laßt uns doch, wenn wir dem Herrn eine Zeit schenken wollen, ihm diese so gehen, daß wir unseren Geist nicht mit anderen Dingen beschäftigen und fest entschlossen sind, dieses Geschenk nicht mehr zurückzunehmen, mögen die Beschwer- den, die Mühen und Trockenheiten, die wir zu erdulden haben, auch noch so zahlreich sein! Die dem Herrn geschenkte Zeit dürfen wir nicht mehr als uns gehörig betrachten; wir müssen vielmehr bedenken, daß er sie als ein Recht fordern kann, wenn wir sie ihm nicht völlig überlassen wollen.


  3. Mit dem Worte »völlig« verstehe ich nicht die Unterlassung des innerlichen Gebetes an nur einem Tage oder auch an mehreren Tagen wegen rechtmäßiger Geschäfte oder wegen

    Unpäßlichkeit; denn das nenne ich nicht ein Zurücknehmen dessen, was man gegeben hat. Unser Gott ist nicht so empfindlich und achtet solche Kleinigkeiten nicht, wenn nur der gute Wille bleibt. Schon dies ist ein Geben, und Gott wird sich uns auch für diese Gabe erkenntlich zeigen. Das andere ist indessen immerhin noch etwas Gutes. Wer nicht freigebig, sondern karg ist und den Mut nicht hat, zu schenken, der tut schon viel, wenn er nur leiht. Dies ist doch wenigstens etwas; und unser Herr, der sich nach dem Belieben eines jeden fügt, rechnet uns alles als Zahlung an. Wenn er mit uns abrechnet, erweist er sich nicht knauserig, sondern großmütig. Mag der Rest unserer Schuld auch noch so groß sein, so achtet er dessen Nachlaß als etwas Geringes. Dagegen ist er so sorgsam im Bezahlen, daß ihr nicht zu fürchten habt, er werde auch nur einen Blick der Augen unbelohnt lassen, den ihr, seiner gedenkend, zu ihm erhebt.


  4. Der zweite Grund, warum wir uns fest entschließen sollen, den Weg des Gebetes mit Beharrlichkeit zu wandeln, besteht darin, daß dann der böse Feind keine so große Gewalt hat, uns zu versuchen. Entschlossene Seelen fürchtet er sehr; denn er weiß aus Erfahrung, daß sie ihm großen Schaden zufügen und daß alles, wodurch er sie zu verderben meint, zu ihrem und anderer Nutzen gereicht, während er selbst mit Verlust abziehen muß. Indessen dürfen wir uns dabei doch nicht für so sicher halten, daß wir nicht beständig auf der Hut sein müßten; denn wir haben es mit einem verräterischen Feinde zu tun, der zwar wegen seiner großen Feigheit die Behutsamen weniger anzugreifen wagt, den Sorglosen aber gro- ßen Schaden zufügen wird. Sieht er, daß einer wankelmütig, im Guten unbeständig und nicht fest entschlossen ist, darin auszuharren, so läßt er ihm Tag und Nacht keine Ruhe; er stellt ihm endlose Befürchtungen und Schwierigkeiten vor Augen. Dies weiß ich nur zu gut aus Erfahrung; darum kann ich davon reden. Ich sage dies, damit jeder weiß, wieviel an dieser Sache gelegen ist.


  5. Der dritte Grund endlich, an dem viel liegt, ist folgender: Man kämpft mit größerem Mute, wenn man weiß, daß man nicht mehr umkehren darf, mag kommen, was da wolle. Wir gleichen da einem Soldaten in der Schlacht, der gar wohl weiß, daß ihm das Leben nicht geschenkt wird, wenn er sich überwinden läßt, und doch einmal sterben muß, wenn er auch im Kampf nicht umkommt. Ein solcher will, wie man zu sagen pflegt, sein Leben teuer verkaufen und kämpft darum weit mutiger. Er fürchtet die Streiche der Feinde nicht so sehr, weil er vor Augen hat, wieviel an dem Siege gelegen ist, von dem sein Leben abhängt. Notwendig ist es auch, den Kampf mit dem sicheren Vertrauen zu beginnen, daß wir daraus als Sieger hervorgehen werden, wenn wir nicht selbst uns überwinden lassen; denn daran ist kein Zweifel. So gering auch die Beute sein mag, die wir davontragen, so werden wir durch sie doch sehr bereichert.

  6. Habet darum keine Furcht, der Herr werde euch auf dem Wege des Gebetes vor Durst sterben lassen, da er selbst uns einladet, aus der Quelle des lebendigen Wassers zu trinken! Dies habe ich schon gesagt und möchte es oft und oft wieder sagen, weil solche leicht mutlos werden, die die Güte des Herrn, obschon durch den Glauben davon überzeugt, noch nicht recht aus Erfahrung kennen. Dagegen ist es von großem Nutzen, wenn man selbst erfahren hat, wie entgegenkommend und freigebig der Herr gegen jene ist, die auf diesem Wege wandeln, da er fast alle Kosten ihres Fortschrittes trägt.


  7. Wer dies noch nicht erfahren hat, von dem wundert es mich nicht, wenn er im voraus eines Gewinnes versichert sein möchte. Nun wißt ihr aber, daß selbst schon in diesem Leben hundert für eins vergolten werden, und daß der Herr spricht: »Bittet, und es wird euch gegeben werden.« Wolltet ihr da, meine Schwestern, der göttlichen Majestät, die in ihrem Evangelium euch diese Versicherung gibt, keinen Glauben schenken, so würde ich mir mit Anführung von Beweisen umsonst den Kopf zerbrechen. Indessen sage ich doch jenen, die noch zweifeln, daß sie auf alle Fälle nicht viel verlieren werden, wenn sie es auf eine Probe ankommen lassen. Denn dieser Weg hat das Gute, daß man mehr erhält, als man begehrt, ja nur zu wünschen weiß. Dies ist ganz gewiß. Ich selbst weiß es, und ich könnte auch jene unter euch als Zeugen anführen, die durch Gottes Güte es aus Erfahrung wissen.


 

Vierundzwanzigstes Hauptstück

Anweisung über die vollkommene Verrichtung des mündlichen Gebetes und dessen enge Verbindung mit dem innerlichen.


  1. Ich wende mich jetzt wieder den Seelen zu, die, wie gesagt, sich nicht sammeln, ihren Verstand beim innerlichen Gebet nicht festhalten und keine Betrachtung anstellen können. Von den beiden Gegenständen, vom innerlichen Gebete und der Betrachtung, will ich hier nicht reden, weil eben solche Seelen dazu nicht fähig sind. Ich unterlasse es hier auch aus dem Grunde, weil es in Wahrheit viele Seelen gibt, denen schon das bloße Wort »inner- liches Gebet« oder »Beschauung« Schrecken einzuflößen scheint, und unter diesen auch solche sein könnten, die in dieses Haus eintreten; denn wie schon erwähnt, wandeln nicht alle auf demselben Wege. Ich will also hier nur von dem mündlichen Gebete sprechen und euch sozusagen guten Rat geben oder, weil mein mütterliches Amt als Priorin mir dies er- laubt, euch belehren, wie ihr dieses Gebet verrichten sollt; denn es ist billig, daß ihr auch versteht, was ihr betet. Weil aber manche, die ihre Gedanken nicht an Gott geheftet hal- ten können, auch langer mündlicher Gebete leicht überdrüssig werden, so will ich mich nur mit jenen Gebeten befassen, die wir als Christen notwendig beten müssen, mit dem

    »Vaterunser« und dem »Gegrüßet seist du, Maria«.

  2. Man soll von uns nicht sagen können, daß wir beten und nicht verstehen, was wir be- ten; wenigstens sollen wir nicht meinen, es sei genug, beim Beten gewohnheitsmäßig nur die Worte auszusprechen. Ob jedoch das wirklich genügt oder nicht, will ich nicht unter- suchen; dies mögen die Gelehrten sagen. Ich, meine Töchter, wünschte, daß wir uns mit dem bloßen Aussprechen der Worte nicht begnügten. Wenn ich das Kredo bete, halte ich es für billig, daß ich auch erkenne und wisse, was ich glaube. Und wenn ich das Vaterun- ser spreche, so ist es doch wohl der Liebe gemäß, daß ich erkenne, wer dieser unser Vater, und wer der Meister ist, der uns dieses Gebet gelehrt hat. Wolltet ihr aber sagen, dies wüß- tet ihr schon so, und es sei nicht nötig, euch erst daran zu erinnern, so sprächet ihr nicht recht; denn zwischen diesem Meister und den anderen Lehrern ist ein großer Unterschied. Selbst in der Welt hält man es für einen großen Undank, seine Lehrer zu vergessen; ja, es ist dies, sind wir anders gute Schüler, geradezu unmöglich, besonders wenn jene, die uns unterweisen, heilige Männer und unsere Seelenführer sind. Daß wir aber einen solchen Lehrmeister vergessen sollten, der uns dieses Gebet mit so inniger Liebe und so großem Verlangen, uns zu nützen, gelehrt hat, davor behüte uns Gott! Vielmehr sollten wir uns seiner beim Beten des Vaterunsers, wenn auch wegen unserer Schwachheit nicht jedesmal, so doch wenigstens oft erinnern.


  3. Wie ihr schon wißt, ist bezüglich des Gebetes vor allem zu beachten, was der Herr uns lehrt: Wir sollen die Einsamkeit aufsuchen. So hat er selbst immer gehandelt, wenn er betete, zwar nicht, weil es für ihn notwendig gewesen wäre, sondern zu unserer Belehrung. Schon oben ist gesagt worden, daß es nicht angehe, mit Gott und der Welt zugleich zu re- den; dies tun aber jene, die beten und zugleich aufmerken, was andere reden, oder die beim Beten ihren zerstreuten Gedanken freien Lauf lassen. Ich nehme den Fall aus, wenn man trotz aller Anstrengung die Zerstreuungen nicht meistern kann, weil entweder schlech- te Gemütsstimmung, besonders bei melancholischem Naturell oder Schwäche des Kopfes ein Hemmnis bilden. Auch können Tage kommen, an denen der Herr über seine Diener zu ihrem Besten große Stürme hereinbrechen läßt. Wenn sie auch aus Betrübnis darüber bemüht sind, Ruhe in ihrem Innern herzustellen, so ist ihr Bemühen doch umsonst. Was sie auch tun mögen, sie können nicht bei dem verweilen, was sie beten; ihr Verstand bleibt bei nichts stehen, sondern irrt wie von Sinnen umher.


  4. Aus der Pein, die diese Seelen darüber empfinden, ist abzunehmen, daß sie hier keine Schuld tragen. Um das Übel nicht noch ärger zu machen, soll man sich in solchen Fällen weder der Traurigkeit überlassen, noch sich abmühen, den zur Zeit vernunftlosen Verstand zur Vernunft zu bringen. Man bete alsdann so gut man kann, oder bete nicht; statt dessen verrichte man ein anderes gutes Werk und verschaffe so seiner Seele als einer Kranken Erleichterung. Dies sei jenen gesagt, die für sich besorgt sind und einsehen, daß sie nicht mit Gott und der Welt zugleich reden können. Aber das liegt in unserer Macht, daß wir

    trachten, einsam zu sein. Gott gebe, daß dies genüge, um, wie gesagt, zu erkennen, mit wem wir reden, aber auch, um zu vernehmen, was der Herr auf unsere Bitten antwortet! Oder glaubt ihr etwa, er schweige, wenn wir ihn auch nicht hören? O er redet gar wohl zu unserem Herzen, wenn wir ihn herzlich bitten. Gut ist es auch, wenn jede aus uns beim Beten des Vaterunsers sich denkt, der Herr habe sie dieses Gebet im besonderen gelehrt und stehe ihr jetzt durch seine Unterweisung zur Seite. Der Lehrer ist ja nie so weit von seinem Schüler entfernt, daß er laut rufen müßte; vielmehr steht er ganz nahe bei ihm. Ich wünschte, ihr möchtet einsehen, wie sehr es dazu dient, das Vaterunser gut zu beten, wenn man sich nicht von der Seite des Meisters entfernt, der es uns gelehrt hat.


  5. Aber ihr werdet da sagen: Diese Gebetsweise heißt ja betrachten, während wir nur mündlich beten können und wollen. Leider gibt es Personen, die gar wenig Geduld haben und nicht gern eine Mühe auf sich nehmen. Ungewohnt, ihre Gedanken beim Beginn des Gebetes zu sammeln, und um der geringsten Anstrengung auszuweichen, geben sie vor, sie könnten und verstünden weiter nichts, als mündlich zu beten. Freilich ist das, was ich empfohlen, wirklich schon innerliches Gebet; darin habt ihr recht. Aber ich sage euch in Wahrheit, daß ich nicht weiß, wie man mündlich beten könne, ohne zugleich auch inner- lich zu beten; denn wenn man das mündliche Gebet gut verrichten will, muß man auch daran denken, mit wem man redet. Zudem sind wir ja ohnehin verpflichtet, uns zu bemü- hen, daß wir mit Aufmerksamkeit beten, und gebe Gott, daß wir das Vaterunser wenigstens durch Beobachtung des hier angegebenen Verhaltens gut beten und uns nicht in etwas Un- gehöriges verlieren! Hierin habe ich selbst manche Erfahrung gemacht, und immer noch finde ich es als das beste Mittel, daß ich meinen Geist auf den gerichtet halte, an den ich mich mit meinen Worten wende. Habet daher Geduld und wendet allen Eifer an, euch an eine so notwendige Übung zu gewöhnen!

 

Fünfundzwanzigstes Hauptstück

Welch großer Gewinn der Seele erwächst, wenn man das mündliche Gebet mit Vollkom- menheit verrichtet. Bisweilen erhebt Gott die Seele aus diesem Gebet zu übernatürlichen Dingen.


  1. Glaubet ja nicht, man ziehe aus dem mündlichen Gebete wenig Gewinn, wenn man es mit Vollkommenheit verrichtet! Es kann sogar sehr leicht geschehen, daß euch der Herr, während ihr das Vaterunser oder ein anderes Gebet sprecht, zu vollkommener Beschauung erhebt. Auf diese Weise zeigt der Herr, daß er den hört, der zu ihm spricht, und sich würdigt, ihm zu antworten; er hebt dabei den Verstand auf, bindet die Gedanken und nimmt ihm sozusagen das Wort vom Munde, so daß er, wenn er auch wollte, nicht mehr sprechen kann, außer mit großer Anstrengung. Die Seele erkennt da, daß sie dieser göttliche Meister ohne Wortgeräusch durch Aufhebung ihrer Kräfte unterweist, weil ihr diese durch ihr Wirken

    in diesem Zustande eher schaden als nützen würden. Diese Kräfte sind im Genusse, ohne jedoch zu verstehen, wie sie genießen; die Seele ist in Liebe entzündet, weiß aber nicht, wie sie liebt. Sie erkennt, daß sie das genießt, was sie liebt; doch versteht sie nicht, wie sie genießt. Sie sieht wohl ein, daß der Verstand sich einen solchen Genuß nicht vorstellen kann, um darnach zu verlangen. Der Wille ist versenkt in diesen Genuß, ohne aber zu wissen wie. Die Seele kann hier nur das eine begreifen, daß das, was sie genießt, ein Gut ist, das durch Ertragung aller Mühseligkeiten dieser Welt nicht verdient werden könnte. Es ist ein Geschenk des Herrn des Himmels und der Erde, der, um es mit einem Worte zu sagen, auf eine ihm würdige Weise gibt. Dies, meine Töchter, ist die vollkommene Beschauung.


  2. Jetzt werdet ihr auch den Unterschied zwischen der Beschauung und dem innerlichen Gebete einsehen. Letzteres besteht, wie bereits erwähnt, darin, daß wir bedenken und er- kennen, was wir beten, wer der ist, mit dem wir reden, und wer wir sind, die wir mit einem so großen Herrn zu sprechen wagen. Darin also, daß wir dies und Ähnliches erwägen, z. B. den geringen Dienst, den wir bisher dem Herrn geleistet, und unsere große Verpflichtung, ihm zu dienen, darin, sage ich, besteht das innerliche Gebet. Stellt euch darum dieses nicht als etwas besonders Geheimnisvolles vor und erschreckt nicht vor dem Namen! Sprecht ihr das »Vaterunser« und das »Gegrüßet seist du, Maria« oder ein anderes beliebiges Gebet, so ist das ein mündliches Gebet. Beachtet aber, daß dieses einer schlechten Musik gleichkä- me, wenn es nicht in Verbindung mit dem innerlichen Gebete verrichtet würde! Selbst die Worte würden nicht immer den rechten Sinn haben. Bei dem einen wie bei dem anderen Gebete können wir mit der Hilfe des Herrn selbst etwas tun; bei der Beschauung aber, von der ich eben gesprochen, vermögen wir nichts. Hier tut alles die göttliche Majestät; denn die Beschauung ist Gottes Werk, da sie unsere Natur übersteigt.


  3. In meiner Lebensbeschreibung — ich verfaßte sie auf Befehl meiner Beichtväter, die davon Einsicht nehmen wollten — habe ich sehr ausführlich und so gut ich konnte, die Be- schauung erklärt; deshalb wollte ich sie hier nur kurz berühren und spreche ich nun nicht weiter mehr davon. Verschafft euch der Herr das hohe Glück, zum Stande der Beschauung zu gelangen, so möget ihr die genannte Schrift lesen, wenn ihr sie bekommen könnt! Sie enthält Belehrungen und Ratschläge, die der Herr mich finden lassen wollte und die euch nach meinem Dafürhalten zu großem Troste und Nutzen gereichen werden. Dasselbe mei- nen auch andere, die diese Schrift geprüft haben und der Ansicht sind, daß sie zu schätzen sei. Ich selbst würde mich schämen, euch zu sagen, daß ihr etwas achten sollt, was von mir ist; und der Herr weiß es, mit welcher Beschämung ich vieles geschrieben habe, was dort zu lesen ist. Er sei gepriesen dafür, daß er mich so geduldig erträgt! Jenen also, denen der Herr die Gnade des übernatürlichen Gebetes verleiht, mögen sich nach meinem Tode besagtes Buch zu verschaffen suchen; die anderen haben es nicht nötig. Für sie ist es ge- nug, mutig das ins Werk zu setzen, was im gegenwärtigen Buch enthalten ist, und sich im

übrigen dem Herrn zu überlassen; denn er ist es, der allein zur Beschauung erheben kann; und gewiß wird er euch diese Gnade nicht versagen, wenn ihr nicht stehenbleibt auf dem Wege, sondern mutig das Ziel verfolgt, bis ihr es erreicht habt.


 

Sechsundzwanzigstes Hauptstück

Anweisung, um die Gedanken zu sammeln, und Mittel dazu. Dieses Hauptstück ist sehr nützlich für Anfänger im Gebet.


  1. Kehren wir nun wieder zu unserem mündlichen Gebete zurück! Wir wollen sehen, was wir tun müssen, um es, wie gesagt, in gebührender Weise zu verrichten, so daß uns Gott unvermerkt alle Gebetsgnaden miteinander verleiht. Zuerst müssen wir, wie ihr schon wißt, unser Gewissen erforschen, das Confiteor sprechen und uns mit dem heiligen Kreuze bezeichnen. Dann seht euch, meine Töchter, weil ihr allein seid, nach einer Gesellschaft um! Welche aber könnte da besser sein als die des Meisters selbst, der euch das Gebet gelehrt hat, das ihr verrichten wollt. Stellt euch also den Herrn selbst als gegenwärtig vor und seht, mit welcher Liebe und Demut er euch unterweist! An der Seite eines so guten Freundes sollt ihr überhaupt immer weilen, soweit es euch möglich ist. Gewöhnt euch also daran, Jesus stets bei euch zu haben! Ihr werdet ihn dann sozusagen nicht mehr von euch verscheuchen können, wenn er sieht, daß ihr dies aus Liebe zu ihm tut und bemüht seid, ihm zu gefallen. Er wird euch niemals verlassen, wird euch beistehen in allen Nöten, und überall werdet ihr ihn bei euch finden. Meint ihr, es sei etwas Geringes, einen solchen Freund an der Seite zu haben?


  2. O meine Schwestern, die ihr mit dem Verstande nicht viel nachsinnen noch euere Ge- danken gesammelt halten könnt, gewöhnt euch doch an diese Übung! Seht, ich weiß, daß ihr es könnt! Ich selbst habe viele Jahre lang darunter zu leiden gehabt, daß ich mit meinen Gedanken nicht ruhig bei einem Gegenstande bleiben konnte. Dies ist gewiß sehr schmerz- voll; aber ich weiß auch, daß der Herr uns nicht so allein läßt ohne seine Gesellschaft, wenn wir uns ihm in Demut nahen, ihn darum zu bitten. Können wir es aber nicht in einem Jah- re dahin bringen, so wird es in mehreren glücken. Wer treibt uns denn zur Eile? Die Zeit, die wir in mühevollem Streben damit zubringen, diesen wahren Meister stets bei uns zu haben, soll uns nicht reuen; sie ist gewiß gut angewendet.


  3. Ich verlange für jetzt nicht, daß ihr über ihn nachsinnen, viele Gedanken fassen oder mit dem Verstande hohe und scharfsinnige Erwägungen anstellen sollt; ich bitte euch nur, daß ihr ihn ansehen möget. Wenn ihr wirklich nicht mehr tun könnt, wer hindert euch wohl, die Augen der Seele wenigstens mit einem Blick auf diesen Herrn zu richten? Ihr könnt ja doch auch sehr häßliche Dinge ansehen; warum sollt ihr nicht imstande sein, das

    Schönste anzusehen, was man sich vorstellen kann? Euer Bräutigam, meine Töchter, wen- det nie seine Augen von euch. Tausend häßliche und abscheuliche Dinge hat er seinerseits an euch ertragen, und sie konnten ihn nicht bewegen, sein Angesicht von euch abzuwen- den. Sollte es euch nun zuviel sein, manchmal die Augen von den äußeren Dingen weg- zuwenden und ihn anzuschauen? Seht, er wartet, wie er zur Braut sagt, auf nichts anderes, als daß wir ihn anblicken. Wenn ihr nach ihm verlangt, so werdet ihr ihn finden; denn er achtet einen Blick von uns so hoch, daß er es seinerseits nicht fehlen läßt, sich von uns finden zu lassen.


  4. Will eine Ehefrau mit ihrem Manne im Frieden leben, so muß sie sich, wie man sagt, ihm anbequemen; sie muß sich traurig zeigen, wenn er traurig ist, und fröhlich, wenn er fröhlich ist, auch wenn sie es niemals wäre. Dies ist eine Knechtschaft, von der ihr, mei- ne Schwestern, frei seid. Aber seht, wie eine Ehefrau gegen ihren Mann, so verhält sich in Wahrheit und ohne Verstellung der Herr gegen euch. Er macht sich euch unterwürfig, indem er euch als seine Herrinnen betrachtet und ganz nach euerem Willen sich verhält. Seid ihr fröhlich, so seht ihn an als den Auferstandenen! Schon die Vorstellung, wie er aus dem Grabe hervorgeht, wird euch erfreuen. Wie erst, wenn ihr seht, in welcher Klarheit und Schönheit, mit welcher Majestät, wie siegreich und frohlockend er ersteht, nachdem er so glücklich den Kampf vollendet, bei dem er ein so großes Reich gewonnen, das er euch zugleich mit sich selbst schenken will! Ist es wohl zuviel, daß ihr einmal euere Augen auf ihn richtet, um ihn anzuschauen, ihn, der euch so viel schenkt?


  5. Seid ihr in Leiden und betrübt, so seht ihn an im Garten am Ölberge! Welch große Traurigkeit erfüllte dort seine Seele, da er, die Geduld selbst, klagend sein Leid kundgab! Oder seht ihn an, wie er aus großer Liebe zu euch, ganz zerfleischt und voll der Schmerzen, gebunden an der Säule steht! Ach, wie vieles leidet er! Verfolgt von den einen, angespien von den anderen, verleugnet und verlassen von seinen Freunden, hat er niemand, der sich seiner annimmt. Er starrt vor Kälte und ist so allein, daß ihr euch wohl beiderseitig trös- ten könnt. Oder seht ihn an, wie er mit dem Kreuze beladen einhergeht, und wie man ihn nicht einmal Atem schöpfen läßt! Mit seinen schönen, mitleidsvollen, tränenerfüllten Au- gen wird er auch euch anblicken und seiner eigenen Schmerzen vergessend euch trösten bei eueren Leiden, nur weil ihr bei ihm Trost sucht und eueren Blick ihm zuwendet, um ihn anzusehen.


  6. Wird nun beim Anblick dieser Schmerzensgestalt des Herrn euer Herz gerührt, so daß ihr euch nicht mit dem bloßen Anblick seiner Person begnügt, sondern auch gern mit ihm sprechen wollt, so tut es, aber nicht mit wohlgeordneten Gebeten, sondern wie der Schmerz eueres Herzens es euch eingibt; denn dies schätzt der Herr gar sehr. Ihr könnt ihn da etwa in folgender Weise ansprechen: »O Herr der Welt, du mein wahrer Bräutigam!

    Mein Herr und mein höchstes Gut! In solcher Not befindest du dich, daß du meine so arm- selige Gesellschaft annehmen und dich mit mir trösten willst, wie ich auf deinem Antlitze lese! Wie ist es doch möglich, o Herr, daß deine Engel dich so allein lassen und selbst dein himmlischer Vater dich nicht tröstet?


  7. Wenn du, o Herr, dies alles für mich leiden willst, was leide ich für dich? Worüber will ich mich noch beklagen? Wie schäme ich mich, o Herr, da ich dich so Entsetzliches leiden sehe! Gerne will ich alle Leiden tragen, die über mich kommen mögen; ich will sie als ein großes Gut betrachten, das mir den Vorteil gewährt, dich wenigstens einigermaßen nach- zuahmen. Laß uns, o Herr, miteinander gehen! Wohin du gehst, dahin will auch ich gehen; wohin du das Kreuz trägst, dahin will ich es mittragen.« Ja, meine Töchter, ergreift es, die- ses Kreuz, und achtet nicht darauf, wenn euch die Juden mit Füßen treten! Um euerem Bräutigam größeres Leid zu ersparen, fragt nichts nach dem, was sie zu euch sagen! Stellt euch taub gegen ihre Schmähungen! Solltet ihr auch straucheln und mit euerem Bräutigam auch zu Boden fallen, so trennt euch doch nicht vom Kreuze und laßt nicht davon! Betrach- tet ihn doch recht, wie matt und müde er daherschreitet, und wie weit sein Schmerz euere Leiden übertrifft. So groß ihr euch diese auch vorstellen und so schmerzlich ihr sie emp- finden möget: aus dieser Betrachtung werdet ihr Trost in ihnen finden. Ihr werdet sehen, daß sie im Vergleich mit jenen, die der Herr erduldete, für nichts zu achten sind.


  8. Ihr werdet, meine Schwestern, sagen, wie denn diese Übung möglich sei. Wenn ihr damals, als der Herr noch auf Erden wandelte, ihn mit leiblichen Augen gesehen hättet, würdet ihr so gehandelt und ihn immer betrachtet haben. Allein da seid ihr im Irrtum. Denn wer sich selbst nicht ein bißchen Gewalt antun will, um den Blick einwärts zu richten und in seinem Innern den Herrn zu betrachten, was doch ohne alle Gefahr und mit ganz geringer Sorgfalt geschehen kann, der würde sich noch viel weniger mit Magdalena unter das Kreuz gestellt und, wie sie, dem Tode getrotzt haben, dessen Gefahr sie vor Augen sah. Ach, was mußten damals die glorreiche Jungfrau und diese gebenedeite Heilige gelitten haben! Welche Drohungen, welch böse Reden, welche Stöße, welche Roheiten! Denn nicht mit anständigen Menschen, nein, mit einer höllischen Rotte, mit Satansdienern hatten sie es zu tun. Fürwahr, Schreckliches mußten sie erduldet haben, wenn nicht etwa das Mitleid mit den noch größeren Schmerzen Jesu sie unempfindlich gegen die eigenen gemacht hat. Glaubet also nicht, meine Schwestern, daß ihr so große Leiden ertragen hättet, wenn ihr so Geringes nicht vermöget! Übt ihr euch aber im Kleinen, dann werdet ihr es allmählich dahinbringen, daß ihr Größeres zu leiden imstande seid.


  9. Um euch desto leichter an die genannte Übung zu gewöhnen, könnt ihr folgendes tun: Suchet stets irgendein Bildnis unseres Herrn, das nach euerem Geschmacke ist, bei euch zu haben, aber nicht, um es bloß verborgen auf der Brust zu tragen, um es gar nie

    anzusehen, sondern um in diesem Bilde recht oft den Herrn anzureden, der euch selbst die Worte eingehen wird, die ihr zu ihm sprechen sollt! Wenn ihr mit anderen Personen reden könnt, warum sollte es euch an Worten fehlen, mit Gott zu reden? Glaubet das ja nicht! Ich wenigstens werde es nicht glauben, wenn anders ihr euch in solchen Gesprächen übt. Anderen würdet ihr freilich nichts zu sagen wissen; denn dadurch, daß man mit jemand nicht umgeht, wird man ihm fremd und weiß man nicht mehr mit ihm zu reden, so daß es scheint, als kenne man ihn gar nicht, selbst wenn er ein Verwandter wäre. Der Mangel an Umgang hebt auch freundschaftliche und verwandtschaftliche Beziehungen auf.


  10. Auch die Lesung eines guten, in der Muttersprache geschriebenen Buches ist ein vor- treffliches Mittel, mit dem Herrn sprechen zu lernen. Dieses Mittel wird zugleich dazu dienen, die Seele auf eine sanfte und geschickte Weise, ohne sie zu schrecken, allmählich dahin bringen, daß sie beim mündlichen Gebet ihre Gedanken gesammelt hält, um es gut verrichten zu können. Denkt euch, euere Seele sei vor vielen Jahren ihrem Bräutigam ent- laufen! Um sie dahin zu bringen, daß sie gerne wieder zu ihm zurückkehrt, muß man es sehr klug anzustellen wissen. Wir armselige Sünder sind einmal so. Wir haben unsere See- le daran gewöhnt, mit ihren Gedanken dem nachzugehen, was ihr Vergnügen, oder besser gesagt, was ihr Leid bereitet, so daß die bedauernswerte sich selbst nicht mehr kennt und es einer großen Kunst bedarf, um ihr wieder Liebe zum Verbleiben in ihrem Hause ein- zuflößen. Wenn wir nicht so zu Werke gehen und nicht gelassen handeln, werden wir nie etwas erreichen.


  11. Nochmals versichere ich euch: Wenn ihr euch mit Eifer an die Übung dessen ge- wöhnt, was ich gesagt habe, werdet ihr einen so großen Nutzen daraus ziehen, daß ich ihn auch beim besten Willen nicht erklären könnte. Nahet euch also dem guten Meister mit dem besten Vorsatze, zu lernen, was er euch lehren wird! Dann wird er euch gewiß zu sei- nen guten Schülerinnen machen und euch nicht verlassen, wenn nicht ihr ihm den Rücken kehrt! Betrachtet die Worte, die sein göttlicher Mund spricht! Schon aus dem ersten Worte werdet ihr die Liebe erkennen, die er zu euch trägt; und wahrlich, für den Schüler ist es kein geringes Glück und kein geringer Trost, zu wissen, daß sein Meister ihn liebt.


 

Siebenundzwanzigstes Hauptstück

Die Größe der Liebe, die uns der Herr in den ersten Worten des Vaterunsers zu erken- nen gibt. Es ist wichtig, daß jene, die wahre Kinder Gottes sein wollen, keinen Wert auf vornehme Abkunft legen.


  1. »Vater unser, der du bist in den Himmeln.« O mein Herr, wie erscheinst du als Vater eines solchen Sohnes, und wie erscheint dein Sohn als Sohn eines solchen Vaters! Sei ge-

    priesen in alle Ewigkeit! Aber warum versparst du nicht diese große Gnade, dich uns so zu offenbaren, bis zum Ende dieses Gebetes? Gleich bei dessen Beginn füllst du uns die Hände und erweisest uns eine so große Gnade, daß sie allein schon hinreichte, den Ver- stand ganz einzunehmen und den Willen derart zu beschäftigen, daß er kein Wort mehr sprechen kann. O wie gut, meine Töchter, wäre hier die vollkommene Beschauung! Wie billig ginge hier die Seele in sich selbst ein, um sich desto besser über sich selbst erheben zu können, auf daß dieser heilige Sohn ihr die Herrlichkeit des Ortes zeige, wo nach seinem Worte der Vater wohnt, der da ist in den Himmeln! Lasset uns, meine Töchter, der Erde entfliehen! Nachdem wir einmal die Größe einer solchen Gnade erkannt haben, dürfen wir sie nicht mehr geringachten und nicht mehr an dieser Erde hängen.


  2. O Sohn Gottes und mein Herr, wieviel schenkst du uns gleich beim ersten Worte auf einmal! Indem du dich so tief erniedrigst, daß du deine Bitten mit den unsrigen vereinigst und dich zum Bruder so niedriger und armseliger Wesen machst, gibst du uns im Namen deines Vaters alles, was du geben kannst; deinen untrüglichen Worten gemäß willst du, daß er uns als seine Kinder annehme, und du verpflichtest ihn, daß er dein Wort erfülle. Fürwahr, nichts Geringes ist es, was du ihm da aufbürdest. Denn wenn er unser Vater ist, muß er, wie groß auch unsere Beleidigungen gegen ihn sein mögen, uns ertragen und sie uns verzeihen, wenn wir dem verlorenen Sohne gleich zu ihm zurückkehren. Er muß uns trösten in unseren Trübsalen. Er muß uns erhalten, wie es einem solchen Vater geziemt, der besser sein muß als alle Väter der Welt, weil in ihm nur die Fülle alles Guten sein kann. Und nachdem er uns dies alles getan, muß er uns auch noch zu Teilnehmern seiner Glorie und mit dir zu Erben seines Reiches machen.


  3. O mein Herr, wenn du auch in der Liebe, die du zu uns trägst, und in deiner Demut durch nichts dich abhalten läßt, uns eine so große Wohltat zu erweisen; wenn du auch eini- ge Ursache zu haben scheinst, auf unseren Nutzen zu sehen, weil du auf Erden und durch Annahme unserer Natur mit irdischem Fleisch bekleidet bist wie wir: so beachte doch daß nach deinen Worten dein Vater im Himmel ist und du darum seine Ehre zu berücksich- tigen hast! Wenn du auch bereit bist, um unseretwillen Schmach zu dulden, so verschone doch deinen Vater und verpflichte ihn nicht, so große Wohltaten denen zu erweisen, die so böse sind wie ich, und ihm so schlecht dafür danken werden!


  4. O guter Jesus, wie klar zeigst du da, daß du eines Wesens mit dem Vater bist, daß dein Wille der seine und sein Wille der deine ist! Wie deutlich, o mein Herr, gabst du zu erkennen, was es um die Liebe ist, die du zu uns trägst! Dem Teufel hattest du ausweichen- de Antworten gegeben und so es ihm verborgen, daß du der Sohn Gottes warst; aber in deinem großen Verlangen nach unserem Heile konnte dich nichts hindern, uns die un- schätzbare Gnade dieser Erkenntnis mitzuteilen. Wer konnte sie uns geben, o Herr, als du

    allein? Ich begreife nicht, wie der Teufel aus diesem Worte nicht zweifellos erkannte, wer du warst! Zum wenigsten erkenne ich gut, daß du als bevorzugter Sohn für dich und für uns zugleich gesprochen, daß du mächtig bist, zu bewirken, daß im Himmel geschehe, was du gesprochen auf Erden. Sei gepriesen, o Herr, der du so gerne gibst, daß dich nichts davon abhalten kann!


  5. Was dünkt euch nun, meine Töchter? Ist das nicht ein guter Meister, der damit beginnt, daß er uns eine so große Gnade erweist? Will er uns damit nicht Lust machen, das zu lernen, was er uns lehrt? Scheint es euch da noch der Billigkeit gemäß zu sein, wenn wir, und sei es auch nur beim mündlichen Beten des Vaterunsers, es unterlassen wollten, dieses Wort mit dem Verstande zu erfassen? Und wenn wir es erfassen, sollte uns nicht bei der Betrachtung einer so großen Liebe das Herz im Leibe vor Gegenliebe zerspringen?


  6. Wo gibt es in der Welt ein Kind, das einen so gütigen, erhabenen und allmächtigen Herrn als Vater hätte und sich nicht bemühte, ihn kennenzulernen? Wäre er nicht ein solcher Vater, dann würde ich mich nicht wundern, wenn wir uns nicht als seine Kinder bekennen wollten; denn nach der Sitte der Welt hält es der Sohn, wenn der Vater eines niedrigeren Standes ist als er, für keine Ehre, diesen als seinen Vater zu erkennen. So et- was kommt bei uns freilich nicht vor, und Gott verhüte auch, daß in diesem Kloster jemals von dergleichen Dingen die Rede sei! Dies wäre die Hölle selbst. Jene, die vornehmer von Geburt ist als die anderen, spreche weniger von ihrem Vater; denn hier sollen alle gleich sein!


  7. O liebliche Gesellschaft Christi, in der der heilige Petrus, obwohl nur ein Fischer, nach dem Willen des Herrn eine höhere Gewalt hatte als der heilige Bartholomäus, der von kö- niglicher Abkunft war! Der Herr wußte wohl, wieviel Streit in der Welt darüber entstehen werde, wer unter den Menschen aus besserer Erde gebildet sei; denn der Streit über die vornehmere Geburt ist nichts anderes als ein Streit darüber, welcher Lehm besser sei, je- ner, den man zum Ziegelbacken benutzt, oder jener, der zum Wandverkleiden dient. O Gott, welche Mühe machen wir uns da! Möge euch, meine Schwestern, Gott bewahren vor dergleichen Streitereien, wenn sie auch nur im Scherze geschähen! Ich hoffe auch, Seine Majestät werde euch diese Gnade gewähren. Sollte sich aber dennoch so etwas an einer zei- gen, so suche man dem Übel sofort zu steuern! Eine solche fürchte, sie möchte der Judas unter den Aposteln sein! Man lege ihr so lang Bußen auf, bis sie erkennt, sie sei es nicht wert, auch nur als ganz schlechte Erde zu dienen. Ihr habt einen guten Vater, den der gute Jesus euch gibt; einen anderen sollt ihr hier nicht kennen, um von ihm zu reden. Befleißigt euch, meine Töchter, so zu sein, daß ihr es verdient, euch an ihm zu erfreuen, und werft euch ganz in seine Arme! Ihr wißt schon, daß er euch nicht von sich stoßen wird, wenn ihr gute Töchter seid; und wer sollte nicht alles tun, um einen solchen Vater nicht zu verlieren?

  8. O Gott, wieviel Tröstliches liegt in diesen Worten: »Vater unser«! Um aber nicht zu weitläufig zu sein, will ich es euerem eigenen Nachdenken überlassen. Mögen euere Ge- danken auch noch so sehr ausschweifen, so muß doch zwischen einem solchen Sohne und einem solchen Vater notwendig auch der Heilige Geist sein, und dieser entflamme eueren Willen zur Gegenliebe und feßle euch mit den Banden innigster Liebe, wenn nicht schon die Rücksicht auf eueren großen Vorteil dies zu bewirken vermag!


 

Achtundzwanzigstes Hauptstück

Wesen des Gebetes der Sammlung. Einige Mittel, sich an dieses Gebet zu gewöhnen.


  1. Betrachtet jetzt die Worte eueres Meisters: »Der du bist in den Himmeln«! Meint ihr, es liege wenig daran, zu wissen, was der Himmel ist, und wo ihr eueren allerheiligsten Vater zu suchen habt? Aber ich sage euch, für zerstreute Gewitter ist es sehr wichtig, dies nicht nur zu glauben, sondern sich auch zu bemühen, es durch eigene Erfahrung innezuwerden; denn dies ist eines von den Mitteln, den Verstand zu fesseln und die Seele zu sammeln.


  2. Ihr wißt schon, daß Gott überall ist. Wo aber der König ist, da ist, wie man sagt, of- fenbar auch sein Hofstaat; und so ist denn wo Gott ist, auch der Himmel. Ihr könnt es zweifellos glauben, daß da, wo die göttliche Majestät wohnt, auch alle ihre Herrlichkeit sich findet. Nun sagt, wie ihr sehen könnt, der heilige Augustin, daß er Gott an vielen Or- ten gesucht und ihn endlich in seinem eigenen Innern gefunden habe. Meint ihr wohl, es sei für eine zerstreute Seele von geringer Wichtigkeit, diese Wahrheit zu erfassen und zu wissen, daß sie nicht erst zum Himmel aufsteigen müsse, um mit ihrem ewigen Vater zu reden und sich an ihm zu erfreuen? Sie braucht auch nicht laut ihre Stimme zu ihm zu er- heben; denn er ist ihr so nahe, daß er sie hört, auch wenn sie ganz leise zu ihm spricht. Um ihn zu suchen, bedarf sie keiner Flügel; sie darf nur einsam in ihr Inneres blicken, wo sie ihn finden wird. Hier betrachte sie ihn; sie stelle sich ja nicht fremd gegen einen so guten Gast, sondern rede mit ihm als mit ihrem guten Vater, trage ihm als ihrem Vater ihre Bit- ten vor, klage ihm ihre Leiden und flehe ihn um Hilfe an! Dies geschehe jedoch mit großer Demut und in dem Bewußtsein, daß sie nicht wert sei, seine Tochter zu sein.


  3. Hütet euch aber auch vor einer gewissen Scheu, die manche an sich haben und für De- mut halten! Nicht das ist Demut, daß ihr eine vom König dargebotene Gnade zurückweist, sondern daß ihr erkennt, wie unverdient euch diese erteilt werde, und in dieser Erkennt- nis sie annehmt und euch darüber freut. Fürwahr, das wäre mir die rechte Demut, wenn ich den Gebieter des Himmels und der Erde in meinem Hause beherbergte, ihm aber aus Demut keine Antwort geben, nicht bei ihm bleiben und sein Geschenk nicht annehmen wollte! Hat er sich denn nicht herabgelassen, mir eine Gnade zu erweisen und sich an mir

    zu erfreuen? Ja, eine saubere Demut das, wenn ich ihn allein ließe, wenn ich trotz seiner Aufforderung und Bitte, etwas von ihm zu begehren, aus Demut lieber arm bliebe und ihn veranlaßte, sich wieder zu entfernen, nachdem er meine völlige Unentschlossenheit wahrgenommen!


  4. Einer solchen Art von Demut sollt ihr euch, meine Töchter, nicht befleißigen! Geht vielmehr mit diesem himmlischen König um wie mit euerem Vater, wie mit euerem Bruder, wie mit euerem Herrn, wie mit euerem Bräutigam, jetzt in dieser und dann wieder in einer anderen Weise! Er selbst wird euch lehren, was ihr zu tun habt, um ihm zu gefallen. Seid nicht einfältig, sondern bittet ihn, eueren Bräutigam, um die Zusicherung, euch als seine Bräute behandeln zu wollen! Bei dieser Gebetsweise, wenn sie auch nur mündlich ist, wird der Geist viel eher gesammelt, und gewinnt man noch viele andere Güter. Sie wird Gebet der Sammlung genannt, weil dabei die Seele alle ihre Kräfte sammelt und mit ihrem Gott in ihr Inneres eingeht. Da wird sie von ihrem göttlichen Meister schneller unterwiesen, der ihr auch das Gebet der Ruhe eher verleiht als auf irgendeine andere Weise. So in sich selbst gesammelt, kann sie das Leiden Christi betrachten, sich den Sohn Gottes als gegenwärtig vorstellen und ihn seinem Vater aufopfern, ohne ihn mit Ermüdung des Verstandes auf dem Kalvarienberge, im Garten oder an der Geißelsäule suchen zu müssen.


  5. Wer sich auf diese Weise in den kleinen Himmel seiner Seele, wo der Schöpfer des Himmels und der Erde wohnt, einzuschließen weiß und sich daran gewöhnt, außer ihm nichts anzuschauen nicht an Orten zu beten, wo die äußeren Sinne sich zerstreuen konnten, darf überzeugt sein, daß er auf einem vortrefflichen Wege wandelt und bald dahin gelangen wird, wo er das Wasser aus der Quelle selbst trinken kann; er legt in kurzer Zeit eine große Strecke zurück. Da ist es, wie wenn man auf einem Schiffe fährt. Hat man nur ein wenig guten Wind, so gelangt man in kurzer Zeit an das Ziel der Reise, während jene, die zu Land reisen, später ankommen.


  6. Die obengenannten Seelen sind sozusagen schon auf dem Meere; sie haben wohl das Land noch nicht ganz verlassen, aber sie tun doch während der kurzen Zeit des Gebe- tes durch Sammlung ihrer Sinne ihr möglichstes, um von der Erde loszukommen. Ist die Sammlung eine wahre, so kann man sie sehr deutlich erkennen; sie bringt eine gewisse Wirkung mit sich, die ich nicht näher erklären kann. Wer diese erfahren hat, der wird ver- stehen, was ich meine. Die Seele scheint hier das Spiel schon gewonnen zu haben; sie ficht jetzt in den Dingen dieser Welt nichts anderes als ein Spiel. Sie macht sich zur gelegensten Zeit mit ihrem Gewinne davon und birgt sich in ihr Inneres gleich einem, der sich in ei- ne starke Festung wirft, wo er von seinen Feinden nichts zu fürchten hat. So zieht sie ihre Sinne von den äußeren Dingen zurück, die sie mit solchem Ekel von sich stößt, daß sich unvermerkt ihre Augen schließen, damit sie diese Dinge nicht sehe, um desto klarer mit

    den Augen der Seele schauen zu können. Darum haben jene, die auf diesem Wege wan- deln, fast immer beim Gebete die Augen geschlossen. Es ist dies eine in mancher Hinsicht wunderbar nützliche Gewohnheit; denn da tut man sich Gewalt an, die irdischen Dinge nicht anzusehen; aber nur am Anfange macht dies Mühe; später bedarf es keiner Gewalt mehr, man muß sich vielmehr Gewalt antun, wenn man beim Beten die Augen öffnen will.


  7. Bei dieser Gebetsweise scheint die Seele zu merken, wie sie auf Kosten des Leibes an Stärke und Kraft gewinnt. Diesen läßt sie einsam und entkräftet, während sie sich gegen ihn stärkt. Anfangs ist diese Wirkung nicht bemerkbar, weil sie noch nicht so groß ist; denn die Sammlung hat ihre verschiedenen Grade und kostet, wie gesagt, anfangs Mühe. Der Leib will eben sein Recht wieder; er merkt nicht, daß er sich selbst schadet, wenn er sich nicht als überwunden ergibt. Hat man sich aber eine Zeitlang geübt und sich Gewalt angetan, so wird man klar den Gewinn sehen, den man daraus zieht. Sobald man zu be- ten anfängt, wird man erfahren, wie die Sinne sich sammeln, den Bienen gleich, die zum Korbe fliegen und darin den Honig bereiten. Dies geschieht dann ohne Anstrengung von unserer Seite; der Herr will eben, daß die Seele und der Wille für die vorher aufgewendete Mühe durch die Herrschaft über ihre Sinne belohnt werden. Der Wille braucht diesen nur ein Zeichen zu geben, daß die Seele sich sammeln wolle, und sogleich gehorchen sie und ziehen sich in die Seele zurück. Schweifen sie auch in der Folge wieder herum, so ist doch damit viel gewonnen, daß sie sich schon unterworfen haben; sie wenden sich jetzt nur als Gefangene und Untergebene nach außen und verursachen nicht mehr den Schaden, den sie vorher anrichten konnten. Sobald der Wille sie wieder ruft, kehren sie noch schneller zurück, bis sie der Herr nach öfters wiederholtem Rückzug in vollkommener Beschauung in der Seele bleiben läßt. Möchte man das Gesagte wohl verstehen! Es scheint zwar dunkel; doch werden es jene verstehen, die sich darin üben wollen.


  8. Seelen, die auf diesem Wege wandeln, reisen, wie schon erwähnt, gleichsam zur See und kommen eher zum Ziele. Sie sind vor vielen Gelegenheiten zur Sünde mehr geschützt. Das Feuer der göttlichen Liebe entzündet sich weit schneller; da solche Seelen diesem Feuer ganz nahe sind, so bedarf es nur eines leisen Hauches des Verstandes, um es anzufachen; und ein kleiner Funke, der sie berührt genügt, um sie ganz in Flammen zu setzen, weil nichts Äußeres hinderlich ist. Die Seele ist hier ganz allein mit ihrem Gott, und in dieser Einsamkeit findet sie ein sehr geeignetes Mittel, sich zu entflammen. Wir wollen nur kurz davon sprechen, wie wir uns eine so vortreffliche Gebetsweise angewöhnen können; denn es ist sehr viel daran gelegen, daß wir auf dem Wege des Gebetes nicht langsam voranschrei- ten.


  9. Stellt euch vor, es befinde sich in euch ein überaus prächtiger Palast, erbaut von lau- ter Gold und Edelsteinen, wie er sich für einen so großen Herrn, für den er bestimmt ist

    geziemt, und ihr selbst traget zur Zierde dieses herrlichen Baues bei! In Wahrheit gibt es kein schöneres Gebäude als eine reine, mit Tugenden geschmückte Seele; und je größer die Tugenden sind, desto herrlicher glänzen sie als Edelsteine. Denkt euch auch, in diesem Palaste wohne jener große König, der euer Vater sein will; dieser König sitze auf einem sehr kostbaren Throne, und dieser Thron sei euer Herz!


  10. Auf den ersten Blick mag dieses Gleichnis, das ich zu meiner Erklärung anführe, zwar unpassend scheinen; es kann aber, besonders euch, zu großem Nutzen sein. Da wir Frau- enspersonen nicht gelehrt sind, so bedürfen wir eines solchen Mittels, um die Wahrheit zu erkennen, daß in uns selbst etwas unvergleichlich Kostbareres ist, als was wir äußerlich an uns wahrnehmen. Wir dürfen ja nicht meinen, wir seien inwendig leer? Wollte Gott, es dächten nur Frauenspersonen allein nicht daran, welch vornehmen Gast wir in uns beher- bergen! Würden wir uns stets sorgfältig daran erinnern, so könnten wir uns meines Erach- tens unmöglich den Dingen dieser Welt so sehr hingeben, weil wir da einsehen würden, wie niedrig sie im Vergleiche mit dem sind, was wir in unserem Innern besitzen. Wenn ein Raubtier etwas erblickt, was ihm behagt, so macht es sich dies zur Beute und sättigt sich daran. Aber zwischen unvernünftigen Tieren und uns muß doch wohl ein Unterschied sein.


  11. Vielleicht lacht man über mich und sagt, das sei ja schon an sich ganz klar. Freilich ist es klar, und ich muß darum gestehen, daß jene, die mich verlachen würden, Grund dazu hätten; denn eine Zeitlang war mir die Sache dunkel. Ich sah wohl ein, daß ich eine Seele habe; jedoch ihren Wert kannte ich nicht, und ebensowenig, wer in ihr wohne. Durch die Eitelkeiten dieses Lebens habe ich mir die Augen so verhüllt, daß ich dies nicht sehen konnte. (Hätte ich es damals erkannt,) so wie ich es jetzt erkenne, daß in dem kleinen Palast meiner Seele ein so großer König wohnt, ich glaube, ich hätte ihn nicht so oft allein gelassen, sondern mich bisweilen bei ihm aufgehalten und mich mehr bemüht, meine Seele von Schmutz reiner zu erhalten.


  12. Wie wunderbar! Er, der tausend Welten und einen noch viel größeren Raum mit sei- ner Größe erfüllen kann, schließt sich in eine so kleine Wohnung ein! Weil er der Herr ist, behält er in Wahrheit seine Freiheit; weil er uns aber liebt, fügt er sich unseren Verhält- nissen. Um die Seele nicht zu verwirren, wenn sie sich zur Beherbergung eines so großen Herrn so klein sieht, gibt er ihr anfangs seine Größe nicht zu erkennen, bis er sie allmählich so erweitert, wie es zur Aufnahme dessen, was er in sie legen will, notwendig deshalb sagte ich, er behalte seine Freiheit, weil er nämlich die Macht hat, diesen Palast zu vergrößern. Für uns besteht die Hauptsache nur darin, daß wir uns ihm mit aller Entschiedenheit als Eigentum hingeben und hinwegräumen, was ihn hindern könnte, in uns hineinzulegen und von uns herauszunehmen, was er will. Unser Herr hat seine Gründe, so zu handeln,

    und darum sollen wir ihm unsere Einwilligung dazu nicht verweigern. Weil er unserem Willen keine Gewalt antut, nimmt er zwar das an, was wir ihm geben; aber er schenkt sich uns nicht ganz, bis auch wir uns ganz ihm hingeben. Das ist gewiß; und weil an dieser Wahrheit so viel gelegen ist, deshalb mache ich euch so oft darauf aufmerksam. Geben wir uns dem Herrn nicht ganz hin, so wirkt er nicht so in der Seele, wie wenn er sie unbehin- dert als sein volles Eigentum besitzt. Ich weiß auch nicht, wie er anders handeln könnte, da er ein Freund aller Ordnung ist. Füllen wir dagegen den Palast mit allerlei Gesindel und Tändelwaren an, wie soll dann der Herr mit seinem Hofstaate noch Platz darin finden? Er tut viel, wenn er sich bei einem so großen Hindernis nur eine kleine Weile aufhält.


  13. Oder meint ihr etwa, meine Töchter, er komme allein? Hört ihr nicht, was sein Sohn sagt: »Der du bist in den Himmeln«? Gewiß, einen solchen König lassen seine Hofleute nicht allein; sie sind immer bei ihm; und weil sie voll Liebe gegen uns sind, so bitten sie ihn für uns alle um unser Wohl. Ihr dürft nämlich nicht meinen, es sei da wie hier auf Erden. Wenn da ein Großer oder Vorgesetzter aus besonderen Gründen oder weil es ihm so beliebt, jemand seine Gunst erweist, so stellt sich bei anderen sogleich der Neid ein, und der arme Begünstigte wird scheel angesehen, obwohl er niemanden ein Leid getan hat.


 

Neunundzwanzigstes Hauptstück

Mittel, die man anwenden muß, um zum Gebete der Sammlung zu gelangen. Fortsetzung. Wie wenig uns an der Gunst der Vorgesetzten gelegen sein soll.


  1. Macht euch, meine Töchter, um der Liebe Gottes willen doch nichts aus der Gunst der Vorgesetzten! Jede befleißige sich, zu tun, was ihre Pflicht ist! Und wenn der Obere es ihr nicht dankt, so kann sie doch sicher sein, daß der Herr ihr Dank wissen und es ihr vergelten wird. Wir sind ja nicht hierhergekommen, um Lohn in diesem Leben zu suchen. Unsere Gedanken sollen immer auf das gerichtet sein, was ewig währt; auf Irdisches aber, das oft nicht einmal für diese Lebenszeit von Dauer ist, sollen wir gar keinen Wert legen. Heute ist der Obere mit anderen zufrieden; morgen wird er, wenn er an dir mehr Tugend wahrnimmt, dir geneigter sein, und wenn nicht, dann ist wenig daran gelegen. Gebt hierin ja keinen trüben Gedanken Raum! Denn manchmal fangen sie mit einer Kleinigkeit an, können euch aber nachher große Unruhe bereiten. Sperrt ihnen vielmehr den Weg durch die Betrachtung, daß euer Reich nicht von dieser Welt ist und hier alles gar bald ein Ende nimmt!


  2. Letzteres ist jedoch noch ein niedriger Beweggrund, der keine hohe Vollkommenheit verrät. Das Beste wäre es, wenn ihr um des Herrn willen, der mit euch ist, gern in Ungna- de und verachtet bleiben wolltet, und sollte es noch so lange sein. Wendet die Augen auf

    euch selbst und sehet, wie ich gesagt habe, in euer Inneres! Ihr werdet da eueren Meister finden, der euch seinen Beistand nicht versagen wird; je weniger äußeren Trost ihr habt, desto reichlicher wird er euch trösten. Er ist gar mitleidsvoll und entzieht den Betrübten und Verachteten niemals seinen Beistand, wenn sie auf ihn allein vertrauen. Der Herr, sagt David, ist mit den Betrübten: »Nahe ist der Herr denen, die bedrängten Herzens sind.« Entweder glaubt ihr dies, oder ihr glaubt es nicht; glaubt ihr es, warum grämt ihr euch zu Tode?


  3. O mein Herr! Würden wir dich wahrhaft kennen, so achteten wir nichts Widriges; denn du gibst reichlich denen, die sich ganz dir anvertrauen wollen. Glaubt mir, meine Freundinnen, es ist etwas sehr Wichtiges, diese Wahrheit zu erkennen, um einzusehen, daß alle irdische Gunst Lüge ist, wenn sie die Seele nur in etwa vom inneren Wandel abzieht! O Gott, wer könnte euch das begreiflich machen! Ich wahrlich nicht; denn ich weiß, daß ich es selbst nicht so vollkommen begreife, wie es notwendig wäre, obgleich ich es mehr als irgend jemand begreifen sollte?


  4. Ich komme nun wieder auf das zurück, was ich (im vorigen Hauptstücke) sagte. (Ich er- wähnte dort, daß der himmlische König nicht allein, sondern begleitet von seinem himmli- schen Hofstaate komme.) Ich wünschte, euch erklären zu können, wie diese heilige Gesell- schaft bei unserem Gaste, dem Heiligsten der Heiligen, sein könne, ohne die Einsamkeit der Seele mit ihrem Bräutigam zu stören, wenn sie mit ihrem Gott in das Paradies ihres Innern eingehen will und hinter sich allen Dingen der Welt die Türe schließt. Ich sage:

    »Wenn sie will.« Denn ihr sollt wissen, daß dieses Eingehen der Seele in sich selbst nicht etwas Übernatürliches ist, sondern etwas, das von unserem eigenen Wollen abhängt. Dar- um können wir auch selbstverständlich nur mit der Hilfe Gottes dahin gelangen, ohne die wir überhaupt nichts, nicht einmal einen guten Gedanken, zu fassen vermögen. Es ist nicht ein Schweigen der Seelenkräfte, sondern nur ein Einschließen derselben in die Seele.


  5. Dazu kann man auf verschiedene Weise kommen, wie es in einigen Büchern beschrie- ben ist. In diesen heißt es, daß wir uns von allem frei machen müssen, um uns in unserem Innern Gott zu nahen. Sogar mitten unter den Geschäften sollen wir uns in uns selbst zu- rückziehen; dächten wir auch nur einen Augenblick an den, der in uns wohnt, so brächte uns dies allein schon einen großen Gewinn. Auch müssen wir uns allmählich daran ge- wöhnen, mit dem in uns wohnenden Gott leise zu reden, da lautes Rufen nicht notwendig ist; Seine Majestät wird uns ihre Gegenwart in uns merken lassen.


  6. Auf solche Weise werden wir das mündliche Gebet in großer Ruhe verrichten und weniger Mühe dabei haben; denn bald wird uns der Herr schon durch Zeichen verstehen, wenn wir uns Gewalt antun, bei ihm zu verweilen. Während wir sonst viele Vaterunser

    beten müßten, wird er uns schon beim ersten verstehen. Sehr gern überhebt er uns der Mühe. Es ist ihm genug, wenn wir in einer Stunde auch nur ein einziges Vaterunser beten, wofern wir nur seiner Gegenwart gedenken und erkennen, um was wir ihn bitten, wie gern er uns gibt und wie sehr es ihn freut, bei uns zu sein. Er will nicht, daß wir uns mit vielem Reden allzusehr anstrengen.


  7. Möge der Herr über diese Gebetsweise jene aus euch belehren, die sie noch nicht ver- stehen! Ich wenigstens muß bekennen, daß ich nie wußte, was es heißt mit innerer Wonne mündlich zu beten, bis der Herr mich diese Gebetsweise gelehrt hat. Auch habe ich in die- ser inneren Sammlung, die ich mir angewöhnte, immer so viele Vorteile gefunden, daß ich nicht umhin konnte, so weitläufig davon zu sprechen. Da diese, wie schon erwähnt, von unserem eigenen Bemühen abhängt, so füge ich zum Schlusse meiner Erklärung noch die Mahnung bei: Wer dazu gelangen will, der lasse es sich nicht verdrießen, sich an das zu gewöhnen, was ich gesagt habe! So wird er allmählich die Herrschaft über sich selbst gewinnen. Er wird sich zwar verlieren, aber nicht umsonst; vielmehr gewinnt er sich für sich, indem er sich seiner Sinne zur inneren Sammlung bedient. Wenn er redet, denke er an den, mit dem er in seinem Innern reden kann! Wenn er sprechen hört, erinnere er sich daran, daß er auf den hören muß, der viel näher zu ihm spricht! Kurz, er trage Sorge, sich niemals von einer so guten Gesellschaft zu trennen! Wenn er will, so kann er. Und sollte er seinen Vater, dessen Hilfe er nicht entbehren kann, lange allein gelassen haben, so bereue er dieses! Kann es sein, so kehre er des Tages oft in das Innere seiner Seele ein! Wenn nicht, so geschehe es wenigstens täglich mehrmals! Hat er sich diese heilsame Übung einmal zur Gewohnheit gemacht, so wird er früher oder später den Gewinn davon ernten, den der Herr ihm zuteilen wird und den er mit keinem Schatz der Welt wird vertauschen mögen.


  8. Ohne irgendeine Anstrengung kann man überhaupt nichts lernen. Darum bitte ich euch, meine Schwestern, um der Liebe Gottes willen, haltet die Mühe für gut angewendet, die ihr euch durch Gewöhnung an diese Übung kosten laßt! Gebt ihr euch die gehörige Mühe, so bin ich überzeugt, daß ihr mit der Gnade Gottes in einem Jahre oder vielleicht schon in einem halben den erwähnten Gewinn davontragen werdet. Seht da, wie wenig Zeit erforderlich ist zu einem so großen Vorteil! Ihr legt überdies einen guten Grund, damit euch der Herr, wenn er euch zu großen Dingen erheben will, durch den Aufenthalt in seiner Nähe bereit findet. Seine Majestät lasse nicht zu, daß wir uns von ihrer Gegenwart trennen! Amen.


 

Dreißigstes Hauptstück

Wichtigkeit des Verständnisses, um was man im Gebete bittet. Von den Worten des Vater- unsers: »Geheiligt werde dein Name, zukomme uns dein Reich.« Anwendung dieser Worte

auf das Gebet der Ruhe und Erklärung dieses Gebetes.


  1. Gibt es wohl einen Menschen, der, so unbedachtsam er auch sonst sein mag, als Bitt- steller vor einer vornehmen Person nicht vorher überlegte, in welcher Weise er bitten müs- se, damit diese Person ihn wohlgefällig anhöre und er nicht vielmehr ihr Mißfallen errege? Ein solcher wird auch überlegen, um was er bitten soll und wozu er das Erbetene benötigt, vor allem, wenn er etwas Besonderes begehrt, so wie unser guter Jesus uns bitten lehrt. Dies scheint mir etwas Beachtenswertes zu sein. Hättest du, o mein Herr, nicht alles in das eine Wort zusammenfassen können: »Vater, gib uns, was uns nützlich ist«? Denn für den, der alles so gut erkennt, scheint mehr nicht notwendig zu sein, als daß wir nur dies eine sagten.


  2. O ewige Weisheit! Zwischen dir und deinem Vater wäre es freilich genug gewesen; und so hast du auch im Garten zu ihm gebetet, als du ihm deine Furcht und dein Verlangen kundgabst, dich jedoch seinem Willen überließest. Du kennst uns aber, o mein Herr, und weißt, daß wir nicht so ergeben in den Willen deines Vaters sind wie du und deshalb um Bestimmtes bitten müssen; dadurch können wir bei uns selbst überlegen, ob das, um was wir bitten, auch vorteilhaft für uns sei, und es zu erbitten unterlassen, wenn wir dies nicht finden. Denn wie wir nun einmal sind, wir würden es bei der Freiheit unseres Willens nicht annehmen, wenn der Herr uns etwas gäbe, das wir nicht wollten; obgleich es für uns das Beste wäre, so meinen wir doch niemals reich zu sein, wenn wir nicht gleich das Geld auf der Hand sehen.


  3. Mein Gott, welchen Schaden bringt es doch, daß unser Glaube so eingeschläfert ist, daß wir nicht einmal recht erkennen, wie gewiß uns einst Lohn oder Strafe sein wird! Dar- um ist es gut, meine Töchter, daß ihr versteht, um was ihr im Vaterunser bittet, damit ihr, wenn der ewige Vater euch dies gibt, es nicht wieder zurückweiset. Erwäget auch wohl, ob euch das, um was ihr bitten wollt, nützlich ist! Scheint euch das nicht, dann bittet den Herrn nicht darum, sondern nur, daß Seine Majestät euch erleuchte! Denn wir sind blind und haben Ekel vor dem Genusse der Speisen, die uns zum Leben notwendig sind; dagegen wollen wir mit Gier das genießen, was uns den Tod bringt — und welch einen gefährlichen Tod, den Tod für alle Ewigkeit!


  4. Es lehrt uns nun der gute Jesus die Worte sprechen, mit denen wir bitten, daß das Reich des Vaters zu uns komme: »Geheiligt werde dein Name, zukomme uns dein Reich!« Bewun- dert hier, meine Töchter, die große Weisheit unseres Meisters! Seine Majestät sah, daß wir infolge unserer großen Schwäche den heiligen Namen des ewigen Vaters nicht nach Ge- bühr heiligen, loben, erheben und verherrlichen könnten, wenn er, der Vater, nicht schon hienieden uns sein Reich schenkte und dadurch unserer Armseligkeit nicht zu Hilfe käme. Darum setzte der gute Jesus diese beiden Bitten nebeneinander. Ich betrachte indes hier

    nur, was wir mit diesem Reiche uns erbitten; denn es ist gut, daß wir dies erkennen. Auch will ich nur mitteilen, was ich davon verstehe, damit auch ihr, meine Töchter, einsehen mö- get, um was wir bitten und wieviel daran gelegen ist, daß wir inständig darum bitten und nach Kräften dem zu gefallen suchen, der uns sein Reich geben soll. Befriedigt euch dies nicht, so möget ihr euere eigenen Betrachtungen darüber anstellen; unser Meister erlaubt es uns ja, wenn wir uns nur in allem der Lehre der Kirche unterwerfen, so wie ich es hier selbst halte.


  5. Meine Anschauung ist nun folgende: Meines Erachtens besteht das große Gut unter den vielen anderen Gütern im Himmelreiche darin, daß man unbekümmert um alles Irdi- sche Ruhe und Herrlichkeit in sich selbst findet; man freut sich über die Freude aller, ge- nießt einen ewigen Frieden und empfindet eine große Wonne in sich selbst darüber, daß alle den Namen des Herrn heiligen, loben und preisen und niemand Gott beleidigt. Alle lieben ihn, und die Seele selbst beschäftigt sich mit nichts anderem als damit, daß sie ihn liebt; und sie kann nicht aufhören, ihn zu lieben, weil sie ihn kennt. Auch wir hienieden würden, obwohl nicht so vollkommen und ununterbrochen, doch ganz anders, als es in Wirklichkeit geschieht, Gott lieben, wenn wir ihn kennen würden.


  6. Es scheint, als wollte ich damit sagen, wir müßten Engel sein, um diese Bitte vorzutra- gen und mündlich gut zu beten. Allerdings wünschte dies unser göttlicher Meister von uns, weil er uns eine so erhabene Bitte in den Mund legt und gewiß um nichts Unmögliches uns bitten heißt. Ja, auch schon in dieser Verbannung wird eine Seele mit Gottes Hilfe ein so großes Gut erlangen können. Sie wird es zwar, weil wir noch auf der Reise sind und auf dem Meere dahinfahren, nicht so vollkommen genießen können wie jene, die von dem Ge- fängnisse dieses Leibes befreit sind; aber manchmal versetzt der Herr die milden Wanderer in eine solche Ruhe der Seelenkräfte und in einen solchen Frieden der Seele, daß er ihnen damit wie durch Zeichen klar zu verstehen gibt, welchen Geschmack das habe, was er de- nen schenkt, die er in sein Reich aufnimmt. Wenn er darum hier manchen gewährt, was sie von ihm begehren, so gibt er ihnen Unterpfänder, damit sie dadurch große Hoffnung haben, dort ewig zu genießen, was ihnen hier nur auf Augenblicke zuteil wird.


  7. Würdet ihr mir nicht entgegnen, daß ich von der Beschauung rede, so wäre es bei die- ser Bitte ganz am Platze, einiges vom Beginn der reinen Beschauung zu sagen, der von denen, die bis dahin gelangt sind, Gebet der Ruhe genannt wird. Da ich aber, wie gesagt, vom mündlichen Gebete spreche, so könnten jene, die das Gebet der Ruhe noch nicht ge- kostet haben, meinen, das eine schicke sich nicht zum anderen. Indessen weiß ich, daß beides sich gar wohl vereinigen läßt. Darum verzeiht mir, wenn ich trotz des vorgebrach- ten Bedenkens vom erwähnten Gebete sprechen will; denn ich weiß, daß es, wie schon erwähnt, viele Personen gibt, die der Herr unter dem mündlichen Gebet unvermerkt zu

hoher Beschauung erhebt. So kenne ich eine Person, die nie anders als nur mündlich be- ten konnte; bei diesem Gebete fand sie alles. Betete sie nicht mündlich, dann verlor sich ihr Verstand derart, daß es ihr unerträglich war. Ich wünschte nur, wir alle möchten das innerliche Gebet so verrichten wie diese Seele das mündliche. Mit einer gewissen Anzahl Vaterunser zu Ehren der Blutvergießungen des Herrn und wenigen anderen mündlichen Gebeten brachte sie zuweilen mehrere Stunden zu. Einmal kam sie ganz betrübt zu mir und klagte darüber, daß sie weder innerlich beten, noch der Beschauung obliegen, sondern nur das mündliche Gebet üben könne. Ich fragte sie, was sie denn mündlich bete, und fand, daß sie, während sie ihre Vaterunser betete, in die reine Beschauung einging und vom Herrn zur Vereinigung mit ihm erhoben wurde. Da ihr Leben sehr musterhaft war, so konnte man schon aus ihren Werken entnehmen, daß sie so großer Gnaden teilhaftig wurde. Ich pries den Herrn und beneidete sie um ihr mündliches Gebet. Ist dieser Fall wahr — und er ist es wirklich —, so dürft ihr als Feinde der Beschauung nicht meinen, es werde euch diese Gebetsweise versagt, wenn anders ihr die mündlichen Gebete in gebührender Weise verrichtet und ein reines Gewissen bewahrt.


 

Einunddreißigstes Hauptstück

Fortsetzung des im vorigen Hauptstücke begonnenen Gegenstandes. Erklärung des We- sens des Gebetes der Ruhe nebst einigen wichtigen Belehrungen für jene, denen der Herr dieses Gebet verleiht. Dieses Hauptstück ist sehr zu beachten.


  1. Ich will also doch, meine Töchter, das Gebet der Ruhe erklären nach dem, was ich da- von hörte, oder vielmehr, wie es mir der Herr, vielleicht zu euerer Belehrung, zu verstehen geben wollte. In diesem Gebete beginnt der Herr, wie mir scheint und ich schon gesagt habe, uns zu zeigen, daß er unsere Bitten erhört. Er will uns da schon hienieden allmäh- lich sein Reich geben, damit wir ihn wahrhaft loben, seinen Namen heiligen und darauf hinarbeiten, daß dies auch von allen anderen geschehe.


  2. Dieses Gebet ist schon etwas Übernatürliches, das wir uns durch alle Anstrengungen nicht selbst erwerben können; denn hier versetzt sich die Seele, da alle ihre Kräfte zur Ruhe gelangen, in Frieden, oder, besser gesagt, der Herr versetzt sie durch seine Gegenwart in diesen Frieden wie einst den gerechten Simeon. Auf eine von der Wahrnehmung durch die äußeren Sinne ganz verschiedene Weise erkennt die Seele, daß sie schon in der Nähe ihres Gottes ist, so daß ihr nur mehr wenig fehlt, um durch die Vereinigung eins mit ihm zu werden. Sie sieht dies weder mit den Augen des Leibes noch mit den Augen der Seele. Auch der gerechte Simeon sah nichts als das glorwürdige arme Kindlein, das er bezüglich der Windeln, in die es eingehüllt war, und der wenigen Personen, die es bei jener Prozession begleiteten, eher für das Kind armer Leute als für den Sohn des himmlischen Vaters hätte

    halten können. Aber wie das Kindlein selbst sich ihm zu erkennen gab, so erkennt auch hier die Seele ihren Gott, obgleich nicht mit derselben Klarheit, weil sie selbst nicht begreift, wie sie ihn erkennt; sie sieht nur, daß sie in seinem Reiche oder wenigstens in der Nähe des Königs ist, der es ihr geben wird und vor dem sie eine solche Ehrfurcht zu haben scheint, daß sie ihn nicht einmal um etwas zu bitten wagt. Es ist gleichsam eine innere und äußere Ohnmacht, in der man sich hier befindet, so daß auch der äußere Mensch — oder damit ihr mich besser versteht, sage ich der Leib — sich nicht bewegen möchte. Die Seele gleicht hier einem Wanderer, der, schon fast am Ziele seines Weges angelangt, ausruht, damit er um so leichter wieder fortwandere; denn so gewinnt er wieder neue Kräfte dazu.


  3. Der Leib empfindet eine außerordentliche Wonne und die Seele eine große Befriedi- gung. Die Seele ist darüber, sich allein an der Quelle zu sehen, so erfreut, daß sie schon gesättigt ist, ehe sie noch davon getrunken hat; sie meint, es bliebe ihr nichts mehr zu wünschen übrig. Ihre Kräfte befinden sich in einer solchen Ruhe, daß sie sich nicht regen möchten, da alles die Seele in ihrer Liebe zu stören scheint. Sie sind jedoch nicht so ver- loren, daß sie nicht an den denken könnten, in dessen Nähe sie sich befinden; denn zwei Kräfte (Verstand und Gedächtnis) sind frei. Der Wille jedoch ist gefangen, und wenn etwas in dieser Zeit ihn betrüben kann, so ist es der Gedanke, daß er wieder zu seiner Freiheit zurückkehren muß. Der Verstand möchte nur eines erkennen und das Gedächtnis sich nur mit einem beschäftigen; denn sie sehen, daß dies das allein Notwendige ist, während alles übrige sie nur beunruhigt. Die Seelen, die sich in diesem Zustande befinden, wünschen nicht, daß ihr Leib sich bewege, weil sie fürchten, dadurch den Frieden zu verlieren, den sie genießen; deshalb wagen sie auch nicht, sich zu rühren. Das Sprechen kommt sie hart an, und um das Vaterunser auch nur einmal zu beten, brauchen sie eine Stunde. Sie fühlen sich so nahe (bei Gott), daß sie sehen, wie Gott und sie sich schon durch ein Zeichen mit- einander verstehen. Im Palaste neben ihrem König stehend, werden sie inne, wie er schon hienieden ihnen sein Reich zu geben beginnt. Sie meinen, nicht mehr in der Welt zu sein, und wünschen nichts zu sehen und zu hören als ihren Gott. Nichts schmerzt sie hier, und es scheint ihnen, als könne es gar nie mehr einen Schmerz für sie geben. Kurz, solange die- ser Zustand währt, sind sie in einen solchen Strom von Seligkeit und Wonne versenkt, daß es ihnen gar nicht einfällt, sich noch etwas anderes zu wünschen. Mit dem heiligen Petrus möchten sie gerne sprechen: »Herr, hier wollen wir drei Hütten bauen!«


  4. Manchmal verleiht der Herr in diesem Gebete der Ruhe noch eine andere Gnade. Die- se ist zwar, wenn man sie nicht schon oft empfunden hat, sehr schwer zu erkennen; jedoch werden mich jene aus euch verstehen, denen sie zuweilen zuteil geworden ist. Ihnen wird es dann zu großem Troste dienen, zu wissen, was diese Gnade ist, die der Herr, und zwar, wie ich glaube, sogar häufig, zugleich mit der besprochenen gewährt. Wenn nämlich diese Ruhe tief und langandauernd ist, so kommt es vor, daß wir einen oder zwei Tage voll Won-

    ne und Seligkeit herumgehen, ohne uns selbst zu verstehen. Meines Erachtens könnte da der Wille nicht so lange in diesem Frieden verharren, wenn er nicht an etwas gebunden wäre. In der Tat fühlen jene, die in diesem Zustand sich befinden, daß sie nicht ganz bei dem sind, was sie tun; denn der Wille, ihr vorzüglichster Teil, fehlt. Dieser ist hier, wie ich glaube, mit seinem Gott vereinigt, während er die anderen Kräfte frei läßt, damit sie sich mit dem Dienste Gottes beschäftigen. Dazu sind sie in dieser Zeit viel fähiger als sonst; sollen sie sich aber mit weltlichen Geschäften befassen, so zeigen sie sich ungeschickt und manchmal wie von Sinnen.


  5. Dieser Zustand ist eine große Gnade des Herrn; denn hier ist das tätige Leben mit dem beschaulichen verbunden. Die Seelenkräfte dienen vereint ganz dem Herrn. Der Wille beschäftigt sich mit dem Werke Gottes, ohne zu wissen, wie er tätig ist, und verharrt in seiner Beschauung, indes die beiden anderen Kräfte Gott den Dienst der Martha erweisen. Es gehen also hier Martha und Maria nebeneinander. Ich kenne eine Person, die der Herr oft in diesen Zustand versetzte. Da sie sich selbst nicht verstand, fragte sie einen Mann von hoher Beschaulichkeit, und dieser sagte ihr, daß ein solcher Zustand wohl möglich sei, da er ihn an sich selbst erfahre. Demnach glaube ich, es müsse beim Gebete der Ruhe, weil da die Seele so befriedigt ist, das Willensvermögen die meiste Zeit hindurch mit dem vereinigt sein, der allein es befriedigen kann.


  6. Ich halte es für gut, meine Schwestern, dieser Erklärung einige Belehrungen für jene aus euch beizufügen, die der Herr rein in seiner Güte zu dieser Gebetsstufe geführt hat; denn ich weiß, daß solche unter euch sind. Vor allem möchte ich sie da auf eine Versu- chung aufmerksam machen, die leicht vorkommen kann. Wenn nämlich diese Seelen (im Gebete der Ruhe) sich in eine so große Wonne versenkt sehen, ohne zu wissen, wie sie dazu gekommen — wenigstens erkennen sie, daß sie von sich selbst nicht dazu gelangen konnten —, so werden sie zu dem Gedanken versucht, sie könnten diese Wonne festhal- ten; darum möchten sie nicht einmal Atem schöpfen. Das ist aber Torheit. Denn so wenig wir bewirken können, daß es Tag wird, ebensowenig können wir verhindern, daß wieder die Nacht hereinbricht. Dieser Zustand ist nicht mehr unser Werk, sondern etwas Überna- türliches, das zu erwerben ganz außer dem Bereich unserer Macht liegt. Das beste Mittel, diese Gnade am längsten in uns zu erhalten, ist die klare Erkenntnis, daß wir weder etwas davon nehmen noch etwas dazutun, sondern sie nur, als ihrer ganz unwürdig, annehmen und dafür danken können. Dieses Danken soll jedoch nicht mit vielen Worten geschehen, sondern dadurch, daß wir mit dem Zöllner nur unsere Augen erheben.


  7. Gut ist es, daß man sich einer größeren Einsamkeit befleiße, um dem Herrn (in der See- le) Raum zu geben und Seine Majestät (darin) schalten zu lassen wie in ihrem Eigentume. Außerdem tue man nichts, als daß man von Zeit zu Zeit mit einem Worte sanft nachhelfe,

    gleich einem, der auf eine erloschene Kerze hinbläst, um sie wieder zu entzünden; würde diese indes noch brennen, so diente das Blasen meines Erachtens nur dazu, sie auszulö- schen. Dieses Anblasen muß, wie gesagt, ein sanftes sein, damit nicht durch Ordnen vieler Worte von seiten des Verstandes der Wille gestört werde.


  8. Oftmals werdet ihr euch bei diesem Gebet außerstande sehen, den Verstand und das Gedächtnis zu beherrschen; darum, meine Freundinnen, beachtet wohl auch den folgen- den Rat! Es kommt nämlich vor, daß der Verstand (oder die Einbildungskraft), während die Seele in tiefster Ruhe ist, so unstet umherirrt, daß es ihm scheint, als geschähen alle diese Vorgänge nicht in seinem Hause. Es ist, als ob er nur als Gast in einem fremden Hau- se wäre und sich nach anderen Wohnungen umsähe; es sagt ihm die Ruhe der Seele nicht zu, da er sich auf die Dauer nicht stillezuhalten weiß. Indes ist dies vielleicht nur bei mir der Fall, während es anderen nicht so ergehen mag. Ich spreche daher nur von mir, und da sage ich, daß ich manchmal zu sterben wünschte, weil ich diesem unsteten Wesen des Verstandes nicht abhelfen konnte. Manchmal wieder scheint er sich ruhig zu verhalten in seinem Hause, indem er dem Willen Gesellschaft leistet, so daß es eine wahre Seligkeit ist, wenn alle drei Kräfte einig sind. Sie sind dann wie zwei Eheleute, die einander liebhaben und von denen der eine Teil dasselbe will wie der andere. Ist aber der Mann unzufrieden in seiner Ehe, so wird man sehen, welche Unruhe er seinem Weibe verursacht. Wenn daher der Wille sich in Ruhe sieht, so achte er auf den Verstand nicht mehr als auf einen Nar- ren! Denn wollte er ihn an sich ziehen, so müßte er sich anstrengen und sich wenigstens in etwa beunruhigen. Es wäre dann dieses ganze Gebet eine mühsame Arbeit, die keinen anderen Gewinn brächte, als daß der Wille das, was der Herr ihm ohne all sein Bemühen gibt, verlieren würde.


  9. Merkt euch auch das folgende Gleichnis, das mir gut zu passen scheint! Im Gebete der Ruhe ist die Seele einem Säugling gleich, der an der Brust seiner Mutter liegt und dem die- se, ohne daß er auch nur die Lippen bewegt, die Milch in den Mund träufeln läßt, um ihn zu erquicken. So ist es auch hier. Ohne daß der Verstand dabei mitwirkt, beschäftigt sich der Wille mit Lieben. Der Herr will, daß der Wille ohne Mitwirkung des Verstandes seine Gegenwart erkenne und die Milch, die ihm Seine Majestät gleichsam in den Mund gießt, hinabschlucke und an ihrer Süßigkeit sich labe. Er soll nur erkennen, daß der Herr ihm diese Gnade erweist, und sich an ihrem Genusse erfreuen; aber er soll nicht zu erkennen verlangen, wie er diese Gnade genießt und was das ist, was er genießt, sondern unbeküm- mert um sich selbst sein; denn der bei ihm ist, wird nicht unterlassen, für das zu sorgen, was ihm nützlich ist. Vergebens würde sich der Wille hier mit dem Verstande in einen Kampf einlassen, um ihn an sich zu ziehen und seines Genusses teilhaftig zu machen; vielmehr würde er unvermeidlich die Milch aus dem Mund verschütten und die göttliche Nahrung verlieren.

  10. Zwischen dem Gebete der Ruhe und jenem anderen Gebete, bei dem die ganze Seele mit Gott vereinigt ist, besteht der Unterschied, daß diese im letzteren auch das wenige nicht zu tun braucht, was sie im Gebete der Ruhe tut; hier schluckt sie die Milch nur hinab, dort legt der Herr selbst die süße Nahrung in ihr Inneres, ohne daß sie weiß, wie dies geschieht. Im erstgenannten Gebete scheint der Herr von der Seele noch eine kleine Bemühung zu verlangen, die jedoch mit einer so großen Ruhe verbunden ist, daß die Seele fast nichts davon merkt. Was sie hier quält, ist nur der Verstand. Das tut dieser aber nicht mehr, wenn alle drei Seelenkräfte in die Vereinigung eingegangen sind; denn da hebt ihr Schöpfer sie auf, weil er sie alle mit der Wonne beschäftigt, in die er sie versenkt, ohne daß sie wissen und begreifen können wie.


  11. So genießt denn die Seele im Ruhegebete, wie gesagt, eine große und ruhige Freu- de des Willens. Sie kann sich zwar nicht sagen, worüber sie sich insonderheit freut; aber darüber ist sie im klaren, daß ihre Freude ganz verschieden ist von den irdischen Freuden, sowie daß ihr der Besitz der ganzen Welt mit all ihren Ergötzlichkeiten keine solche Be- friedigung gewähren könnte, wie sie diese hier im Inneren ihres Willens empfindet. Die anderen Freuden dieses Lebens kostet, wie mir scheint, nur der äußere Teil des Willens oder, so wollen wir sagen, seine Außenseite.


  12. Sieht sich also die Seele zu einer so erhabenen Stufe des Gebetes erhoben, das, wie gesagt, ein übernatürliches ist, so lache sie darüber, wenn der Verstand oder, um mich deutlicher zu erklären, die Einbildungskraft auch den größten Torheiten der Welt nachgin- ge. Sie lasse den Verstand als einen Narren gewähren, der da kommt und wieder geht; sie selbst aber bleibe in ihrer Ruhe; denn der Wille ist hier Herr und mächtig, den Verstand an sich zu ziehen, ohne daß ihr euch darum bemüht. Wollte aber der Wille den Verstand mit Gewalt an sich ziehen, so würde er die Stärke einbüßen, die er durch den Empfang und Genuß der göttlichen Nahrung gegen ihn besitzt; es gewänne weder der eine noch der an- dere etwas, sondern beide würden verlieren. Das Sprichwort sagt: »Wer zuviel auf einmal festhalten will, der verliert alles.« So würde es, wie mir scheint, auch hier gehen.


  13. Die Erfahrung wird das Gesagte begreiflich machen; wem diese fehlt, über den wun- dere ich mich nicht, wenn es ihm als etwas sehr Dunkles und Unnötiges erscheint. Wer aber nur ein wenig Erfahrung darin besitzt, der wird, wie gesagt, es verstehen und Nut- zen daraus ziehen. Er wird alsdann den Herrn preisen, daß er mich das Rechte hat treffen lassen wollen.


  14. Zum Schluß möchte ich noch folgendes sagen: Hat eine Seele diese Gebetsstufe er- reicht, so scheint der ewige Vater ihre Bitte, ihr hienieden sein Reich geben zu wollen, schon gewährt zu haben. O glückselige Bitte, in der wir ein so großes Gut begehren, ohne es zu

    begreifen! O welch beseligende Gebetsweise! Darum, meine Schwestern, wünsche ich, daß wir achthaben, wie wir das Vaterunser und alle übrigen mündlichen Gebete sprechen. Läßt uns Gott die hier besprochene Gnade zuteil werden, so müssen wir um die Dinge dieser Welt unbekümmert sein, da der Herr der Welt alles Weltliche entfernt, wenn er bei uns Einkehr nimmt. Ich sage nicht, daß die so begnadigten Seelen alle notwendig von der Welt losgeschält seien; aber ich wünschte, sie möchten wenigstens erkennen, was ihnen abgeht, sich verdemütigen und mehr und mehr sich von allem loszuschälen trachten, weil sie sonst nicht weiter kommen werden. Solche Unterpfänder, die Gott der Seele gibt, sind ein Zei- chen, daß er sie zu Großem ausersehen hat; sie wird, wem; sie nicht durch eigene Schuld zurückbleibt, weit voranschreiten. Sieht aber der Herr, daß sie sich, nachdem er das Him- melreich in ihr Haus eingeführt hat, wieder der Erde zuwendet, so wird er vor ihr nicht allein die Geheimnisse seines Reiches verbergen, sondern ihr auch die bereits verkostete Gnade selten und immer nur auf kurze Dauer verleihen.


  15. Es mag sein, daß ich mich hierin täusche; aber ich sehe es und weiß, daß es so geht. Dies ist meines Erachtens auch der Grund, warum es wenige gibt, die auf dem Wege des Gebetes weiter voranschreiten. Man dient dem Herrn nicht so, wie eine so große Gnade es erforderte, und bereitet sich nicht zu, sie aufs neue zu empfangen; vielmehr nimmt man dem Herrn den Willen, den er schon als sein Eigentum besitzt, wieder aus der Hand und wendet ihn niedrigen Dingen zu. Nimmt da der Herr solchen Seelen, wenn sie noch ein reines Gewissen bewahren, auch nicht alles, was er ihnen gegeben, so sucht er doch andere, die ihn lieben, um ihnen mehr zu geben. Leider aber gibt es Personen, und auch ich gehörte einst dazu, die der Herr innerlich rührt, denen er heilige Einsprechungen gibt und Licht, um die Eitelkeit alles Irdischen zu erkennen, die er sogar durch das Geschenk des Gebetes der Ruhe in den Besitz seines Reiches auf Erden setzt und die desungeachtet sich taub gegen ihn zeigen. Sie lieben es so sehr, viele mündliche Gebete, die sie sich täglich vorgenommen haben, in großer Eile herzusagen, gleich einem, der sein Tagewerk fertigbringen möchte. Wenn ihnen daher, wie gesagt, der Herr sein Reich gleichsam in die Hände legt, so nehmen sie es nicht an. Sie glauben besser zu tun, wenn sie ihre mündlichen Gebete sprechen, und wenden sich deshalb von der dargebotenen Gnade ab.


  16. Tut das nicht, meine Schwestern, sondern habet acht, wenn der Herr euch diese Gna- de erweisen will! Bedenket, daß ihr sonst einen großen Schatz verlieren würdet und viel mehr erreichet, wenn ihr von Zeit zu Zeit ein Wort des Vaterunsers sprechet, als wenn ihr dieses Gebet oft und eilig hersagt! Der, zu dem ihr betet, ist ganz nahe bei euch; er wird euch gewiß hören. Ja, glaubt es mir, dies ist die wahre Art, seinen Namen zu loben und zu heiligen! So verherrlicht ihr den Herrn als solche, die schon zu seinem Hause gehören; ihr lobt ihn mit innigerer Liebe und glühenderem Verlangen, und es wird euch scheinen, ihr könntet nicht mehr von seinem Dienste lassen.

 

Zweiunddreißigstes Hauptstück

Über die Worte des Vaterunsers: Fiat voluntas tua, sicut in caelo et in terra. (Dein Wille geschehe, wie im Himmel also auch auf Erden) Großes tut jener, der diese Worte mit ganzer Entschiedenheit spricht; der Herr belohnt ihn dafür reichlich.


  1. Nachdem unser guter Meister für uns gebetet und uns um ein so kostbares Gut zu bitten gelehrt, das alles in sich begreift, was wir hienieden nur wünschen können; nachdem er uns die so große Gnade erwiesen, daß er uns zu seinen Brüdern erhoben, wollen wir darauf sehen, was wir seinem Willen gemäß seinem Vater geben sollen, was er selbst ihm für uns darbietet und um was er ihn für uns bittet. Ist es ja billig, daß wir dem himmlischen Vater so große Gnaden wenigstens einigermaßen vergelten. O guter Jesus! Wie gering ist doch das, was wir unsererseits geben im Vergleich mit dem, was du für uns erbittest! Zwar ist es zur Abtragung einer so großen Schuld und einem so erhabenen Herrn gegenüber an sich wie nichts; aber fürwahr, o mein Herr, du läßt uns wenigstens nicht in gänzlichem Unvermögen; vielmehr geben wir (deinem Vater) alles, was wir können, wenn wir geben, um was wir bitten: »Dein Wille geschehe! Wie er geschieht im Himmel, so geschehe er auch auf Erden!«


  2. Du, unser guter Meister, hast wohlgetan, die vorhergehende Bitte zu stellen, damit wir erfüllen können, was du in unserem Namen zusagst; sonst, o Herr, schiene mir dies fürwahr unmöglich. Tut aber dein Vater, um was du ihn zuvor gebeten, und gibt er uns also hienieden sein Reich, dann bin ich auch gewiß, daß wir dich als wahrhaftig ansehen, indem wir geben, was du in unserem Namen zusagst. Ist einmal die Erde zum Himmel geworden, dann wird es auch möglich sein, daß in mir dein Wille geschehe; außerdem aber, o Herr, wüßte ich nicht, wie dies sein könnte, besonders wenn die Erde so schlecht und Unfruchtbar ist wie bei mir. Ist es ja etwas Großes, was du (deinem Vater) anbietest.


  3. Denke ich an das eben Gesagte, so muß ich lachen über jene Personen, die es nicht wagen, den Herrn um Leiden zu bitten, weil sie besorgen, ihre Bitte möchte gleich gewährt werden. Ich rede da nicht von denen, die aus Demut eine solche Bitte nicht stellen, weil sie sich nämlich zur Ertragung von Leiden nicht stark genug fühlen. Ich wenigstens glaube, es werde ihnen der Herr, der ihnen so viel Liebe eingibt, daß sie ein so hartes Mittel zur Betätigung ihrer Liebe begehren, auch so viel Liebe geben, daß sie die Leiden ertragen können. Jene aber, die aus Furcht, sie möchten alsbald erhört werden, nicht darum bitten, möchte ich fragen, was sie denn damit sagen, wenn sie den Herrn bitten, er wolle seinen Willen an ihnen erfüllen. Sagen sie dies etwa nur, um es zu sagen wie alle anderen, nicht aber, um danach zu handeln? Das wäre nicht schön, meine Schwestern! Seht, der gute Jesus erscheint hier gleichsam als unser Geschäftsträger, der zwischen uns und seinem Vater

    vermitteln wollte, was ihm sehr teuer zu stehen kam. Es wäre deshalb nicht recht, wenn wir das, was er in unserem Namen zusagt, wahrzumachen unterließen. Wollen wir es nicht wahrmachen, so dürfen wir es auch nicht aussprechen. Ich will euch indes noch etwas anderes sagen. Seht, meine Töchter, es wird doch erfüllt werden, wir mögen wollen oder nicht; der Wille Gottes wird geschehen im Himmel und auf Erden. Glaubt mir das! Nehmet meinen Rat an und macht aus der Notwendigkeit eine Tugend!


  4. O mein Herr, welch großer Trost ist es für mich, daß du die Erfüllung deines Willens nicht einem so bösen Willen wie dem meinen anheimgestellt hast! Sei ewig dafür geprie- sen! Alle Geschöpfe sollen dich loben! Dein Name werde verherrlicht in Ewigkeit! Es stün- de schön um uns, wenn die Erfüllung deines Willens in meiner Hand gelegen wäre. Jetzt gebe ich dir meinen Willen freiwillig hin, wiewohl es schon seit langem nicht ohne Eigen- nutz von mir geschieht; denn ich habe es erprobt und weiß es aus vieler Erfahrung, welchen Gewinn ich davon habe, wenn ich meinen Willen frei dem deinen hingebe. O meine Freun- dinnen, wie groß ist doch der Vorteil, den wir dadurch gewinnen, daß wir erfüllen, was wir dem Herrn im Vaterunser zusagen; aber auch welcher Schaden für uns, wenn wir es nicht erfüllen!


  5. Bevor ich über diesen Vorteil spreche, will ich euch erklären, wieviel ihr hier opfert, damit ihr es in der Folge durch Berufung auf einen Irrtum nicht wieder zurücknehmt und sagt, ihr hättet es nicht verstanden. Es soll da nicht so sein wie bei manchen Ordensperso- nen, die nur versprechen und, wenn sie dann ihr Versprechen nicht halten, zu der Ausrede ihre Zuflucht nehmen, sie hätten nicht verstanden, was sie versprochen. Dies könnte aller- dings auch wahr sein; denn es scheint sehr leicht, zu sagen, man überlasse seinen Willen dem Willen eines anderen, bis man sich später aus Erfahrung überzeugt, daß gerade dies das Härteste ist, was ein Mensch tun kann, wenn man es so tun will, wie es sein soll. Zwar sind die Oberen, wenn sie unsere Schwachheit sehen, nicht immer streng mit uns; biswei- len jedoch behandeln sie die Schwachen und die Starken auf gleiche Weise. Dies ist aber hier anders; denn der Herr weiß, was jeder tragen kann, und zögert nicht, an denen, die er als stark erkennt seinen Willen zu erfüllen.


  6. Ich will euch darum sagen und euch daran erinnern, was der Wille des Herrn ist. Ihr braucht nicht zu fürchten, daß er euch Reichtümer, Freuden, Ehren oder andere derglei- chen irdische Dinge gebe; nein, so wenig liebt er euch nicht. Was ihr ihm gebt, das schätzt er gar hoch und will es reichlich bezahlen, indem er euch schon hienieden sein Reich mitteilt. Wollt ihr wissen, wie er sich gegen jene verhält, die aufrichtig zu ihm sprechen: Dein Wille geschehe!? Fragt nur seinen glorwürdigen Sohn, der diese Worte sprach, als er im Garten betete! Er sprach sie mit Entschiedenheit und von ganzem Herzen; nun seht, wie der himm- lische Vater seinen Willen an ihm erfüllte, da er Leiden und Schmerzen, Schmähungen und

    Verfolgungen ihm zusandte und ihn endlich sogar dem Tode am Kreuze preisgab!


  7. Seht da, meine Töchter, was der Vater im Himmel dem gab, den er mehr liebte als alle anderen Menschenkinder! Daraus könnt ihr erkennen, was sein Wille ist. Dies sind in dieser Welt seine Gaben, die er nach dem Maße der Liebe, die er zu uns trägt, über uns ausgießt. Denen, die er mehr liebt, spendet er von diesen Gaben mehr; und denen, die er weniger liebt, gibt er weniger davon. Er teilt diese seine Gaben aus je nach dem Mute, den er in jedem sieht, und nach der Liebe, die jeder zu Seiner Majestät trägt. Wer große Liebe ihm entgegenbringt, den hält er für fähig, viel für ihn zu leiden; wer aber nur eine geringe Liebe zu ihm hat, von dem weiß er, daß er nur wenig leiden kann. Um zu bemessen, ob einer ein großes oder nur ein kleines Kreuz tragen kann, dient meines Erachtens als Maß- stab die Liebe. Wenn ihr darum, meine Schwestern, diese besitzt, so achtet wohl darauf, daß die Worte, die ihr zu einem so großen Herrn sprecht, nicht bloße Komplimente seien! Vielmehr ermutigt euch, zu leiden, so viel die göttliche Majestät euch zu leiden geben will! Würdet ihr eueren Willen anders opfern, so wäre es geradeso, wie wenn ihr einem einen Edelstein zeigtet in der Absicht, ihm diesen zu geben, und mit der Bitte, daß er ihn anneh- men wolle, ihn aber, wenn er die Hand darnach ausstreckt, wieder zurückzöget, um ihn recht gut aufzubewahren.


  8. In dieser Form darf man denn doch dessen nicht spotten, der unsertwegen so vielen Spott erduldet hat. Wenn es auch sonst nichts auf sich hätte, so wäre es gewiß nicht recht, diesen Spott so oft mit ihm zu treiben; denn wir sprechen ja diese Worte im Vaterunser nicht selten. Schenken wir ihm also den Edelstein einmal ganz, nachdem wir ihm diesen schon so oft angeboten! Zuerst müssen wir ihm den Edelstein geben, dann wird auch er sich freigebig gegen uns erzeigen. Die Weltleute werden schon viel tun, wenn sie nur ernstlich entschlossen sind, das auch zu erfüllen, was sie versprechen; aber bei euch, meine Töchter, soll Sagen und Tun, sollen Worte und Werke eins sein, wie dies auch in Wahrheit bei uns Ordensleuten der Fall zu sein scheint. Zuweilen jedoch geschieht es, daß wir dem Herrn den Edelstein nicht nur anbieten, sondern auch in die Hand geben, dann aber ihn wieder zurücknehmen. Schnell sind wir freigebig, hernach aber wieder so karg, daß es zum Teil besser gewesen wäre, wir hätten mit dem Geben noch gezögert.


  9. Alle meine bisherigen Mahnungen in diesem Buche zielten auf diesen einen Punkt hin, daß wir uns ganz dem Schöpfer hingeben, unseren Willen mit dem seinigen vereini- gen und uns lostrennen möchten von den Geschöpfen. Darum, und weil ihr schon wißt, wie wichtig dies alles ist, will ich nicht weiter davon reden, sondern nur noch den Grund angeben, warum unser guter Meister diese Worte: »Dein Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf Erden!« in sein Gebet einsetzte. Er tat dies, weil er wußte, wieviel wir da- durch gewinnen, wenn wir seinem Vater diesen Dienst (der Erfüllung seines Willens) leis-

    ten. Denn so bereiten wir uns vor, in sehr kurzer Zeit zum Ziele des Weges zu gelangen und von dem lebendigen Wasser des Brunnens zu trinken, wovon schon die Rede war. Geben wir aber dem Herrn unseren Willen nicht ganz dazu hin, daß er in allem, was uns betrifft, nach seinem Wohlgefallen verfüge, so läßt er uns nie davon trinken. Dieses Wasser ist die vollkommene Beschauung, über die zu schreiben ihr mich gebeten habt.


  10. Dazu tragen wir, wie ich schon angeführt habe, von unserer Seite nichts bei; wir ha- ben nichts zu arbeiten und zu tun, sondern nur die Worte zu sprechen: Fiat voluntas tua (Dein Wille geschehe)! Alles übrige stört und hindert. Ja, dein Wille geschehe, o Herr, er werde an mir erfüllt in jeder dir beliebigen Weise! Willst du, daß es durch Leiden geschehe, so gib mir Kraft, und sie mögen dann immerhin über mich kommen! Willst du, daß es ge- schehe durch Verfolgungen, durch Krankheiten, durch Ehrenkränkungen, durch Entbeh- rungen: Siehe, hier bin ich, mein Vater, ich werde nichts davon scheuen! Ich täte unrecht, wollte ich diese Leiden fliehen; denn nachdem dein Sohn mit dem Willen aller dir auch meinen Willen geschenkt hat, wäre es unrecht, wenn ich meinerseits dieses Geschenk zu- rückbehalten wollte. Erzeige mir nur die Gnade, mir dein Reich zu geben, weil dein Sohn für mich darum gebeten, damit ich so erfüllen könne, was er dir für mich versprochen hat! Alsdann verfüge mit mir nach deinem Wohlgefallen wie mit deinem Eigentume!


  11. O meine Schwestern, welche Kraft hat dieses Geschenk, wenn es mit so völliger Ent- schlossenheit, wie es sein soll, von uns dargebracht wird! Seine Wirkung wird keine gerin- gere sein, als daß der Allmächtige veranlaßt wird, eins zu werden mit unserer Niedrigkeit und uns in sich umzugestalten, also keine geringere als eine Vereinigung des Schöpfers mit dem Geschöpfe. Seht da, wie reich ihr belohnt werdet und welch guten Meister ihr habt! Weil er weiß, wodurch das Wohlgefallen seines Vaters zu gewinnen ist, lehrt er uns, wie und womit wir ihm zu diesem Zwecke dienen müssen.


  12. Je mehr die Seele durch ihre Werke zu erkennen gibt, daß das, was sie betet, nicht bloße Höflichkeitsworte sind, desto näher zieht sie der Herr an sich, desto mehr erhebt er sie über alle irdischen Dinge und über sie selbst, damit er sie zum Empfange großer Gna- den um so fähiger mache. Er schätzt den Dienst, den wir ihm durch die Hingabe unseres Willens leisten, so hoch, daß er nicht aufhört, uns diesen Dienst schon in diesem Leben zu belohnen, und nicht müde wird, uns zu geben, so daß wir nicht mehr wissen, um was wir Seine Majestät noch bitten sollen. Nicht genug, daß er sich mit einer solchen Seele durch Vereinigung mit sich selbst eins gemacht hat, beginnt er jetzt auch, sich an ihr zu ergötzen, ihr seine Geheimnisse zu offenbaren und sich darüber zu freuen, daß sie sieht, was sie ge- wonnen, und wenigstens in etwa erkennt, was er ihr für die Zukunft aufbewahrt hat. Und damit nichts sie hindere (das zu genießen, was er ihr gibt), läßt er sie allmählich auch den Gebrauch ihrer äußerer Sinne verlieren. Dies ist die »Verzückung«.

  13. Hier fängt der Herr an, der Seele eine solche Freundschaft zu bezeigen, daß er ihr nicht bloß ihren Willen wieder läßt, sondern ihr auch den seinigen dazugibt. In dieser Freundschaft ist es seine Freude, daß sich beide, wie man zu sagen pflegt, gegenseitig in die Herrschaft teilen; er gewährt der Seele, die alles tut, was er befiehlt, auch seinerseits alles, um was sie ihn bittet, und zwar weit besser, als sie zu bitten vermag, da er mächtig ist und alles kann, was er will, und es ihm nie am Wollen fehlt. Die arme Seele aber kann, obwohl sie will, nicht tun, was sie gern täte; ja, sie kann überhaupt nichts tun, als was ihr gegeben wird. Ihr größter Reichtum besteht darin, daß sie um so mehr Schuldnerin wird, je mehr sie dient. Sie möchte gern etwas von ihrer Schuld abtragen, sieht sich aber, weil sie noch im Gefängnis dieses Leibes zurückgehalten ist, von so vielen Schwierigkeiten, Hindernissen und Fesseln umgeben, daß sie sich oft darüber härmt. Doch da ist sie recht albern. Mögen wir auch alles tun, was in unseren Kräften steht, was können wir dem Herrn vergelten? Ich wiederhole, wir vermögen nichts zu geben, als was wir empfangen haben. Es bleibt uns also nichts anderes übrig, als daß wir unser Unvermögen erkennen und vollkommen tun, was in unserer Macht liegt, nämlich ihm unseren Willen zu schenken. Alles übrige würde der Seele, die Gott zu dieser erhabenen Stufe des Gebetes erhoben hat, anstatt nützen, nur hinderlich und schädlich sein. Die Demut allein ist es, die hier etwas vermag, und zwar nicht eine durch Nachsinnen des Verstandes erworbene Demut, sondern jene Demut, die der Seele durch klares Schauen der Wahrheit zuteil geworden ist. Dadurch erfaßt man in einem Augenblicke, was man durch Anstrengung der Einbildungskraft in langer Zeit nicht erfassen kann; wir erkennen, wie wir selbst so gar nichts sind und wie Gott allein alles ist.


  14. Zum Schlusse gebe ich euch noch einen Rat. Denkt ja nicht, ihr könntet durch eigene Kraft und eigenen Fleiß zu dieser Gebetsstufe gelangen! Ein solches Streben würde vergeb- lich sein und nur dazu dienen, daß ihr kalt würdet, wenn ihr vorher andächtig gewesen seid. Ihr habt nicht mehr zu tun, als in Einfalt und Demut, die alles erlangt, die Worte zu sprechen: Fiat voluntas tua (Dein Wille geschehe)!


 

Dreiunddreißigstes Hauptstück

Wie notwendig es ist, daß der Herr uns gebe, um was wir im Vaterunser mit den Worten bitten: Panum nostrum quotidianum da nobis hodie. (Unser tägliches Brot gib uns heute!)


  1. Der gute Jesus wußte, welch eine schwer zu erfüllende Zusage er in unserem Namen gemacht; er kannte unsere Schwachheit, in der wir uns oft glauben machen, als wüßten wir nicht, was der Wille des Herrn sei. Er erkannte darum auch, eben weil er in Anbe- tracht unserer Schwachheit so mitleidsvoll ist, daß wir Hilfe nötig haben. Denn er sah, daß es in keiner Weise gut für uns wäre, wenn wir das von ihm seinem Vater gemachte Ge- schenk diesem zu geben unterlassen würden, da ja in der Hingabe unseres Willens an sei-

    nen himmlischen Vater unser ganzes Glück besteht; jedoch sah er auch, daß wir nur schwer erfüllen würden, was er in unserem Namen zugesagt. Stellt man einem reichen Prasser vor Augen, er möge auf den Willen Gottes achten und bei seiner täglichen Mahlzeit sparsamer sein, damit andere, die vor Hunger sterben, durch seine Unterstützung wenigstens Brot zu essen hätten, so wird er tausend Gründe vorbringen, um dies ganz nach seinem Sinne zu deuten. Sagt man zu einem Verleumder, es sei der Wille Gottes, daß er seinen Nächsten liebe wie sich selbst, so kann er es nicht mit Geduld anhören; es reicht kein Grund hin, ihn davon zu überzeugen. Sagt man einem Ordensmanne, der ein freies und bequemes Leben zu führen gewöhnt ist, er müsse achthaben auf die Pflicht, ein gutes Beispiel zu geben; er möge bedenken, daß er nicht schon mit den bloßen Gebetsworten: »Dein Wille geschehe!« seiner Verpflichtung Genüge leiste, daß er vielmehr deren Erfüllung beschworen und ge- lobt habe und die Haltung seiner Gelübde Gottes Wille sei: (es wird wenig nützen). Rede ihm ferner zu, er habe die Armut gelobt und müsse dieses Gelübde, ohne Ausflüchte zu gebrauchen, nach dem Willen des Herrn erfüllen; er möge beherzigen, daß er schon sehr gegen das Gelübde verstoße, wenn er nur Ärgernis gebe, mag er es auch nicht ganz bre- chen: es würde doch dies alles auch jetzt noch bei manchen nichts fruchten. Was würde erst geschehen, wenn nicht der Herr selbst durch das von ihm eingesetzte Mittel das meis- te getan hätte? Nur sehr wenige würden das Wort erfüllen, das er in unserem Namen zum Vater gesprochen: Fiat voluntas tua (Dein Wille geschehe)! Weil also der gute Jesus unsere Bedürfnisse sah, so erfand er ein wunderbares Mittel, wodurch er zugleich seine außeror- dentliche Liebe zu uns kundgab. Er stellte sowohl in seinem als in seiner Brüder Namen die Bitte an seinen Vater: »Unser tägliches Brot gib uns heute, o Herr!«


  2. Lasset uns, meine Schwestern, um Gottes willen wohl verstehen, um was unser guter Meister hier bittet! Denn davon, daß wir nicht oberflächlich darüber hinweggehen, hängt unser Leben ab. Haltet doch alles, was ihr hingegeben, für sehr gering, weil ihr so viel dafür empfangen sollt!


  3. Andere mögen eine bessere Ansicht haben als ich; was ich aber jetzt meine, ist folgen- des: Der gute Jesus hat gesehen, was er in unserem Namen seinem Vater zugesagt und wie wichtig es für uns ist, daß wir diese Zusage erfüllen. Er hat aber auch die große Schwie- rigkeit erkannt, die wir, wie gesagt, bei unserer Schwäche, bei unserer Hinneigung zu den niedrigen Dingen dieser Erde, bei unserer erkalteten Liebe und unserem geringen Mute in Erfüllung (dieser Zusage) finden würden. Deshalb hielt er es für notwendig, daß wir durch den Anblick seiner Liebe ermutigt würden, und zwar nicht bloß einmal, sondern täglich; wohl aus diesem Grunde entschloß er sich, bei uns zu bleiben. Weil dies aber etwas so Gro- ßes und Wichtiges ist, so wollte er, daß es uns von der Hand seines ewigen Vaters zukäme. Denn er und der Vater sind Eins, und er wußte, daß alles, was er auf Erden tut, auch der Vater im Himmel vollbringe und gutheiße, weil er mit dem Vater eines Willens ist. Nichts-

    destoweniger bat unser guter Jesus den Vater in seiner Demut um die Erlaubnis, bei uns auf Erden bleiben zu dürfen, obwohl ihm schon bekannt war, daß er ihn siehe und sein Wohlgefallen an ihm habe. Er wußte wohl, daß er in dieser Bitte mehr begehre, als er in den übrigen verlangt hatte, da er voraussah, welch grausamen Tod man ihm bereite und welche Entehrungen und Beschimpfungen er zu leiden haben werde.


  4. Fürwahr, o Herr, wo fände man einen Vater, der gestatten wollte, daß sein Sohn, und zwar ein solcher Sohn, den er uns geschenkt und den wir so übel behandelt, unter uns bleibe, damit er täglich aufs neue leide? Gewiß, o Herr, kein Vater konnte dies tun als nur der eine, und du wußtest wohl, wen du um so etwas batest. O mein Gott, welch große Liebe des Sohnes und welch große Liebe des Vaters! Zwar staune ich weniger über den guten Jesus; denn nachdem er einmal gesprochen: Fiat voluntas tua (Dein Wille geschehe!), mußte er auch diesen Willen so vollkommen erfüllen, wie er selbst vollkommen ist. Ja, er ist nicht, wie wir sind. Weil er wußte, daß er den Willen des Vaters vollziehe, wenn er uns liebe wie sich selbst, darum suchte er dieses Gebot auch mit den größten Opfern auf das vollkommenste zu erfüllen. Aber du, ewiger Vater, wie konntest du deine Einwilligung dazu geben? Warum willst du deinen Sohn noch täglich in so bösen Händen sehen? Nachdem du ihn schon einmal solchen hast überlassen wollen, so weißt du ja, wie übel diese ihn behandelt haben. Wie kann denn deine Liebe diese Beleidigungen ertragen, die ihm täglich, ja stündlich zugefügt werden? Wie viele Beleidigungen muß er besonders in unseren Tagen erdulden im Allerheiligsten Sakramente! In wieviel feindlichen Händen muß ihn da der Vater sehen! Wie viele Verunehrungen erfährt er da von den heutigen Irrlehrern!


  5. O ewiger Herr, wie magst du doch eine solche Bitte deines Sohnes annehmen und in sein Begehren willigen! Achte doch nicht auf seine Liebe! Denn um deinen Willen voll- kommen zu erfüllen, und zwar unsertwegen, ließe er sich täglich in Stücke hauen. Dir, o mein Herr, kommt es zu, hier zu sorgen! Warum soll denn, da dein Sohn nichts von allem achtet, was ihm widerfährt, unser ganzes Heil auf seine Kosten uns zukommen? Etwa weil er zu allem schweigt und nur für uns, nicht aber für sich selbst zu reden weiß? Soll sich denn niemand finden, der für dieses liebevollste Lamm seine Stimme erhebe?


  6. Ausfallend ist es mir, daß der gute Jesus nur in dieser Bitte zweimal dasselbe Wort spricht. Zuerst bittet er seinen Vater, er wolle uns dieses Brot täglich geben; dann sagt er nochmal: »Gib es uns heute, o Herr!« Es ist, als wollte er zu seinem Vater sagen, er möge ihn uns nicht wieder nehmen, nachdem er ihn uns einmal gegeben, damit er für uns sterbe; da er uns schon angehöre, so möge er ihn uns bis zum Ende der Welt lassen, damit er täglich uns diene. Dies, meine Töchter, soll euer Herz erweichen, um eueren Bräutigam zu lieben! Gibt es doch keinen Sklaven, der sich selbst gern einen solchen nennt; aber der gute Jesus scheint sich eine Ehre daraus zu machen, uns zu dienen.

  7. O ewiger Vater, wie groß ist der Wert einer solchen Demut! Um welchen Schatz erkau- fen wir uns deinen Sohn? Wir wissen wohl, daß er um dreißig Silberlinge verkauft ward, aber um ihn zu kaufen, reicht kein Preis hin. Durch die Annahme unserer Natur macht er sich hier eins mit uns, und als Herr seines Willens erinnert er seinen Vater daran, daß er ihn uns schenken könne, weil er sein Eigentum ist; darum sagt er: »Unser« Brot. Er macht keinen Unterschied zwischen sich und uns; aber wir machen einen, wenn wir uns nicht täglich dem Dienste Seiner Majestät hingeben.


 

Vierunddreißigstes Hauptstück

Fortsetzung desselben Gegenstandes. Nützliche Lehren in betreff des Verhaltens nach der Kommunion.


  1. Mit der Bitte an seinen Vater scheint der gute Jesus unser tägliches Brot uns für immer zu erbitten. Und so dachte ich darüber nach, warum er nach dem Worte »täglich« abermals sagt: »Gib es uns heute, o Herr!« Unser »tägliches« Brot scheint es mir deshalb zu sein, weil wir es hier auf Erden besitzen und auch einst im Himmel besitzen werden, wenn wir die Gegenwart des Herrn uns hier zunutze machen. Denn zu keinem anderen Zwecke bleibt er unter uns, als um uns zu helfen, uns zu ermutigen und unsere Nahrung zu sein, damit wir den Willen des Vaters, um dessen Erfüllung an uns wir gebeten haben, zu tun imstande wären.


  2. Mit dem Worte »heute« scheint mir gesagt zu sein: »für einen Tag«, d. h. für die Dauer dieser Welt und nicht länger; denn das ist wohl nur ein Tag, besonders für jene Unglückse- ligen, die verdammt werden und im anderen Leben dieses Brot nicht mehr genießen. Daß diese sich aber überwinden lassen, ist nicht die Schuld des Herrn; denn unaufhörlich er- mutigt er sie bis zum Ende des Kampfes. Sie werden sich darum auch nicht entschuldigen oder über den Vater beklagen können, daß er ihnen dieses Brot entzogen habe zur Zeit, da sie es am meisten bedurften. Weil es also nur für einen Tag ist, so bittet der Sohn den Vater, er möge gestatten, daß er diesen Tag noch in unserem Dienste zubringe. Denn nachdem der Vater aus eigenem Antrieb uns seinen Sohn schon gegeben und in die Welt gesandt hat, so will jetzt auch der Sohn aus eigenem Antrieb uns nicht mehr verlassen, sondern bei uns bleiben zur größeren Ehre seiner Freunde und zur größeren Pein seiner Feinde? Was er darum aufs neue begehrt, ist nichts anderes als »für heute«. Denn da die göttliche Ma- jestät uns dieses heiligste Brot, diese Nahrung und dieses Manna der Menschheit, gegeben hat, hat sie es, wie gesagt, für immer gegeben. Wir finden es, so oft wir wollen, so daß wir nicht Hungers sterben, wenn wir nicht selbst schuld sind. Im Genusse des Allerheiligsten Sakramentes wird die Seele Erquickung und Trost finden, wie sie es nur wünschen mag. Es gibt keine Not, kein Leiden, keine Verfolgung, die nicht leicht zu ertragen wäre, wenn wir

    einmal anfangen, an den Leiden unseres Herrn Geschmack zu finden.


  3. Bittet, meine Töchter, mit diesem Herrn den Vater, daß er euch heute eueren Bräuti- gam lasse, damit ihr in dieser Welt nicht ohne ihn seid! Es ist schon genug, daß eine so große Freude dadurch gemäßigt wird, daß er sich unter den Gestalten des Brotes und Wei- nes verborgen hält. Dies ist für jene, die nichts anderes lieben und keinen anderen Trost haben als ihn, eine große Marter. Aber bittet ihn nur, daß er euch nie fehle und euch die nötige Vorbereitung schaffe, ihn würdig zu empfangen!


  4. Um ein anderes Brot bekümmert euch nicht, ihr, die ihr euch ganz in Wahrheit dem Willen Gottes hingegeben habt! Ich verstehe dies von der Zeit des Gebetes; denn da habt ihr euch mit wichtigeren Dingen zu befassen. Zu anderen Zeiten möget ihr arbeiten, um euere Nahrung zu verdienen; nie aber sollt ihr euere Gedanken mit der Sorge darum be- schäftigen, sondern während der Leib arbeitet, was zur Gewinnung des nötigen Lebens- unterhaltes ganz recht ist, ruhe die Seele! Überlaßt die Sorge für eueren Unterhalt, wie ich schon ausführlich geschrieben habe, euerem Bräutigam! Er wird sich diese stets angelegen seinlassen.


  5. Es besteht hier ein ähnliches Verhältnis wie zwischen einem Diener und seinem Herrn. Der Diener hat nur darauf zu achten, wie er seinen Herrn in allem zufriedenstelle; Pflicht des Herrn aber ist es, seinem Diener zu essen zu geben, solange dieser in seinem Hause ist und ihm dient, außer der Herr wäre selbst so arm, daß er weder für sich noch für seinen Diener etwas hätte. Letzteres kommt jedoch bei unserem Herrn nicht vor, der immer reich und mächtig ist und bleiben wird. Wäre es nun in der Ordnung, wenn der Diener hinginge und Speise begehrte, da er doch weiß, daß sein Herr ohnehin dafür sorgt und zu sorgen schuldig ist? Mit Recht würde dieser zu ihm sagen, er solle sich um seinen Dienst kümmern und nur darauf achten, wie er seinen Herrn zufriedenstelle; denn sobald jemand für Dinge sorgt, für die er nicht zu sorgen hat, verrichtet er sein Geschäft nicht, wie es sich gebührt.


  6. Mag also, meine Schwestern, wer immer nur will, sich angelegen seinlassen, um Brot für den Leib zu bitten, wir wollen den ewigen Vater um die Gnade anflehen, daß wir unser himmlisches Brot zu empfangen würdig seien. Wenn auch unsere leiblichen Augen sich nicht in der Anschauung des Herrn ergötzen können, weil er ihnen verhüllt ist, so wollen wir ihn doch bitten, daß er sich den Augen unserer Seele zeige und sich ihr zu erkennen ge- be. Dieses himmlische Brot ist eine ganz andere Nahrung, eine Nahrung voll von Freuden und Süßigkeiten, die zugleich auch das Leben (des Leibes) erhält.


  7. Oder glaubt ihr, diese Allerheiligste Speise erhalte nicht auch den Leib und sei nicht auch eine vorzügliche Arznei gegen körperliche Übel? Daß sie diese Kraft hat, davon bin

    ich überzeugt. Ich kenne eine Person, die oft große Schmerzen litt, wenn sie zur Kommuni- on ging. Nachdem sie aber diese empfangen hatte, waren ihre Schmerzen wie weggeblasen, und sie befand sich ganz wohl. Dies war bei ihr etwas ganz Gewöhnliches, und zwar bei so offenbaren Krankheiten, daß sie meines Erachtens unmöglich eine Verstellung sein konn- ten. Die Wunder, die dieses Allerheiligste Brot in jenen wirkt, die es würdig empfangen, sind so bekannt, daß ich viele andere gar nicht erwähne, die ich von jener Person erzählen könnte. Ich bin darüber unterrichtet und weiß, daß sie nicht erlogen sind. Der Herr hatte ihr aber auch einen so lebendigen Glauben gegeben, daß sie bei sich lächelte, wenn sie ei- nige sagen hörte, sie wünschten zur Zeit gelebt zu haben, als Christus, unser höchstes Gut, noch auf der Welt war. Sie meinte, was sie wohl noch zu wünschen hätte, da sie ja Christus ebenso wahrhaftig im Allerheiligsten Sakramente besäße.


  8. Von derselben Person, die nicht sehr vollkommen war, weiß ich auch, daß sie viele Jah- re lang jedesmal, wenn sie kommunizierte, ihren Glauben dadurch zu stärken suchte, daß sie sich vorstellte, als sähe sie wirklich mit leiblichen Augen den Herrn in ihre Wohnung einkehren. Angeregt durch den Glauben, der Herr kehre wahrhaft in ihre arme Wohnung ein, machte sie sich von allen Dingen los und suchte mit ihm in diese einzutreten. Zugleich befliß sie sich, ihre Sinne zu sammeln, damit sie alle ein so großes Gut erkennen, will sagen, ihre Seele an der Erkenntnis dieses Gutes nicht hindern möchten. Auch stellte sie sich vor, sie sitze mit Magdalena zu den Füßen Jesu; sie weinte mit ihm und verhielt sich geradeso, als ob sie den Herrn mit leiblichen Augen im Hause des Pharisäers schaute. Fühlte sie auch keine Andacht, so sagte ihr doch der Glaube, der Herr sei ihr gegenwärtig.


  9. Ja fürwahr, wollen wir keine Toren sein und nicht absichtlich unseren Verstand ver- blenden, so können wir nicht daran zweifeln, daß in der Kommunion die Gegenwart des Herrn keine bloße Vorstellung der Einbildungskraft ist, wie wenn wir ihn am Kreuze hän- gend oder in anderen Geheimnissen seines Leidens betrachten, deren Begebenheit wir uns in unserem Innern vorstellen. Wenn wir den Herrn in der Kommunion empfangen, so ist er uns in voller Wahrheit gegenwärtig, und wir brauchen ihn nicht erst anderswo in der Ferne zu suchen; denn wir wissen, daß der gute Jesus bei uns ist, solange die Gestalten des Brotes von der natürlichen Wärme nicht verzehrt sind. Hier also laßt uns ihm nahen! Wenn er während der Zeit seines Wandels auf Erden die Kranken dadurch gesund machte, daß sie bloß seine Kleider berührten, können wir dann zweifeln, daß er da, wo er uns so innig gegenwärtig ist, auch an uns Wunder tun werde, wenn wir Glauben haben? Können wir zweifeln, daß er uns geben werde, um was wir ihn bitten, wenn er in unserem Hause wohnt? Gewiß, Seine Majestät pflegt die Herberge bei uns nicht schlecht zu bezahlen, wenn wir ihn gut bewirten.

  10. Fällt es euch aber schwer, daß ihr ihn nicht mit leiblichen Augen seht, so bedenket, daß uns dies nicht nützlich wäre! Denn etwas anderes ist es, ihn in seiner Herrlichkeit zu schauen, als so, wie er auf Erden wandelte. Unsere schwache Natur würde den Anblick einer solchen Herrlichkeit nicht ertragen können. Und gesetzt auch, wir könnten dies, dann gäbe es keine Welt und niemand mehr, der in ihr bleiben möchte; denn beim Schauen der ewigen Wahrheit würde jedermann einsehen, daß alles, was wir hier auf Erden hochachten, lauter Lüge und Täuschung ist. Wie würde dann eine arme Sünderin wie ich, die den Herrn so oft beleidigt hat, es wagen, so nahe bei ihm zu bleiben, wenn sie eine so große Majestät schaute? In seiner Verborgenheit unter den Gestalten des Brotes aber ist leicht mit ihm umzugehen. Wenn der König sich verkleidet, so brauchen wir meines Erachtens im Verkehr mit ihm nicht so viel Rücksicht zu nehmen und nicht so viele Umstände zu machen; dann scheint es, er müsse sich dies gefallen lassen, eben weil er sich verkleidete. So ist es auch hier. Wer würde es sonst wagen, so lau, so unwürdig und unvollkommen, wie wir sind, sich dem himmlischen König zu nahen?


  11. Wahrlich, wir wissen nicht, was wir wollen, wenn wir ihn unverhüllt zu schauen be- gehren, und sehen nicht ein, wie weit besser seine Weisheit für uns gesorgt hat, da er sich jenen offenbart, von denen er weiß, daß sie aus seiner Gegenwart Nutzen ziehen. Denn se- hen ihn diese auch nicht mit leiblichen Augen, so gibt er sich doch auf mannigfache Weise ihrer Seele durch tiefempfundene innerliche Gefühle und verschiedene andere Wirkun- gen zu erkennen. Bleibt darum gerne bei ihm und versäumt nicht eine so gute Gelegen- heit, vertraulich mit ihm zu verkehren, wie sie euch in der Stunde nach dem Empfang der Kommunion geboten ist! Befiehlt euch, meine Schwestern, der Gehorsam etwas anderes, so befleißigt euch wenigstens, euere Seele beim Herrn zu lassen! Denn wenn ihr gleich nach der Kommunion euere Gedanken anderswohin wendet und den unbeachtet laßt, der in euch ist, wie soll er sich euch dann zu erkennen geben? Die Zeit nach der Kommunion ist kostbar; da will unser Lehrer uns unterweisen. Hören wir ihn also an! Küssen wir ihm zum Dank die Füße und bitten wir ihn, daß er nimmer von uns weiche!


  12. Ich hielte es für Torheit, wolltet ihr euch da von der Person des Herrn selbst abwen- den, um ein Christusbild zu betrachten und vor diesem euere Bitten vorzutragen. Wäre dies nicht geradeso, wie wenn wir das Bild einer geliebten Person besäßen und beim Empfang ihres Besuches nicht mit ihr selbst reden, sondern nur an das gemalte Bild uns wenden wollten? Wißt ihr, wann es sehr gut ist, ein Bild des Herrn anzuschauen, was mir selbst auch große Freude bereitet? Dann, wenn er selbst abwesend ist, oder wenn er uns seine Abwesenheit durch große Trockenheit fühlen lassen will. Da ist es ein großer Trost, ein Bild dessen zu sehen, den zu lieben wir so guten Grund haben, und ich möchte es als- dann überall sehen, wohin wir unsere Augen wenden. Denn was können wir Besseres und Lieblicheres anschauen als den, der uns so innig liebt und alle Güter in sich begreift? O

    wie unselig sind die Häretiker, die auch diesen Trost wie so manchen anderen durch ihre eigene Schuld verloren haben!


  13. Wenn ihr aber den Herrn empfangen habt, der in eigener Person in euch weilt, dann bemüht euch, die Augen des Leibes zu schließen, die der Seele dagegen zu öffnen und in euer Herz zu schauen! Ich habe es euch schon gesagt, sage es abermals und möchte es noch oft sagen: Wenn ihr euch dies zur Gewohnheit macht und es jedesmal tut, sooft ihr kommuniziert; wenn ihr dazu ein so reines Gewissen bewahrt, daß es euch gestattet wird, den Herrn oft zu empfangen, dann wird er nicht so verhüllt bleiben, daß er sich nicht auf mancherlei Weise und gemäß euerem Verlangen, ihn zu schauen, zu erkennen gäbe, wie ich schon erwähnt habe; ja dieses Verlangen kann so glühend sein, daß er sich euch ganz enthüllt.


  14. Erweisen wir ihm aber keine Aufmerksamkeit und wenden wir uns, nachdem wir ihn empfangen, gleich wieder von ihm ab und anderen, niedrigen Dingen zu, was soll er dann tun? Soll er uns etwa mit Gewalt nötigen, ihn anzuschauen, wenn er sich uns zu erkennen geben will? Nein, gewiß nicht. Denn wie übel behandelten ihn die Menschen, als er sich allen offen zeigte und ihnen klar sagte, wer er sei! Nur sehr wenige waren es, die an ihn glaubten. Darum erzeigt er uns allen Barmherzigkeit genug, wenn er uns zur Erkenntnis bringen will, daß er im Allerheiligsten Sakramente gegenwärtig sei. Aber unverhüllt sich zeigen, seine Herrlichkeiten offenbaren und von seinen Schätzen mitteilen will er nur jenen, von denen er weiß, daß sie ein großes Verlangen nach ihm haben; diese sind seine wahren Freunde. Wer nicht dazu gehört, wer nicht als wahrer Freund, ihn zu empfangen, sich ihm naht und nicht alles tut, was an ihm liegt, der verlange von ihm ja nicht, daß er sich ihm offenbare! Kaum kann so ein Mensch die Zeit erwarten, bis er das Gebot der Kirche erfüllt hat, um wieder fortzugehen aus dem Hause des Herrn, den er nun wieder von sich zu stoßen sucht. Ein solcher scheint sich möglichst zu beeilen, dem Herrn durch weltliche Händel und Geschäfte Hindernisse in den Weg zu legen, daß er von seinem Hause nicht Besitz nehmen kann.

 

Fünfunddreißigstes Hauptstück

Schluß der Unterweisung über die heilige Kommunion. Anrede an den ewigen Vater.


  1. Ich hatte schon bei der Erklärung des Gebetes der Sammlung davon gesprochen, wie- viel daran gelegen ist, sich in sich selbst zurückzuziehen und da mit Gott allein zu sein; aber ich wollte doch nochmals so ausführlich darüber reden. Ich möchte nun dem Ge- sagten noch folgendes beifügen: Wenn ihr, meine Töchter, die Kommunion auch nicht empfangt, sondern nur die Messe hört, so könnt ihr doch mit sehr großem Nutzen geis- tigerweise kommunizieren und dann euch der nämlichen inneren Sammlung befleißigen.

    Dadurch wird die Liebe zu unserem Herrn tief unseren Herzen eingeprägt; obgleich wir es nicht erkennen, wird er uns doch auf mancherlei Weise Gnaden spenden, wenn anders wir uns zu seinem Empfange bereiten. Es ist hier wie bei der Annäherung an ein Feuer. Wenn dieses auch sehr mächtig ist, ihr aber fern davon bleibt und die Hände davor verberget, so werdet ihr euch nicht erwärmen können. Zwar wird man auch in der Ferne noch mehr Wärme fühlen, als wenn man sich an einem Orte befindet, wo gar kein Feuer ist; aber es ist doch etwas ganz anderes, wenn man sich dem Feuer nähert. Ist die Seele bereitet, ich will sagen, hat sie das Verlagen, daß ihre Kälte sie verlasse, und beschäftigt sie sich einmal mit dieser Übung, so wird sie mehrere Stunden lang davon warm bleiben.


  2. Anfangs, meine Schwestern, kann es sein, daß ihr euch nicht wohl bei dieser Übung fühlt; denn da der Teufel weiß, welch großer Schaden ihm daraus erwächst, so wird er euer Herz beengen und euch Beschwerde dabei fühlen lassen. Er wird euch vorstellen, ihr fändet mehr Andacht bei anderen Übungen als bei dieser. Aber unterlaßt sie deshalb nicht; denn auf diese Weise will der Herr euch prüfen, wie es mit euerer Liebe zu ihm steht! Erinnert euch, wie wenige Seelen es gibt, die ihm Gesellschaft leisten und in seinen Leiden nachfolgen! Duldet ein wenig für ihn! Er wird es euch lohnen. Denkt auch daran, wie viele es geben wird, die nicht bei ihm bleiben wollen und ihn auch noch unhöflich von sich weisen! Etwas aber müssen wir ertragen, damit er unser Verlangen, ihn zu schauen, erkennt. Da er alles erträgt und ferner ertragen will, um auch nur eine Seele zu finden, die ihn aufnimmt und in Liebe bei sich behält, so sei diese Seele die eurige! Fände er keine, so würde der ewige Vater mit Recht nimmer zulassen, daß er bei uns bleibe. Aber der Vater liebt seine Freunde so sehr und ist ein so gütiger Herr seiner Diener, daß er das Verlangen seines guten Sohnes ansieht und ihn an der Vollbringung eines so vortrefflichen Werkes nicht hindern will, bei dem dieser so vollkommen seine Liebe zu ihm zeigt.


  3. Heiliger Vater, der du bist in den Himmeln! Du konntest deinem Sohne das, was so sehr zu unserem Heile dient, offenbar nicht versagen und willst und genehmigst, daß er bei uns bleibe. Darum muß nun jemand für ihn das Wort ergreifen, wie ich schon anfangs gesagt habe; er selbst hat noch nie für sich gesprochen. Deshalb wollen wir dies tun. Es ist zwar eine Verwegenheit von uns, da wir so elend sind; aber im Vertrauen auf das Wort des Herrn, der uns zu bitten befohlen hat, und aus Gehorsam! gegen diesen Befehl laßt uns zum Vater flehen, daß seine Liebe zum Sohne eine so üble Behandlung an ihm nicht länger mehr dulde! (Ja, laßt uns zu ihm flehen) im Namen des guten Jesus, der den Sündern keine größere Wohltat erweisen konnte, als daß er bei ihnen bleiben wollte! Sein heiliger Sohn hat ja (in diesem Sakramente) ein so wirksames Mittel erfunden, durch das wir ihn (dem ewigen Vater) so oft als Opfer darbringen können. Laßt uns ihn bitten, daß diese kostbare Gabe das weitere Umsichgreifen eines so überaus großen Übels verhindere und den Verun- ehrungen von seiten dieser Lutheraner Einhalt gebiete, bei denen zuvor das Allerheiligste

    Sakrament sich befand, während jetzt die Kirchen zerstört, so viele Priester vertrieben oder getötet und der Sakramentsempfang beseitigt sind!


  4. Ach, was ist doch das, mein Herr und Gott! Mache entweder der Welt ein Ende oder hilf solch entsetzlichen Übeln ab! Denn selbst unter uns bösen Menschen kann kein Herz deren Anblick ertragen. O ewiger Vater, ich bitte dich, dulde doch solche Greuel nicht län- ger! Lösche, o Herr, diesen Brand! Wenn du willst, so kannst du es. Siehe doch, dein Sohn ist noch in der Welt! Die ihm schuldige Ehrfurcht erfordert es, daß so häßliche, abscheu- liche und schmutzige Dinge ein Ende nehmen. Seine Schönheit und Reinheit verlangen, daß hier dergleichen Dinge nicht geschehen. Erhöre uns, o Herr, nicht um unsertwillen; denn wir verdienen es nicht, sondern um deines Sohnes willen! Wir wagen es nicht, dich zu bitten, daß du ihn von uns wegnimmst; denn was würde aus uns werden? Ja, wenn noch etwas dich besänftigt, so ist es das kostbare Unterpfand, das wir hienieden besitzen. Aber irgendwie, o mein Herr, muß geholfen werden; also helfe Deine Majestät!


  5. O mein Gott, könnte ich dich doch mit Bitten recht bestürmen und hätte ich dir so getreu gedient, um eine so große Gnade als Lohn von dir begehren zu können, der du ja nichts Gutes unbelohnt läßt! Aber leider, o Herr, habe ich dir nicht gedient, und viel- leicht bin ich selbst die Ursache deines Zornes, sodaß um meiner Sünden willen so große Übel hereinbrechen. Was kann ich also tun, o mein Schöpfer, als dir das heiligste Brot darbringen und es dir, nachdem du es uns gegeben, wieder schenken und dich durch die Verdienste deines Sohnes um die gewünschte Gnade bitten! Denn auf vielfache Weise hat er es verdient, daß du sie mir gewährest. So gebiete denn, o Herr, ja, gebiete endlich Ru- he diesem Meere, damit das Schifflein deiner Kirche nicht immer von einem so tobenden Sturm umhergetrieben wird! Rette uns, o Herr, wir gehen sonst zugrunde!


 

Sechsunddreißigstes Hauptstück

Erklärung der Worte des Vaterunsers: Dimitte nobis debita nostra. (Vergib uns unsere Schulden!)


  1. Unser guter Meister weiß, daß uns durch diese himmlische Speise alles leicht wird, wenn wir es nicht durch eigene Schuld verhindern, und wir gar wohl erfüllen können, was wir dem Vater mit der Bitte, daß sein Wille an uns geschehe, versprochen haben; darum bittet er ihn jetzt, er möge uns verzeihen, weil auch wir es tun. Deshalb fährt er in dem Gebete, das er uns lehrt, mit den Worten fort: »Und vergib uns, o Herr, unsere Schulden, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern!«


  2. Beachten wir, meine Schwestern, daß er nicht sagt: Wie wir vergeben werden; denn wir sollen erkennen, daß dies von dem bereits geschehen sein müsse, der um eine so große

    Gabe wie die vorhergehende bittet und seinen Willen dem göttlichen schon hingegeben hat. Darum sagte der gute Jesus: Wie auch wir vergeben. Wer also zum Herrn von ganzem Herzen die Worte gesprochen hat: Fiat voluntas tua (Dein Wille geschehe!), der muß auch alles schon verziehen oder wenigstens den festen Vorsatz, zu verzeihen, gehabt haben.


  3. Da seht ihr, warum die Heiligen über Unbilden und Verfolgungen sich freuten, damit sie dem Herrn bei ihrem Bittgebet etwas darbringen konnten. Was soll aber eine so arme Sünderin tun wie ich, die so wenig zu verzeihen hat und der so viel verziehen werden muß? Beachten wir es wohl, meine Schwestern! Eine so große und wichtige Bitte wie die uns von unserem Herrn erwirkte Verzeihung unserer Schulden, die ein ewiges Feuer verdienten, wird uns von ihm gewährt, wenn wir ihm etwas so Geringfügiges wie die Verzeihung dar- bringen, die wir anderen angedeihen lassen! Aber auch von dieser Winzigkeit kann ich dir, o Herr, so wenig darbringen, daß du mir umsonst vergeben mußt; da reicht wohl deine Barmherzigkeit allein aus. Sei gepriesen dafür, daß du mich Armselige erträgst! Denn da ich so sehr alles Verdienstes bar bin, kann ich dem nicht nachkommen, was dein Sohn im Namen von uns allen spricht.


  4. Wie aber, o mein Herr, wenn es etwa andere meinesgleichen gibt, die das Wort dei- nes Sohnes noch nicht einmal verstanden haben? Sollte es solche geben, so bitte ich sie in deinem Namen, sie möchten es doch bedenken und auf Kleinigkeiten, die man Unbilden nennt, nicht achten; denn auf dergleichen Ehrenpunkte ein Gewicht legen, scheint mir nichts anderes zu sein, als Häuschen aus Strohhalmen zu bauen wie die Kinder. O Gott, wenn wir es doch, meine Schwestern, begreifen würden, was Ehre ist und worin der Ver- lust der Ehre besteht! Ich rede jetzt nicht von euch; denn es wäre schlimm, wenn ihr dies noch nicht einsähet. Nur von mir spreche ich, da es einmal eine Zeit gab, in der ich, blind der Meinung anderer folgend, mich der Ehre rühmte, ohne zu wissen, worin sie besteht. Ach, durch welche Dinge fand ich mich damals beleidigt, und wie schäme ich mich dessen jetzt! Ich gehörte zwar nicht zu jenen, die auf Ehrenpunkte viel achten; aber ich ließ doch die Hauptsache unbeachtet, da ich mich um jene Ehre, die etwas nützt, d. h. die der Seele ersprießlich ist, nicht kümmerte. O wie wahr hat doch der gesprochen, der gesagt hat, daß Ehre und Nutzen nicht beisammen sein können! Ich weiß zwar nicht, ob er es in diesem Sinne gesprochen; aber es ist buchstäblich wahr, weil der Nutzen der Seele und das, was die Welt Ehre nennt, nie miteinander vereint sein können. Wahrlich, man muß staunen, wie verkehrt die Welt ist. Gepriesen sei der Herr, der uns aus ihr herausgeführt hat!


  5. Aber seht, meine Schwestern, der böse Feind vergißt uns trotzdem nicht. Auch in den Klöstern erfindet er Ehrenpunkte und führt da wie in der Welt seine Gesetze ein, nach de- nen man in den Würden auf und absteigt. Da müssen die Gelehrten ihren Rang nach den Wissenschaften behaupten, die sie lehren. Ich verstehe das zwar nicht; aber wenn da einer

    Theologie gelesen hat, so darf er ja nicht herabsteigen, um Philosophie zu lesen; denn das ist ein Ehrenpunkt, daß er auf und nicht absteige. Er würde, wenn der Gehorsam ein Her- absteigen von ihm forderte, dies für eine Beleidigung halten; andere würden sich seiner annehmen und es als einen Schimpf bezeichnen, und auch der Teufel würde gleich mit sol- chen Gründen kommen, daß es scheint, der Ordensmann habe sogar das göttliche Gesetz auf seiner Seite. Nicht anders ist es bei uns Nonnen. Da darf eine, wenn sie einmal Priorin gewesen, zu keinem niedrigeren Amt mehr verwendet werden; da muß auf eine, die älter ist, mehr Rücksicht genommen werden als auf andere, und dies übersehen wir nicht; ja, manchmal halten wir es für verdienstlich, weil der Orden dies vorschreibt.


  6. Wahrlich, darüber könnte man lachen, wenn es nicht billiger zu beweinen wäre. Der Orden befiehlt doch nicht, daß man keine Demut übe. Er schreibt freilich eine Ordnung vor; jedoch in Sachen meiner eigenen Ehre brauche ich es nicht so genau zu nehmen, und um die Beobachtung dieser Vorschrift muß ich nicht so bekümmert sein wie um die Hal- tung anderer Vorschriften, die ich aber vielleicht nur unvollkommen erfülle. In der Beob- achtung dieses einen Punktes besteht nicht unsere ganze Vollkommenheit. Andere werden schon für mich darauf achten, wenn ich mich nicht selbst darum kümmere. Aber die ganze Sache ist die: Wir sind immer geneigt, höher zu steigen, wenn es auch auf diese Weise dem Himmel nicht zugeht; darum wollen wir nie herabsteigen. O Herr, o Herr! Bist du denn nicht unser Vorbild und Lehrer? Ja gewiß, du bist es. Worin aber bestand deine Ehre, o mein König? Du hast sie wahrlich dadurch nicht verloren, daß du erniedrigt wurdest bis zum Tode; nein, mein Herr, du hast sie dadurch für uns alle gewonnen.


  7. O meine Schwestern, bedenkt doch um Gottes willen, daß ihr irregeht, wenn ihr auf Ehrenpunkte etwas haltet! Denn dieser Pfad ist verfehlt von Anfang an? Gott verhüte, daß eine Seele dadurch zugrunde gehe, daß sie an diesen erbärmlichen Ehrenpunkten festhält, weil sie nicht erkennt, worin die wahre Ehre besteht! Aber ach, da meinen wir schon viel getan zu haben, wenn wir eine Kleinigkeit verzeihen, die weder eine Beleidigung noch ein Unrecht, ja gar nichts war; wie wenn wir Großes getan hätten, gehen wir hin zum Herrn und bitten ihn, er wolle uns verzeihen, weil auch wir verziehen haben. O mein Gott, laß uns doch einsehen, daß wir uns selbst nicht kennen und mit leeren Händen zu dir kommen! Verzeihe uns um deiner Barmherzigkeit willen! Denn da alles endlich ist, wir aber eine Strafe ohne Ende verdienen, so weiß ich wahrlich nicht, was wir dir, o Herr, Würdiges vorstellen könnten, weswegen du uns eine so große Gnade (wie die Verzeihung unserer Sünden) gewähren mögest, wenn nicht den, der für uns darum bittet.


  8. Wie hoch muß es aber von dem Herrn angeschlagen werden, daß wir einander lieben! Der gute Jesus hätte ja seinem Vater manches vorstellen und etwa sagen können: »Herr, verzeihe uns, denn wir üben strenge Buße! Wir verrichten viele mündliche Gebete; wir

    fasten; wir haben deinetwegen alles verlassen; wir lieben dich innig und wollen gern unser Leben für dich lassen usw.« Aber er spricht bloß: »Weil auch wir vergeben.« Er weiß, wie sehr wir diese erbärmliche Ehre lieben und wie nichts schwerer von uns zu erlangen und nichts seinem Vater angenehmer ist, als anderen verzeihen; vielleicht spricht er deshalb so und bietet dieses Verzeihen in unserem Namen seinem Vater dar.


  9. Beachtet wohl, meine Schwestern, daß unser göttlicher Meister, wie schon gesagt, mit den Worten: »Wie wir vergeben« etwas bezeichnet was bereits geschehen ist! Merkt euch besonders, was ich hier noch sagen will! Wenn eine Seele im Gebete wirklich von Gott die Gnaden empfängt, die er in der schon erwähnten Beschauung zu erteilen pflegt, so wird sie darnach fest entschlossen sein, jedes auch noch so schwere, ihr widerfahrene Unrecht zu verzeihen und diesen ihren Entschluß bei gegebener Gelegenheit auch auszuführen. Ist es nicht der Fall, (dann halte sie von ihrem Gebete nicht viel)! Ich rede hier nicht von bloßen Kleinigkeiten, die man Beleidigungen nennt; denn diese berühren eine Seele, die Gott zu einem so erhabenen Gebete erhebt, gar nicht. Einer solchen Seele ist es gleichgültig, ob man sie achtet oder nicht; oder, besser gesagt, es ist ihr eine größere Pein, wenn sie geehrt, als wenn sie verachtet wird, und Leiden freuen sie mehr als die Ruhe. Denn eine Seele, der der Herr in Wahrheit sein Reich hienieden verliehen hat, will kein anderes in dieser Welt. Dies erkennt sie als den wahren Weg, der sie zur höchsten Herrschaft führt, und aus der Erfahrung weiß sie schon, wieviel sie gewinnt und wie weit sie voranschreitet, wenn sie um Gottes willen leidet. Wunderselten aber verleiht Gott jene großen Gnadengeschenke einer Seele, die nicht schon große Leiden gerne für ihn erduldet hat; denn die Leiden der Be- schaulichen sind, wie ich schon anderswo in diesem Buche gesagt habe, groß, und darum wählt der Herr erprobte Seelen dazu aus.


  10. Solche Seelen, meine Schwestern, halten sich bei etwas Vergänglichem nicht mehr auf; denn sie haben bereits erkannt, was alles Irdische wert ist. Wenn ihnen eine schwere Unbild, die ihnen zugefügt wird, oder ein anderes schweres Leid im ersten Augenblick auch Schmerz verursacht, so kommt ihnen doch, nachdem sie diesen kaum empfunden, auf der anderen Seite die Vernunft zu Hilfe, die die Fahne für sich erhebt und ihn fast ganz verscheucht. So groß ist nun ihre Freude darüber, daß der Herr ihnen Gelegenheit gegeben, bei Seiner Majestät an Gnaden und Gunstbezeigungen an einem Tage mehr zu gewinnen, als sie durch selbstgewählte Leiden in zehn Jahren hätten gewinnen können. Dies ist meines Wissens bei beschaulichen Seelen etwas ganz Gewöhnliches. Ich habe schon mit vielen von ihnen verkehrt und weiß gewiß, daß es so ist. Wie andere Gold und Edelsteine, so schätzen und wünschen sich diese die Leiden, weil sie wissen, daß sie dadurch reich werden.


  11. Sie sind weit entfernt, irgendwie auf sich selbst etwas zu halten, und es ist ihnen lieb, wenn ihre Sünden bekannt werden; ja, sie selbst offenbaren diese gerne, wenn sie sehen,

    daß andere sie hochschätzen. Ebenso verhalten sie sich in betreff ihrer vornehmen Ab- kunft; denn sie wissen, daß diese nichts nützt zur Gewinnung jenes Reiches, das kein Ende nimmt. Nur dann würden sie diese hervorheben, wenn dies zum größeren Dienste Got- tes notwendig wäre. Sind solche Seelen aber von niederer Herkunft, so tut es ihnen leid, wenn man sie für mehr hält, als sie sind; und es kommt sie nicht schwer an, sie empfinden sogar Freude, andere zu enttäuschen. Der Grund von dem Gesagten mag wohl der sein, daß Seelen, denen Gott die Gnade einer so tiefen Demut und einer so großen Liebe zu ihm verliehen hat, in Dingen, die zu seinem größeren Dienste gereichen, schon ganz auf sich vergessen haben; sie können auch von anderen nicht glauben, daß sie etwas für eine Beleidigung halten oder schmerzlich berührt werden, wenn man sie beleidigt.


  12. Die zuletzt genannten Wirkungen zeigen sich bei Personen, die schon eine höhere Stufe der Vollkommenheit erreicht haben und denen der Herr als etwas ganz Gewöhnli- ches die Gnade erweist, sie durch vollkomme Beschauung an sich zu ziehen. Ersteres aber,

    d. i. die erwähnte Entschlossenheit zur Ertragung von Unbilden und die Gnade zu deren wirklichen Hinnahme, auch wenn sie schwerfällt, erlangt jemand sehr bald, der vom Herrn mit dem Gebete der Vereinigung begnadigt wird. Gewahrt er diese Wirkungen nicht in sich und geht er hierin nicht sehr gestärkt aus dem Gebete hervor, so darf er glauben, daß das, was er für Gnade Gottes hielt, nur eine Täuschung des Teufels und ein von ihm verursach- tes Ergötzen war, wodurch er ihn verleiten wollte, sich der Ehre würdiger zu schätzen. Es kann jedoch geschehen, daß eine Seele anfangs, wenn der Herr ihr diese Gnaden zu erwei- sen beginnt, nicht gleich eine solche Stärke fühlt; fährt er aber mit der Mitteilung seiner Gnaden fort, so wird er sie in kurzer Zeit, wenn nicht zu anderen Tugenden, so doch zum Verzeihen stark machen.


  13. Ich kann nicht glauben, daß eine Seele, die der Barmherzigkeit selbst so nahe kommt und da erkennt, was sie ist und wieviel ihr der Herr schon verziehen hat, ihren Beleidigern nicht ganz leicht verzeihe und nicht in Liebe ihnen zugetan bleibe. Hat sie ja doch die Gnade und die besondere Auszeichnung vor Augen, die Gott ihr verliehen und worin sie ein Zeichen seiner großen Liebe zu ihr erblickt; darum freut sie sich, daß ihr Gelegenheit gegeben ist, ihm in etwa ihre Gegenliebe zu beweisen.


  14. Ich sage wiederholt: Es sind mir viele Personen bekannt, denen der Herr diese Gna- de erwiesen, sie zu übernatürlichen Dingen zu erheben, da er ihnen das Gebet der Ver- einigung oder die vollkommene Beschauung verliehen hat. Obwohl ich bei ihnen andere Gebrechen und Unvollkommenheiten fand, so bemerkte ich doch noch bei keiner diesen Fehler, daß sie ihren Beleidigern nicht verzieh; und, wie gesagt, ich glaube auch nicht, daß dieser da vorkommen werde, wo die Gnaden wirklich von Gott sind. Wer also merkt, daß solche Gnaden in ihm zunehmen, der achte wohl darauf, ob auch die genannten Wirkun-

gen in ihm zunehmen! Und sieht er keine Zunahme, so fürchte er für sich sehr! Er glaube dann, wie gesagt, ja nicht, daß seine Wonnegefühle von Gott kommen! Denn Gott berei- chert immer die Seele, die er heimsucht. Dies ist gewiß; wenn auch die von Gott verliehene Gnade und Wonne schnell vorübergeht, so erkennt man doch die Heimsuchung des Herrn allmählich aus dem Gewinne, der der Seele davon zurückbleibt. Der gute Jesus weiß um diesen Gewinn gar wohl, und darum sagt er mit Bestimmtheit zu seinem heiligen Vater:

»Wie wir vergeben unseren Schuldigern.«


 

Siebenunddreißigstes Hauptstück

Vortrefflichkeit des Vaterunsers und mannigfacher Trost, den wir in diesem Gebete finden.


  1. In diesem evangelischen Gebete ist eine so erhabene Vollkommenheit enthalten, daß wir wohl sehen, welch ein vortrefflicher Meister es verfaßt hat. Könnten wir doch den Herrn genug dafür preisen! Eine jede von uns, meine Töchter, kann es für ihre besonderen Verhältnisse in Anwendung bringen. Ich muß staunen, wie in so wenigen Worten die gan- ze Beschauung und alle Vollkommenheit inbegriffen ist, so daß es scheint, wir bedürften keines anderen Buches und brauchten nur dieses Gebet zu studieren. Bisher hat uns der Herr jede Art des Gebetes, auch die hohe Beschauung nicht ausgeschlossen, gelehrt, indem er uns von der ersten Stufe des innerlichen Gebetes an weiter zum Gebete der Ruhe und endlich zu dem der Vereinigung führte. Verstände ich es, dies alles zu erklären, so könnte ich, auf diese wahre Grundlage mich stützend, ein umfangreiches Buch über das Gebet schreiben. Wie ihr gesehen, beginnt der Herr uns nunmehr die Wirkungen zu zeigen, die in der Seele zurückbleiben, wenn die ihr erwiesenen Gnaden von ihm sind.


  2. Ich habe darüber nachgedacht, warum der Herr sich über so hohe und dunkle Dinge nicht näher erklärt habe, so daß wir alle sie verstehen könnten. Da schien mir, der Herr habe dieses Gebet, das für alle ohne Unterschied dienen sollte, deshalb so dunkel gelassen, daß ein jeder in der Meinung, er lege es im rechten Sinne aus, nach seinen Bedürfnissen bitten und Trost darin finden möge. Es können also die Beschaulichen, die nichts Irdisches mehr verlangen, und jene, die sich schon ganz Gott hingegeben haben, in diesem Gebete um jene himmlischen Gnaden bitten, die durch Gottes große Güte auf Erden verliehen werden. Die Weltleute aber können ebenfalls in diesem Gebete auch um ihr Brot zu ihrem und ihrer Angehörigen Lebensunterhalt sowie nach ihren Bedürfnissen um andere Dinge bitten; denn sie sollen billigerweise nach ihrem Stande leben, und solch ein Bitten ist für sie ganz recht und billig. Sie dürfen jedoch nicht außer acht lassen, daß die Hingabe unseres Willens an Gott und die Verzeihung zwei Punkte sind, die alle zu erfüllen haben. Gleich- wohl gibt es auch hier, wie gesagt, ein Mehr und ein Weniger. Die Vollkommenen geben ihren Willen vollkommen hin und verzeihen auch in so vollkommener Weise, wie ich be-

    reits gesagt habe. Wir, meine Schwestern, wollen tun, was in unseren Kräften steht, da der Herr alles annimmt. Denn es scheint, der Sohn gehe in diesem Gebet in unserem Namen mit seinem ewigen Vater eine Art von Vertrag ein und sage gleichsam zu ihm: »Herr, tue dieses, und meine Brüder werden jenes tun!« Gott aber wird es auf seiner Seite gewiß nicht fehlen lassen. O er ist ein sehr guter Zahler und vergilt ohne Maß.


  3. Schon durch ein einmaliges Sprechen dieses Gebetes können wir erlangen, daß der Herr uns reich macht, wenn er sieht, daß keine Falschheit in unseren Worten ist und wir tun wollen, was wir sprechen. Er liebt es nämlich gar sehr, daß wir uns im Verkehr mit ihm der Wahrheit befleißigen; sieht er, daß wir aufrichtig und offen gegen ihn sind und nicht bloß das eine sagen und mit dem anderen zurückhalten, so gibt er immer mehr, als wir von ihm begehren. Unser guter Meister weiß dies gar wohl sowie auch, daß jene, die in vollkommener Weise bitten, mittels der ihnen vom Vater erteilten Gnaden auf eine hohe Stufe erhoben werden. Er kennt aber auch die Gefahren jener, die schon vollkommen sind oder auf dem Wege der Vollkommenheit wandeln und die sozusagen nichts mehr fürchten und zu fürchten haben, weil die Welt schon unter ihren Füßen liegt; der Herr der Welt ist mit ihnen zufrieden, wie sie mit größter Zuversicht aus den Wirkungen schließen können, die er in ihrer Seele hervorbringt. Es sieht der göttliche Meister, wie sie, in so süße Erqui- ckungen vertieft, gar nicht mehr daran denken möchten, daß es noch eine Welt gibt und sie noch Widersacher haben.


  4. O ewige Weisheit! O ausgezeichneter Lehrer! Welch ein großes Glück ist es, meine Töchter, einen so weisen und besorgten Meister zu haben, der den Gefahren zuvorkommt! Darin ist alles Gute enthalten, das sich eine dem geistlichen Leben ergebene Seele hienieden wünschen kann; denn da hat sie große Sicherheit. Ich kann es gar nicht aussprechen, wieviel daran gelegen ist. Deshalb hält er es für notwendig, solche Seelen aufzuwecken und zu erinnern, daß sie noch Feinde haben, daß Sorglosigkeit für sie noch gefährlicher ist als für andere, daß sie endlich noch weit mehr Hilfe des ewigen Vaters nötig haben, weil sie von einer größeren Höhe stürzen würden. Damit sie nun nicht unvermerkt getäuscht werden, so fügt er seinen bisherigen Bitten noch die folgenden hinzu, die uns allen, solange wir in dieser Verbannung leben, höchst notwendig sind, die Bitten nämlich: »Und führe uns nicht in Versuchung, o Herr, sondern erlöse uns von dem Übel!«


 

Achtunddreißigstes Hauptstück

Unser großes Bedürfnis, den ewigen Vater zu bitten, daß er uns gewähre, was wir mit den Worten begehren: Et ne nos inducas in tentationem; sed libera nos a malo. (Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel.) Erklärung einiger Versuchungen. Dieses Hauptstück ist zu beachten.

  1. Wichtige Dinge sind es, um die wir, meine Schwestern, hier bitten und die wir dar- um erwägen und verstehen müssen. Ich halte es für ganz gewiß, daß jene, die schon zur Vollkommenheit gelangt sind, den Herrn nicht um Befreiung von Leiden, Versuchungen, Verfolgungen und Kämpfen bitten. Denn dies ist wieder eine Wirkung ihrer Beschauung sowie ein deutliches und sehr zuverlässiges Zeichen, daß die Gnaden, die sie empfangen, vom Geiste des Herrn herrühren und keine Täuschung sind. Solche Seelen wünschen, be- gehren und lieben vielmehr diese Widerwärtigkeiten, wie ich soeben erwähnt habe. Sie sind den Soldaten gleich, die mehr Freude am Krieg finden als am Frieden, weil sie dort mehr zu gewinnen hoffen. Wohl verdienen sie sich auch zur Zeit des Friedens ihren Sold; aber sie sehen, daß sie es dabei nicht weit bringen können.


  2. Glaubt es mir, meine Schwestern, die Soldaten Christi, unter denen ich die beschauli- chen Seelen und solche verstehe, die dem (innerlichen) Gebete ergeben sind, können die Stunde des Kampfes kaum erwarten! Offene Feinde fürchten sie allezeit wenig. Sie ken- nen sie schon und wissen, daß diese Feinde nichts vermögen gegen die Kraft, die ihnen der Herr verleiht, sondern immer unterliegen, während sie mit großem Gewinn aus dem Kampfe hervorgehen werden. Darum weichen sie auch nie vor ihnen zurück. Die Feinde, die sie fürchten und mit Recht fürchten und von denen erlöst zu werden sie den Herrn allzeit bitten, sind gewisse verräterische Feinde, böse Geister, die sich in Engel des Lichtes umgestalten. In dieser Verhüllung schleichen sie heran und werden nicht eher erkannt, als bis sie großen Schaden in der Seele angerichtet, die sittliche Kraft in uns gebrochen und die Tugenden erstickt haben und wir unvermerkt in die Versuchung selbst geraten sind. Um Erlösung von diesen Feinden laßt auch uns, meine Töchter, im Vaterunser recht oft zum Herrn flehen! Laßt uns ihn bitten, er möge nicht zulassen, daß sie uns durch ihre Täuschung in Versuchung führen! Ja, möge er uns das Gift zeigen, das sie uns einträufeln wollen, und verhüten, daß sie uns das Licht und die Wahrheit verdecken!


  3. O welch wichtigen Grund hat unser Meister, uns diese Bitte zu lehren und sie selbst für uns an seinen Vater zu stellen! Seht nur, meine Töchter, wie vielfach uns diese Feinde schaden! Ihr dürft nicht meinen, der einzige Schaden, den sie uns zufügen, bestehe dar- in, daß sie uns zu dem Glauben verleiten, die Genüsse und Ergötzungen, womit sie uns zu täuschen vermögen, seien von Gott. Dies scheint mir in gewisser Beziehung noch der geringste Schaden zu sein, den wir durch sie erleiden können. Dadurch könnten sie sogar bei manchen Seelen bewirken, daß sie um so schneller voranschreiten. Denn angelockt von der Süßigkeit, die sie verkosten, bringen sie nun mehr Zeit im Gebete zu. Nicht ah- nend, daß der böse Feind es ist, der ihnen solche Wonnen bereitet, halten sie sich dieser für unwürdig; sie können Gott nicht genug dafür danken und fühlen sich um so mehr ver- pflichtet, ihm zu dienen. In der Meinung, diese Wonnen kämen ihnen von der Hand des Herrn zu, sind sie auch bemüht, sich zum Empfang weiterer Gnaden vorzubereiten.

  4. Bestrebt euch, meine Töchter, allezeit demütig zu sein! Habt stets vor Augen, daß ihr solcher Gnaden nicht würdig seid, und suchet sie nicht! Dadurch wird meines Erachtens der Teufel viele Seelen auf eben dem Wege, auf dem er sie ins Verderben zu stürzen meint, verlieren; der Herr aber wird das Böse, das dieser Feind uns zufügen wollte, zu unserem Besten wenden. Wenn wir vor Seiner Majestät im Gebete weilen, sieht sie unsere Absicht an, die ja keine andere ist, als ihr dadurch zu dienen und wohlzugefallen; und der Herr ist getreu. Indessen ist es doch immerhin gut, achtzuhaben, daß die Demut keinen Schaden leide und sich nicht irgendwie eitle Ruhmsucht einschleiche. Bittet, meine Töchter, den Herrn, daß er euch davor bewahre, und ihr braucht dann nicht zu fürchten, Seine Majestät werde zulassen, daß ihr mehr mit anderen als mit ihren Tröstungen heimgesucht werdet!


  5. Großen Schaden kann uns der Teufel unvermerkt dadurch zufügen, daß er uns glau- ben macht, wir hätten Tugenden, die wir in Wahrheit nicht besitzen; denn das ist eine Pest. Bei den Süßigkeiten und Tröstungen, womit der böse Feind uns täuscht, glauben wir nur vom Herrn etwas zu empfangen, und wir halten uns deshalb um so mehr für verpflich- tet, ihm zu dienen. Hier aber meinen wir dem Herrn etwas zu geben und ihm zu dienen, und glauben, daß er deshalb verpflichtet sei, uns zu belohnen; aber eben dadurch, daß der Teufel uns zu diesem Wahn verleitet, schadet er uns allmählich viel. So wird einerseits die Demut geschwächt, und andererseits vernachlässigen wir es, uns jene Tugend zu erwerben, die wir schon errungen zu haben meinen. Welches Mittel, meine Schwestern, gibt es gegen eine solche Täuschung? Das beste, das ich kenne, ist das Gebet und demütiges Flehen zum Vater, daß er uns nicht in Versuchung geraten lasse.


  6. Ich will euch aber noch ein anderes Mittel sagen. Wenn es uns scheint, der Herr ha- be uns schon eine Tugend verliehen, so müssen wir wohl bedenken, daß sie ein von ihm empfangenes Gut ist, das er uns wieder nehmen kann, wie es in der Tat nicht ohne Got- tes große Vorsehung oftmals auch geschieht. Habt ihr, meine Schwestern, dies noch nicht an euch erfahren? Ich wohl. Manchmal meine ich ganz losgeschält zu sein von allem; und kommt es zur Probe, so bin ich es auch. Aber ein anderes Mal finde ich mich so einge- nommen, und zwar von Dingen, deren ich tags zuvor vielleicht gespottet hätte, daß ich fast mich selbst nicht mehr kenne. Zuweilen kommt es mir vor, als hätte ich großen Mut und als gebe es im Dienste des Herrn nichts, wovor ich zurückschrecken würde; und so habe ich es auch in der Tat öfters an mir gefunden. Da kommt aber wieder ein anderer Tag, an dem ich nicht einmal so viel Mut in mir fühle, um Gottes Willen auch nur eine Ameise zu töten, wenn etwas wider meinen Willen wäre. So scheint mir manchmal auch, ich würde eine üble Nachrede oder Verleumdung nicht beachten, vielmehr mich darüber freuen; dies erweist sich öfters als Wahrheit. Aber andere Tage kommen, an denen mich schon ein einziges Wort betrübt und mir alles so zuwider zu sein scheint, daß ich aus der Welt laufen möchte. Doch nicht ich allein bin es, die solche Erfahrungen gemacht hat; ich

    habe das gleiche auch bei vielen anderen Personen gefunden, die besser sind als ich, und weiß also, daß es wirklich so geht.


  7. Wer wird aber dann von sich sagen können, er besitze eine Tugend oder er sei reich, wenn er sich zur Zeit, da er dieser Tugend am meisten bedarf, so arm darin findet? Über- schätzen wir uns also nicht, meine Schwestern, sondern halten wir uns immer für arm und machen wir keine Schulden, zu deren Bezahlung wir nichts haben! Denn der Schatz muß uns anderswoher kommen, und wir wissen nicht, wie lang uns der Herr in dem Gefängnis unseres Elendes lassen will, ohne uns etwas zu geben. Wenn aber andere uns Gunst und Ehre erweisen, weil sie uns für tugendhaft halten, so sind sie und wir betrogen; denn all unsere Tugend ist, wie gesagt, nur ein geliehenes Gut. Zwar wird uns der Herr, wenn wir ihm in Demut dienen, am Ende in unseren Nöten beistehen; aber wenn wir nicht in al- ler Wahrheit demütig sind, so wird uns der Herr sozusagen bei jedem Schritte straucheln lassen. Dies wäre noch eine sehr große Gnade, die er uns erweisen würde, damit wir demü- tig werden und in Wahrheit erkennen, daß wir nichts besitzen, was wir nicht empfangen haben.


  8. Nun beachtet noch einen Rat! Der böse Feind redet uns ein, wir hätten eine Tugend,

    z. B. die Geduld, weil wir uns diese fest vornehmen und sehr oft Akte des Verlangens er- wecken, viel für Gott zu leiden. Wir meinen auch, wir würden die Leiden, wenn solche über uns kämen, wirklich ertragen, und so sind wir ganz zufrieden mit uns, weil auch der Teufel dazu beiträgt, daß wir dies glauben. Aber ich warne euch: Haltet nichts auf solche Tugenden, sondern denkt, sie seien euch nur dem Namen nach bekannt! Erst dann, wenn ihr sie schon durch die Tat erprobt habt, könnt ihr glauben, daß der Herr sie euch verliehen habe. Denn es kann sein, daß bezüglich der Tugend der Geduld schon ein einziges unliebes Wort, das man euch sagt, diese überwindet. Habt ihr es aber oft ertragen, dann preiset Gott dafür, daß er euch diese Tugend zu lehren beginnt, und ermutigt euch zum Leiden! Denn wenn er euch Geduld verleiht, gibt er euch zu verstehen, daß er euch veranlassen will, ihm auf solche Weise diese Tugend zu vergelten. Ja, er ist es, der sie euch gibt, und ihr sollt sie, wie gesagt, nicht anders betrachten als ein euch anvertrautes Gut.


  9. Auch damit versucht uns der böse Feind, daß er uns die Meinung beibringt, wir seien ganz arm im Geiste. Da sagen wir immer, wir hätten kein Verlangen nach den Dingen dieser Welt und achteten nicht darauf; es ist dies eine Gewohnheit, die viel dazu beiträgt, daß wir dies wirklich glauben. Geschieht es aber, daß man uns etwas gibt, so ist es mit unserer Armut im Geiste gleich zu Ende; wir nehmen es recht gern an, obwohl uns keine Not dazu drängt.

  10. Um also in betreff der genannten Tugenden als auch anderer die Versuchung des bö- sen Feindes zu erkennen, ist es gut, aufmerksam zu sein auf sich selbst. Denn wenn uns der Herr eine dieser Tugenden wahrhaft verliehen hat, so zieht diese alle anderen nach sich. Dies ist eine ganz bekannte Sache. Aber nochmals rate ich euch: Wenn ihr auch wirk- lich eine Tugend zu besitzen meint, so fürchtet doch, ihr möchtet euch täuschen! Denn der wahrhaft Demütige zweifelt immer an seinen eigenen Tugenden, während er für gewöhn- lich die Tugenden, die er an seinem Nächsten wahrnimmt, für gewisser und wertvoller hält!


 

Neununddreißigstes Hauptstück

Fortsetzung desselben Gegenstandes. Belehrungen über einige Versuchungen verschiede- ner Art und Mittel dagegen.


  1. Hütet euch ferner, meine Töchter, vor einer gewissen Art von Demut, womit der böse Feind uns versucht und uns große Unruhe wegen der Schwere unserer Sünden einflößt! Damit pflegt er manche Seelen in verschiedener Weise zu quälen, so daß sie im Gefüh- le ihrer Unwürdigkeit, die er ihnen vorstellt, sogar der Kommunion und der besonderen Übungen des innerlichen Gebetes sich enthalten. Nahm sie sich auch dem Empfang des Allerheiligsten Sakramentes, so bringen sie die ganze Zeit, in der sie von Gott Gnaden emp- fangen sollten, mit ängstlichem Nachgrübeln darüber zu, ob sie gut vorbereitet waren oder nicht. Ja, manchmal geht ihre Unruhe so weit, daß sie meinen, Gott habe sie ihrer Sünden wegen verlassen; sie zweifeln fast an seiner Barmherzigkeit. In allem, was sie tun, so gut es auch sein mag, fürchten sie Gefahr, und alles scheint ihnen vergebens, was sie im Dienste Gottes unternehmen. Sie sind so verzagt, daß sie die Arme sinken lassen und nichts Gutes mehr tun, weil sie das, was an anderen gut ist, an sich für böse halten.


  2. Beachtet wohl, meine Töchter, was ich euch hierüber sagen will! Es mag manchmal wirklich Demut und Tugend sein, wenn ihr euch für so schlecht haltet, aber es ist doch zu- weilen die gefährlichste Versuchung. Ich selbst habe diese Versuchung erfahren und kenne sie darum gut. Die wahre Demut, so groß sie auch sein mag, beunruhigt, verwirrt und stört die Seele nicht, sondern bringt ihr Frieden, Trost und Ruhe. Wenn auch die Seele beim An- blick ihrer Sündhaftigkeit klar erkennt, daß sie die Hölle verdient habe; wenn sie auch ihrer Sünden wegen sich betrübt und meint, daß alle mit Recht sie verabscheuen müßten; und wenn sie auch kaum wagt, um Barmherzigkeit zu flehen: so ist doch ihr Schmerz, wenn wahre Demut ihn erzeugt, mit einer solchen Süßigkeit und Wonne verbunden, daß sie oh- ne ihn gar nicht sein möchte. Ein solcher Schmerz beunruhigt und beengt die Seele nicht, sondern erweitert sie und macht sie fähig, Gott mehr zu dienen. Jene andere Pein aber verwirrt alles, stört alles und regt die ganze Seele auf; sie ist eine große Qual. Ich glaube,

    der böse Feind geht hier darauf aus, uns einerseits zu der Meinung zu verleiten, wir wären demütig, und andererseits uns das Vertrauen auf Gott zu benehmen, wenn er könnte.


  3. In einem solchen Zustande wendet, so viel es euch nur möglich ist, die Gedanken von euerer Armseligkeit ab und heftet sie auf Gottes Barmherzigkeit, auf die Größe seiner Liebe zu uns und auf die Leiden, die er für uns erduldet hat! Freilich werdet ihr auch das nicht vermögen, wenn der Teufel diese Versuchung erregt; denn er wird euere Gedanken nicht zur Ruhe kommen lassen und nicht gestatten, sie auf etwas anderes zu richten als auf das, was euch noch mehr quält; aber es ist schon viel damit gewonnen, wenn ihr die Versuchung nur erkennt.


  4. So versucht uns der böse Feind auch dadurch, daß er uns zu übermäßigen Bußübun- gen antreibt, damit wir glauben sollen, wir wären bußfertiger als andere und täten etwas Großes. Wenn ihr da solche Antriebe dem Beichtvater oder der Oberin verheimlicht, oder ihrem Befehle, dergleichen Bußübungen zu unterlassen, nicht gehorcht, so sind sie offen- bar nichts als Versuchungen. Bemüht euch darum, zu gehorchen, so hart es euch auch ankommen mag! Denn die größte Vollkommenheit besteht im Gehorsam.


  5. Ich erwähne noch eine andere, sehr gefährliche Versuchung, mit der der Teufel sich uns naht. Diese besteht in einer gewissen Sicherheit, die uns glauben macht, wir würden in keiner Weise mehr zu den früheren Sünden und den Freuden der Welt zurückkehren, weil wir schon erfahren haben und wissen, wie vergänglich alles Irdische ist und wie sehr die weltlichen Freuden von der Freude an göttlichen Dingen übertroffen werden. Kommt diese Versuchung am Anfange der Bekehrung vor, so ist sie sehr schädlich; bei solcher Sicherheit macht man sich nichts daraus, sich wieder in die Gelegenheiten zur Sünde zu wagen, und fällt so aufs neue. Gott gebe nur, daß der Rückfall nicht noch weit schlimmer sei als der erste Fall! Sieht der Teufel, daß eine Seele ihm schaden und anderen nützen könnte, so bietet er all seine Macht auf, damit sie nicht wieder aufstehe. Darum gebt euch, mag der Herr euch noch so viele Tröstungen und Unterpfänder seiner Liebe verleihen, niemals einer so großen Sicherheit hin, daß ihr die Möglichkeit eines Rückfalls nicht mehr fürchtet und euch vor den Gelegenheiten nicht hütet!


  6. Bemüht euch sehr, diese Gnaden und Tröstungen mit solchen Personen zu bespre- chen, die euch aufklären können, und verheimlicht ihnen nichts! Auch darauf achtet, daß ihr euch am Anfang und am Schluß des Gebetes immer mit der Erkenntnis euerer selbst beschäftigt, so erhaben auch die Beschauung sein mag, in die der Herr euch einführt! Üb- rigens werdet ihr dies, wenn euer Gebet wirklich von Gott ist, auch ohne diesen Rat und ohne absichtlich zu wollen, noch öfter tun; denn ein solches Gebet hat die Demut im Ge- folge und läßt allzeit mehr Licht in der Seele zurück, wodurch wir erkennen, wie wenig wir

    sind.


  7. Ich will mich bei solchen Belehrungen nicht länger mehr aufhalten, da es viele Bücher gibt, in denen ihr sie finden werdet. Was ich hier geschrieben, ist meine eigene Erfahrung, bei der ich manchmal sehr bedrängt war; deshalb wollte ich euch guten Rat erteilen. Doch vermögen alle Belehrungen, die man euch geben kann, nie eine volle Sicherheit zu gewäh- ren.


  8. Was bleibt uns nun übrig, als daß wir zu dir, ewiger Vater, unsere Zuflucht nehmen und dich flehentlich bitten, du wollest nicht zulassen, daß so versteckte Feinde uns in Ver- suchung führen? Mögen immerhin offene Versuchungen über uns kommen; von diesen werden wir uns mit deiner Gnade leichter befreien. Aber diese verräterischen Anschläge

    — wer, o mein Gott, kann sie erkennen? Unablässig müssen wir gegen sie deine Hilfe anru- fen. Zeige uns doch, o Herr, ein Mittel, wodurch wir uns erkennen und sicher sein können! Du weißt es ja, daß ohnehin nicht viele den Weg des Gebetes wandeln; und müssen sie mit so vielfältiges Furcht ihn gehen, so wird ihre Zahl noch eine weit kleinere werden.


  9. Sonderbar! Es ist, als wären jene, die den Weg des Gebetes nicht wandeln, von den Ver- suchungen des Teufels frei. Alle staunen mehr darüber, wenn einer, der schon weiter in der Vollkommenheit vorangeschritten ist, vom bösen Feinde getäuscht wird, als über Hundert- tausende andere, die in offenbaren Täuschungen und Sünden leben; man braucht da gar nicht zu untersuchen, ob ihr Zustand ein guter oder ein böser sei, weil man schon von wei- tem erkennen kann, daß Satan es ist, der sie täuscht. Aber die Menschen haben wirklich recht, da unter denen, die das Vaterunser in der angegebenen Weise beten, der böse Feind so wenige täuscht, daß man bei wirklich vorhandener Täuschung darüber staunt wie über eine neue, ungewohnte Sache. Denn es ist den Sterblichen ganz natürlich, leicht über das hinwegzugeben, was sie täglich sehen, und in großes Staunen über das zu geraten, was nur selten oder fast niemals vorkommt. Auch die bösen Geister selbst tragen zu solchem Stau- nen bei, weil es ihnen gut zustatten kommt; denn durch den Fall eines einzigen, der nach Vollkommenheit strebt, stürzen sie viele ins Verderben.


 

Vierzigstes Hauptstück

Wir werden durch so viele Versuchungen sicher hindurchgehen, wenn wir uns befleißigen, immer in der Liebe und Furcht Gottes zu wandeln.


  1. So lehre uns denn, du unser guter Meister, ein Mittel, durch das wir in einem so ge- fährlichen Kampfe ohne allzu große Befugnis leben können! Das Mittel, meine Töchter, das wir haben können und das der Herr uns gegeben hat, ist Liebe und Furcht. Die Liebe

    wird uns antreiben, unsere Schritte zu beschleunigen; die Furcht aber wird bewirken, daß wir aufschauen, wohin wir unsere Füße setzen, um auf einem Wege nicht zu fallen, auf dem es so viele Anlässe zum Straucheln gibt. Denn Wanderer sind wir alle, solange wir hienieden leben. Durch dieses Mittel sind wir vor Täuschung sicher.


  2. Aber ihr werdet mich da fragen: Woran sollen wir erkennen, ob wir diese zwei so großen, ja wirklich großen Tugenden besitzen? Gewiß, ihr fragt nicht ohne Grund so; denn ein ganz sicheres und bestimmtes Zeichen kann es schon deshalb nicht geben, weil wir die Gewißheit hätten, im Stande der Gnade zu sein, wenn wir versichert wären, die Liebe zu haben. Dennoch, meine Schwestern, sind diese beiden Tugenden nicht so verborgen, daß sie nicht aus gewissen Zeichen auch von einem Blinden erkannt würden. Und wolltet ihr sie auch nicht erkennen, so machen sie sich doch sehr laut vernehmbar. Sehet, da nur wenige diese Tugenden vollkommen besitzen, so offenbaren sie sich um so deutlicher, auch wenn sie selbst ihre Namen nicht nennen. Liebe und Furcht Gottes sind zwei feste Burgen, von denen aus man die Welt und die bösen Geister bekämpft.


  3. Jene, die Gott wahrhaft lieben, lieben alles Gute, wollen alles Gute, fördern alles Gute, loben alles Gute, gesellen sich allzeit zu den Guten, helfen ihnen und verteidigen sie; sie lieben nur die Wahrheit und was wahrhaft liebenswürdig ist. Oder glaubt ihr, solche Seelen, die Gott in Wahrheit lieben, könnten noch die Eitelkeiten, die Reichtümer, die Freuden, die Ehren der Welt lieben, oder es sei Streit oder Neid unter ihnen? Nichts von alledem werdet ihr bei ihnen finden; denn sie suchen nichts anderes, als ihrem Geliebten zu gefallen. Sie sterben gleichsam vor Verlangen, von ihm geliebt zu werden, und darum setzen sie für das Streben, sich ihm immer wohlgefälliger zu machen, ihr Leben ein. O es ist unmöglich, daß die Liebe Gottes, wenn sie eine wahre ist, sich verborgen hält? Seht nur einen heiligen Paulus und eine heilige Magdalena an! Der eine, der heilige Paulus, sing schon nach drei Tagen an, zu erkennen zu geben, daß er vor Liebe krank ist; an Magdalena offenbarte es sich gleich am ersten Tage. Und wie deutlich konnte man dies sehen! Denn da die Liebe bei den einen größer, bei den anderen geringer ist, so gibt sie sich nach eben diesem Verhältnisse auch mehr oder minder deutlich zu erkennen. Ist sie groß und stark, dann zeigt sie sich auch so; ist sie schwach, so gibt sie sich auch nur schwach zu erkennen. Immer aber wird sich die Liebe Gottes, wo sie ist, kundgeben, mag sie eine große oder geringe sein.


  4. Da ich jedoch hier mehr die Beschaulichen im Auge habe, um sie vor den Täuschungen und Betrügereien des Teufels zu warnen, so sage ich, daß bei diesen die Liebe nie eine geringe ist. Sie haben immer, wenn anders ihre Beschauung eine wahre ist, eine große Liebe, die sich auch als solche in verschiedener Weise zu erkennen gibt, einem mächtigen Feuer gleich, das nur einen großen Glanz verbreiten kann. Ist dies nicht der Fall, so müssen sie in großer Sorge sein. Sie dürfen alsdann glauben, daß sie Grund haben, zu fürchten, müssen

    der Ursache nachforschen, besondere Andachten verrichten, in Demut wandeln und den Herrn bitten, daß er sie nicht in Versuchung führe. Ist dieses Zeichen nicht vorhanden, dann fürchte ich in der Tat, daß solche Seelen schon in Versuchung sind. Wenn ihr aber in Demut wandelt, nach Erkenntnis der Wahrheit strebt, dem Beichtvater euch unterwerft und wahr und aufrichtig gegen ihn seid, so wird der böse Feind, wie schon gesagt, eben durch das, wodurch er eueren Tod beabsichtigt, euch das Leben geben, wie sehr er sich auch anstrengen mag, euch zu täuschen und zu betrügen.


  5. Merkt ihr also jene Liebe Gottes in euch, die ich hier geschildert, und die Furcht, von der ich noch sprechen werde, so freut euch und seid ruhig! Denn der Teufel wird euch, um euere Seelen zu beunruhigen und sie dadurch des Genusses so großer Güter zu berauben, tausend Ängste einjagen und durch andere einjagen lassen. Weil er euch nicht gewinnen kann, so sucht er wenigstens euch einigen Verlust beizubringen und anderen zu schaden; diese könnten viel gewinnen, wenn sie glaubten, die großen Gnaden, die Gott so elenden Geschöpfen erweist, seien wirklich von ihm, und er könne sie ihnen gar wohl spenden. Denn bisweilen ist es, als hätten wir seine früheren Erbarmungen vergessen.


  6. Glaubt ihr, dem Teufel liege wenig daran, diese Ängste in euch zu erregen? Nein, sehr viel; denn dadurch schadet er doppelt. Fürs erste schreckt er dadurch jene, die davon hören, von der Übung des innerlichen Gebetes ab, weil sie meinen, sie könnten ebenso betrogen werden. Fürs zweite würden sich weit mehr Gott nahen, wenn sie sähen, daß er, wie gesagt, so gut ist und jetzt schon in so vertraulicher Weise sich den Sündern mitteilen kann; dies würde mit Recht auch in ihnen das Verlangen nach dem Verkehre mit Gott wecken. Ich selbst kenne einige Personen, die durch eben diese Erwägung zur Übung des innerlichen Gebetes ermuntert wurden, in kurzer Zeit zur wahren Beschauung gelangten und große Gnaden vom Herrn empfingen. Wenn ihr daher, meine Schwestern, unter euch eine seht, der der Herr solche Gnaden erweist, so lobpreist ihn dafür, denkt aber nicht, daß diese dar- um schon sicher sei! Helft ihr vielmehr, indem ihr noch mehr für sie betet als zuvor! Denn niemand kann sicher sein, solange er hienieden lebt und den Gefahren dieses stürmischen Meeres ausgesetzt ist.


  7. Ihr werdet also die Liebe Gottes, wo immer sie sich findet, erkennen; denn ich wüßte nicht, wie sie verborgen bleiben könnte. Selbst die Liebe zu den Geschöpfen kann man, wie gesagt wird, nicht verbergen, und je mehr man sie verbergen will, desto mehr wird sie offenbar; und doch ist diese etwas so Niedriges, daß sie, weil auf ein Nichts gegründet, den Namen der Liebe gar nicht verdient. Könnte dann eine so starke Liebe, wie die Liebe Gottes ist, verborgen bleiben; eine Liebe, die so gerechtfertigt ist, die stets zunimmt und an dem Geliebten nichts bemerkt, was sie von ihm abwenden könnte; eine Liebe, die so wohl begründet ist, da sie der Herr mit einer Gegenliebe vergilt, an der man nicht mehr zweifeln

    kann? Hat er nicht durch so große Leiden und Schmerzen, durch Vergießung seines Blutes und, damit uns ja kein Zweifel übrigbliebe, sogar durch Hingabe seines Lebens so offen bekundet, wie sehr er uns liebt?


  8. O Gott, welchen Unterschied muß eine Seele zwischen dieser und der anderen Liebe finden, die beide Arten aus Erfahrung kennt! Möge der Herr uns die heilige Liebe verleihen, ehe er uns aus diesem Leben nimmt! Denn ein großer Trost wird für uns in der Stunde des Todes der Gedanke sein, daß wir von dem gerichtet werden, den wir über alles geliebt ha- ben. Wir werden dann mit Zuversicht zum Gerichte über unsere Schulden gehen können. Unsere Reise wird uns nicht in ein fremdes Land, sondern in unser eigenes Heimatland führen, weil es dem gehört, den wir so innig lieben und der auch uns so sehr liebt. Beden- ket also, meine Töchter, stets den Gewinn, den diese Liebe mit sich bringt, und welchen Verlust wir erleiden, wenn wir sie nicht besitzen! Bei einem solchen Mangel geraten wir in die Hände des Versuchers, in so grausame, allem Guten so feindliche und allem Bösen zugeneigte Hände.


  9. Ach, wie wird es der armen Seele ergehen, wenn sie nach Erduldung so entsetzlicher Schmerzen und Nöten, wie die Todesnöten sind, sogleich in diese Hände fällt! Wie schlecht wird sie da ausruhen! Wie zerrissen wird sie in die Hölle hinabfahren! Welch eine Menge verschiedenartiger Schlangen wird sie umzischen! Welch einen schaudervollen Ort, welch eine unselige Herberge wird sie finden! Wie hart ist es für einen Menschen, der — wie viel- leicht die meisten, die zur Hölle fahren — der Weichlichkeit frönt, auch nur eine einzige Nacht in einer schlechten Herberge zuzubringen! Nun denkt euch erst eine solche Herber- ge für immer und ewig! Was, meint ihr wohl, wird eine solche arme Seele da empfinden? Verlangen wir, meine Töchter, doch ja nie nach einem bequemen Leben! Wir sind hier an einem Orte, wo es uns gut geht; die schlechte Herberge ist nur für eine Nacht. Loben wir Gott und bemühen wir uns, in diesem Leben Buße zu tun! O wie süß wird der Tod für jene sein, die in diesem Leben alle ihre Sünden abgebüßt haben, so daß sie nicht ins Fegfeuer kommen müssen! Solche Seelen werden keine Furcht haben, vielmehr in vollem Frieden das Zeitliche verlassen, weil sie vielleicht schon gleich nach ihrem Hinscheiden zum Genusse der Glorie gelangen werden?


  10. Wenn wir daher auch nicht desselben Glückes teilhaftig werden, sondern nach unse- rem Tode noch Strafe leiden müssen, so laßt uns, meine Schwestern, Gott bitten, daß dies wenigstens an einem Orte geschehe, wo wir sie in der Hoffnung auf Erlösung gerne tragen und seine Freundschaft und Gnade nicht mehr verlieren! Aber auch für dieses Leben laßt uns ihn um seine Gnade bitten, damit wir nicht unvermerkt in Versuchung fallen!

 

Einundvierzigstes Hauptstück

Über die Furcht Gottes. Wir sollen uns vor läßlichen Sünden sehr hüten.


  1. Wie weit habe ich mich verbreitet! Und doch hätte ich gerne noch mehr gesagt; denn es ist süß, von einer solchen Liebe zu sprechen. Was wird es erst sein, sie zu besitzen? Möge der Herr in seiner Güte sie mir verleihen!


  2. Laßt uns aber jetzt von der Furcht Gottes reden! Auch diese ist sehr leicht zu erkennen, sowohl von denen, die sie besitzen, als auch von jenen, die mit ihnen umgehen. Ihr müßt jedoch beachten, daß diese Furcht am Anfang nicht gleich so vollkommen ist, außer bei einzelnen Personen, denen der Herr, wie gesagt, so außerordentliche Gnaden verleiht, daß er sie in kurzer Zeit reich macht an Tugenden; deshalb wird sie auch am Anfange nicht bei allen erkannt. Allmählich aber nimmt sie zu, indem sie von Tag zu Tag an Kraft gewinnt. Indessen wird sie, wo sie vorhanden ist, doch bald bemerkt; denn wer sie besitzt macht sich sogleich von den Sünden, von den Gelegenheiten zur Sünde und von böser Gesell- schaft los und gibt sie auch noch durch andere Zeichen zu erkennen. Bei Seelen aber, die schon zur Beschauung gelangt sind, von der hier mehr die Rede ist, zeigt sich die Furcht Gottes gleich der Liebe sehr deutlich und bleibt nach außen ebensowenig verborgen wie diese. Mögen wir solche Seelen auch noch so genau beobachten, so werden wir doch keine Nachlässigkeiten bei ihnen wahrnehmen können; denn der Herr bewahrt sie derart, daß sie auch eine freiwillige läßliche Sünde selbst dann nicht begehen würden, wenn sie großen Vorteil davon haben könnten; die Todsünden fürchten sie ohnehin wie das Feuer. Was uns betrifft, meine Schwestern, so wünschte ich, wir fürchteten recht sehr die Täuschungen, von denen ich gesprochen. O daß wir beständig zu Gott flehen würden, die Versuchung nie so heftig werden zu lassen, daß wir ihn beleidigen, sondern sie nach der Kraft über uns zu verhängen, die er uns zu ihrer Überwindung verleiht! Daran ist alles gelegen. Diese Furcht ist es, von der ich wünschte, daß sie uns nie verlasse; denn sie wird uns beschützen.


  3. O es ist etwas Großes, den Herrn nicht zu beleidigen und ihm zu gefallen! Dadurch sind die höllischen Geister, seine Knechte und Sklaven, wie ich sie hier nenne, gebunden; denn zuletzt müssen ihm doch alle Geschöpfe gehorchen, mit dem Unterschiede jedoch, daß jene es gezwungen, wir es aber freiwillig tun. Da können sie uns keinen Schaden mehr zufügen, wie sehr sie uns auch versuchen und welch heimliche Fallstricke sie uns auch legen mögen.


  4. Daher ist viel daran gelegen, daß ihr den Rat befolgt, den ich euch hier gebe. Beachtet ihn, bis ihr einen so festen Entschluß, den Herrn nicht zu beleidigen, in euch gewahrt, daß ihr lieber tausendmal das Leben verlieren als eine Todsünde begehen wolltet und mit gro-

    ßer Sorgfalt auch die läßlichen Sünden meidet! Ich meine die freiwilligen läßlichen Sünden. Denn wo ist der Mensch, der nicht noch weit mehr unfreiwillige beginge? Es werden aber die freiwilligen läßlichen Sünden teils mit voller Überlegung begangen, teils geschehen sie so plötzlich, daß Überlegung und Begehen fast in eins zusammenfallen und zwischen bei- den fast kein Zeitraum wahrzunehmen ist. Vor einer Sünde aber, die mit voller Überlegung geschieht, wie klein sie auch sei, bewahre uns Gott! Solche Sünden müssen wir um so mehr meiden, weil das, was gegen eine so erhabene Majestät geschieht, nichts Geringes ist, be- sonders wenn man daran denkt, daß diese Majestät uns zusieht; dies scheint mir mehr als eine überlegte Sünde und geradeso zu sein, als ob man sagte: »Herr, obgleich dir dies miß- fällt, so tue ich es doch; ich weiß, daß du es siehst, und weiß und erkenne es, daß du es nicht haben willst, aber dennoch will ich lieber meiner Laune und meiner Begierde folgen als deinem Willen.« Daß es hierin etwas Geringes gebe, so leicht auch die Schuld sein mag, scheint mir nicht; es kommt mir dies vielmehr als etwas Großes, ja als etwas sehr Großes vor.


  5. Wollt ihr, meine Schwestern, die Furcht Gottes erlangen, so beachtet um der Liebe Gottes willen, wie wichtig es ist, zu erkennen und recht oft zu betrachten, was es Gro- ßes um eine Beleidigung Gottes ist! Denn davon, daß diese Tugend tief in unseren Seelen wurzle, hängt unser Leben und noch viel mehr ab. Ihr müßt aber, solange ihr nicht ganz sicher erkennt, daß ihr sie besitzt, immer mit großer, recht großer Vorsicht wandeln und euch von allen Gelegenheiten und Gesellschaften fernehalten, die nicht dazu dienen, euch Gott näher zu bringen; ihr müßt sehr darauf achten, in all euerem Tun und Lassen eueren Willen zu brechen, in eueren Reden zu erbauen und Gespräche zu fliehen, die nicht von Gott handeln! Es wird sehr viel erfordert, bis diese Furcht unserem Innern tief eingeprägt bleibt. Übrigens wird auch die Furcht Gottes in uns bald zunehmen, wenn die wahre Liebe Gottes in uns ist; sieht sich aber, wie gesagt, die Seele einmal fest entschlossen, um keines Geschöpfes willen Gott zu beleidigen, dann ist so große Vorsicht nicht mehr notwendig. Sie kann ja noch hie und da fallen; denn wir sind schwache Menschen und dürfen nicht auf uns selbst vertrauen. Je fester unser Entschluß ist, Gott nicht zu beleidigen, desto weniger dürfen wir uns auf uns selbst verlassen; unsere ganze Zuversicht muß vielmehr auf Gott beruhen.


  6. Indessen sollen wir doch nicht so ängstlich und zaghaft sein, wenn wir an uns finden, was ich gesagt; denn der Herr wird uns beistehen, und schon die Gewohnheit, ihn nicht zu beleidigen, wird uns helfen. Bedient euch dann einer heiligen Freiheit, wenn ihr aus gerechter Ursache mit anderen verkehrt, und seien es auch zerstreute Personen! Denn jene, die vorher, bevor ihr euch in der wahren Furcht Gottes begründet habt, ein Gift für euch gewesen wären und zum Verderben euerer Seelen mitgeholfen hätten, werden euch jetzt oftmals zum Anlaß dienen, Gott mehr zu lieben und ihn dafür zu loben, daß er euch vor

    einer Gefahr bewahrt hat, die ihr nun klar erkennt. Und habt ihr vorher vielleicht zu ihren Schwachheiten beigetragen, so wird jetzt euere Gegenwart Ursache sein, daß sie sich davor hüten, auch wenn sie euch dadurch keine Ehre erzeigen wollen.


  7. Ich preise oft den Herrn, wenn ich darüber nachdenke, woher es doch kommt, daß ein Diener Gottes, ohne ein Wort zu sprechen, nicht selten Reden verhindert, die wider die göttliche Majestät sind. Der Grund hierfür mag derselbe sein wie in unseren irdischen Verhältnissen. Wenn wir hier in der Welt einen Freund haben, so zeigt man vor uns immer Achtung gegen ihn und hütet sich auch in seiner Abwesenheit, ihn zu beschimpfen, weil man weiß, daß er unser Freund ist. Es mag auch sein, daß der Stand der Gnade selbst, worin der Diener Gottes sich befindet, von so niedriger Herkunft er auch sein mag, Achtung vor ihm einflößt; daß man sich ferner in seiner Gegenwart deshalb vor der Beleidigung Gottes hütet, weil man weiß, diese würde ihm nur den größten Schmerz verursachen. Dies sind indessen nur meine Vermutungen, die eigentliche Ursache weiß ich nicht; aber das weiß ich, daß es ganz gewöhnlich so geschieht. Seid also nicht ängstlich, meine Schwestern! Denn sobald eine Seele zaghaft zu werden beginnt, wird sie in Vollführung alles Guten sehr gehindert. Sie wird zuweilen skrupulös und dadurch unnütz für sich und andere werden. Wäre dies auch nicht der Fall, so mag sie wohl noch gut für sich selber sein, wird aber nicht viele Seelen Gott zuführen, wenn andere ihre Zaghaftigkeit und Ängstlichkeit sehen. Unsere Natur ist einmal so, daß sie dadurch abgeschreckt und niedergehalten wird. Wenn man da auch klar erkennt, daß der Weg, den ihr wandelt, zu größerer Tugend führt, so scheut man ihn doch.


  8. Aber noch ein anderer Nachteil entsteht aus dieser übertriebenen Ängstlichkeit. Wir werden, wenn wir uns ihr überlassen, leicht schlimm über andere urteilen, weil sie, obwohl heiliger als wir, doch in anderer Weise sich verhalten. Sehen wir sie, um ihrem Nächsten zu nützen, frei und ohne Ängstlichkeit mit ihm verkehren, so erblicken wir hierin gleich eine Unvollkommenheit; und bemerken wir an ihnen eine heilige Freude, so erscheint uns diese als Ausgegossenheit. Dies ist besonders für uns sehr gefährlich, die wir nicht gelehrt sind und nicht wissen, wie weit man im Verkehre mit anderen ohne Sünde gehen kann. Es ist eine beständige Versuchung für uns und ein Fehler sehr schlimmer Art, weil er zum Schaden des Nächsten gereicht. Das Schlimmste aber ist, daß wir alle, die nicht so ängst- lich sind wie wir, für minder tugendhaft halten als uns. Noch ein anderer Nachteil ist zu erwähnen: Aus Furcht, zuviel zu sagen, getraut man sich bei manchen Gelegenheiten nicht zu reden, bei denen man reden sollte und es recht wäre, zu reden; oder man redet viel- leicht von etwas gut, während es doch ganz recht wäre, wenn man mit Abscheu darüber hinwegginge.

  9. Bemüht euch also, meine Schwestern, soweit es ohne Beleidigung Gottes möglich ist, freundlich zu sein und gegen alle, die mit euch verkehren, euch so zu verhalten, daß sie, anstatt von der Tugend abgeschreckt zu werden, eueren Umgang lieben und Verlangen tragen, so zu leben und zu handeln wie ihr! Dies ist für Nonnen etwas sehr Wichtiges. Je heiliger sie sind, desto geselliger müssen sie sich gegen ihre Mitschwestern erweisen. Wä- re euch der Umgang mit ihnen auch sehr lästig, weil vielleicht nicht alle ihre Gespräche nach euerem Geschmacke sind, so einzieht euch ihnen deshalb doch nicht, wenn ihr ih- nen nützen und von ihnen geliebt werden wollt! Wir müssen uns immer recht sehr der Freundlichkeit befleißigen und bestrebt sein, jenen, mit denen wir umgehen, besonders unseren Mitschwestern, angenehm und gefällig zu werden.


  10. Trachtet, meine Töchter, nach einer wahren Erkenntnis Gottes, der so unbedeuten- de Dinge nicht so ansieht, wie ihr meint! Verbannt aus euerer Seele und euerem Geiste alle Zaghaftigkeit; denn sonst könntet ihr vieler Güter verlustig gehen! Habt nur die rechte Absicht und, wie gesagt, den entschiedenen Willen, Gott nicht zu beleidigen! Haltet eue- re Seele nicht wie in einem Winkel versteckt, sonst würde sie, anstatt in der Heiligkeit zu wachsen, viele Unvollkommenheiten annehmen, die ihr der Teufel auf anderen Wegen bei- bringt! Sie würde, wie gesagt, weder sich noch anderen so viel nützen, als sie könnte.


  11. Ihr seht nun, wie wir im Besitze dieser zwei Tugenden, der Liebe und Furcht Gottes, ruhig und sicher den Weg des Gebetes wandeln können. Indessen dürfen wir doch nie ohne Sorge sein, da die Furcht immer vor uns hergehen muß. Volle Sicherheit können wir nicht haben, solange wir leben; sie wäre sogar sehr gefährlich für uns. Dies erkannte auch unser Lehrmeister, da er am Schlusse seines Gebetes zu seinem Vater noch die Worte sprach, deren Notwendigkeit er gar wohl einsah: »Sondern erlöse uns von dem Übel! Amen.«


 

Zweiundvierzigstes Hauptstück

Über die letzten Worte des Vaterunsers: Sed libera nos a malo! Amen. (Sondern erlöse uns von dem Übel! Amen.)


  1. Der gute Jesus scheint mir Grund gehabt zu haben, diese Bitte für sich zu sprechen. Sehen wir ja doch, wie sehr er des Lebens auf Erden müde war, als er beim Abendmahle zu seinen Aposteln sprach: »Sehnlichst habe ich verlangt, dieses Osterlamm mit euch zu essen«, weil es das letzte Abendmahl seines Lebens war. Daraus ist ersichtlich, wie lebens- müde er schon sein mußte. Jetzt sind die Menschen noch nicht müde, wenn sie auch hun- dert Jahre gelebt; sie möchten immer noch länger leben. Aber unser Leben ist auch wirklich nicht so elend und so voll Mühseligkeiten und Armut wie das unseres guten Jesus. Was war sein Leben anders als ein immerwährendes Sterben, da er den grausamen Tod, der seiner

    wartete, beständig vor Augen hatte? Und das war noch das wenigste. Mehr schmerzten ihn die vielen Beleidigungen, die er gegen seinen Vater begehen sah, und der Untergang so vie- ler Seelen. Wenn dies schon jeder Seele, die wahre Liebe hat, großen Schmerz verursacht: Welchen Schmerz mußte dann der Herr in seiner überschwenglichen, unermeßlichen Lie- be empfunden haben? Wieviel Grund hatte er also nicht, den Vater zu bitten, daß er ihn von so vielen Übeln und Mühseligkeiten erlösen und ihm die ewige Ruhe seines Reiches geben wolle, dessen wahrer Erbe er war!


  2. Amen. Soweit ich es verstehe, hat der Herr mit diesem Amen, mit dem er alles endet, gefleht, wir möchten von allem Übel erlöst werden für immer? Und so bitte auch ich den Herrn, er wolle mich von allem Übel erlösen für immer, weil ich doch meine Schulden nicht abzahlen, sondern sie täglich noch vermehren kann. Was ich aber nicht zu ertragen vermag, o Herr, ist der Gedanke, daß ich nicht gewiß sein kann, ob ich dich liebe und mein Verlangen vor dir angenehm ist. O mein Herr und mein Gott, erlöse mich doch von allem Übel und laß es dir gefallen, mich dorthin zu führen, wo alles Gute zu finden ist. Was hoffen noch hienieden jene, denen du auch nur Erkenntnis davon verliehen hast, was diese Welt ist, die mit lebendigem Glauben das erfassen was der ewige Vater ihnen aufbewahrt hat?


  3. Ein solches Bitten, voll glühenden Verlangens und mit aller Entschiedenheit, ist eine jener großen Wirkungen, die die Beschauung hervorbringt, sowie ein Zeichen, daß die in diesem Gebete empfangenen Gnaden von Gott sind. Beschauliche Seelen mögen es darum als ein großes Glück ansehen, wenn sie so beten können. Bei mir entspringt diese Bitte wohl nicht aus der nämlichen Ursache, ich will sagen, man nehme dies bei mir nicht an; ich bitte deshalb um diese Gnade, weil ich nach einem so übel zugebrachten Leben mich fürchte, noch länger (so) zu leben und so vieler Mühseligkeiten überdrüssig bin. Es ist darum nicht zu verwundern, daß jene, die die göttlichen Wonnen kosten, dorthin gelangen, wo sie diese nicht mehr bloß auf Augenblicke genießen werden. Sie sind eines Lebens müde, in dem so viele Hindernisse sie vom Genusse eines so großen Gutes abhalten, und sehnen sich nach jenem Orte, wo ihnen die Sonne der Gerechtigkeit nie mehr untergehen wird. Nach solchen Genüssen muß ihnen alles, was sie auf Erden sehen, als Finsternis erscheinen, und ich wundere mich nur, wie sie da noch leben können. Sicher kann dieses Leben für jene keinen Reiz mehr haben, die schon angefangen, Gott zu genießen, die schon hienieden im Besitze seines Reiches sind, die noch leben gegen ihren Wunsch und nur, weil es der Wille ihres Königs ist.


  4. O welch ein ganz anderes Leben muß dort sein, wo man nicht mehr nach dem Tode sich sehnt! Ach, wie sehr neigt sich hienieden unser Wille dem Gegenteile von dem zu, was der Wille Gottes ist! Gott will, daß wir die Wahrheit lieben, und wir lieben die Lüge; er will, daß wir nach dem Ewigen trachten, und wir neigen uns dem Vergänglichen zu; er will,

    wir sollten große und erhabene Dinge anstreben, und wir begnügen uns mit den niedrigen Dingen dieser Erde; er will, wir sollten nur das Sichere umfassen, und wir wählen lieber das Unsichere. Das alles ist Trug, meine Töchter. Darum laßt uns Gott bitten, daß er uns für immer von den Gefahren dieses Lebens befreie und von allem Übel erlöse! Ist auch unser Verlangen noch nicht vollkommen, so laßt uns doch Mut fassen, diese Bitte zu stellen! Was schadet es uns, viel zu begehren, da wir ja den Allmächtigen bitten? Um aber das Rechte sicherer zu treffen, so wollen wir es seinem Belieben überlassen, uns zu geben, was er will; denn wir haben ihm ja schon unseren Willen hingegeben. Möge für immer sein Name geheiligt werden im Himmel und auf Erden und für immer sein Wille an mir geschehen! Amen.


  5. Seht nun, meine Schwestern, wie mich der Herr der Mühe enthoben und mich den Weg gelehrt hat, den ich euch zu zeigen begonnen habe! Er hat mir zu diesem Zwecke den reichen Inhalt dieses evangelischen Gebetes erschlossen. Er sei dafür gepriesen in Ewigkeit! Fürwahr, ich hätte nicht gedacht, daß in diesem Gebete so große Geheimnisse verborgen sind. Nun habt ihr aber gesehen, daß es den ganzen Weg des geistlichen Lebens in sich schließt von seinem Anfang bis zu seinem Ende, bis dahin, wo Gott die Seele ganz in sich versenkt und ihr im Überflusse zu trinken gibt von der Quelle des lebendigen Wassers, die, wie gesagt, am Ende dieses Weges zu finden ist.


  6. Es scheint, meine Schwestern, der Herr habe uns zu erkennen geben wollen, welch großer Trost in diesem Gebete zu finden ist. Insbesonders ist es für jene sehr förderlich, die nicht lesen können. Wenn sie es verstehen, so können sie aus diesem Gebete viele Lehren ziehen, um sich damit zu trösten.


  7. Lernen wir nun, meine Schwestern, von der Demut, mit der unser guter Meister uns lehrt, und bittet ihn, er wolle mir verzeihen, daß ich es gewagt, von so hohen Dingen zu sprechen! Der Herr weiß wohl, daß mein Verstand dazu nicht fähig ist; darum hat er selbst mich in dem unterwiesen, was ich gesagt habe. Dankt ihm dafür, meine Schwestern! Denn sicher hat er mir diese Gnade um euerer Demut willen erwiesen, weil ihr von einem so armseligen Geschöpfe wie ich unterwiesen werden wolltet und mich darum gebeten habt.


  8. Ehe ihr dieses Buch zu sehen bekommt, werde ich es meinem Beichtvater, Pater Ma- gister Dominikus Bañez, vorlegen. Hält er dafür, daß es zu euerem Nutzen sei, und gibt er es euch, so soll es mich freuen, wenn ihr darin Trost findet. Ist es aber zum Lesen nicht geeignet, so nehmt meinen guten Willen hin! Ich werde dann wenigstens euerem Auftrage im Werke entsprochen haben und mich dadurch reichlich belohnt halten für die Mühe, die mich das Schreiben gekostet hat; denn das Nachdenken hat mir fürwahr keine Mühe gemacht.

Gelobt und gepriesen sei der Herr, von dem alles Gute kommt, das wir reden, denken und tun! Amen.