William Shakespeare - 154 Sonette

Sonett CXLVIII

Weh’, welch’ ein Aug’ hat Liebe mir verlieh’n,
Dem, was die Andern schau’n, so kann entgeh’n?
Wenn recht sie seh’n, wo floh mein Urtheil hin,
Das falsch beurtheilt, was sie richtig seh’n?
Wenn schön das, was mein irrend Aug’ entzückt,
Was tadelt dann die Welt es im Verein?
Ist’s häßlich, zeigt’s, wie Liebe uns berückt,
Nichts gilt ihr Spruch, wenn alle sagen: Nein.
Wie kann der Liebe Auge richtig seh’n,
Das so sich quält mit Weinen und mit Wachen?
Ich selbst kann richtig nicht mein Schau’n verstehn;
Wenn Wolken droh’n, kann nicht die Sonne lachen.
O schlaue Lieb’, mit Thränen blendst du mich,
Daß klarer Blick nicht finde häßlich dich.

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