William Shakespeare - 154 Sonette

Sonett XXX

Wenn vor die Schranken meiner stillen Brust
Ich fordre die Erinn’rung alter Zeit,
Bewein’ ich manchen schmerzlichen Verlust,
Dem alten Schmerz wird neue Klag’ geweiht.
Dann strömt mein Auge, Thränen ungewöhnt,
Um treue Freunde, die der Tod verhüllt, –
Mit Thränen wird der Liebe Weh’ verhöhnt –
Und heiß beseufz’ ich manch entschwundnes Bild;
Dann trag’ ich Leid um längst vergangnes Leid,
Und überschaue meines Lebens Qual,
Und traur’ um alten Schmerzes Bitterkeit
Mit tiefem Gram, wie bei dem ersten Mal.
Doch wenn ich dann, mein Freund, zu dir mich wende,
Ist mein Verlust, mein Kummer gleich zu Ende.

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